Sebastian Kurz
APA/Hans Klaus Techt
Vorwurf der Falschaussage

Kurz wird angeklagt

Nach langem Hin und Her ist es nun fix: Ein Strafantrag gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist am Freitag eingebracht worden, Kurz wird also angeklagt. Er soll, so der Vorwurf, im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss falsch darüber ausgesagt haben, inwieweit er in die Pläne rund um die Staatsholding ÖBAG eingebunden war. Kurz selbst hatte mit der Anklage gerechnet – er geht von einem Freispruch aus. Der Prozess gegen Kurz und zwei weitere Angeklagte beginnt am 18. Oktober.

„Involviert“ oder „informiert“, „Nein“ oder „Na“: Was genau hat Kurz gesagt, was hat er gemeint, als er im Juni 2020 Auskunftsperson im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss war? Darüber wird nun das Gericht entscheiden. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft ihm Falschaussage vor. Auch Bernhard Bonelli, Kurz’ damaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt, wird wegen des Verdachts auf Falschaussage angeklagt, ebenso die vormalige ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner, bis März 2022 Generaldirektorin der Casinos Austria und Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Lotterien.

Ihr wird vorgeworfen, sowohl vor dem Untersuchungsausschuss als Auskunftspersonen als auch bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren der WKStA falsch ausgesagt zu haben. Der Strafrahmen für das zur Last gelegte Delikt beträgt bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Der Prozess soll am 18. Oktober am Wiener Landesgericht für Strafsachen beginnen, die Urteile sollen am 23. Oktober fallen. Für alle drei Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Als Zeugen geladen werden laut Strafantrag, der ORF.at vorliegt, unter anderem der Ex-Generalsekretär im Finanzministerium und Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP), dessen Nachfolger Gernot Blümel (ÖVP), der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (ehemals FPÖ), Ex-Casinos-Finanzvorstand Peter Sidlo und der Unternehmer Siegfried Wolf.

108 Seiten starker Strafantrag

Wie die Sprecherin des Landesgerichts, Christina Salzborn, bekanntgab, wurde der Strafantrag gegen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner bereits am vergangenen Freitag beim Landesgericht eingebracht. „Wie es nach der Strafprozessordnung vorgesehen ist, wurde der Strafantrag vor der Zustellung an die Angeklagten und Ausschreibung der Hauptverhandlung erst einer Prüfung durch den Richter unterzogen.“ Der umfangreiche Akt umfasse „mehrere Kisten“, der Strafantrag 108 Seiten.

Die Anklage war zuvor eingehend geprüft worden: Die WKStA hatte ihre Ermittlungen Anfang des Jahres abgeschlossen und einen Vorhabensbericht an die Oberbehörden erstattet. Dieser Akt wanderte ins Justizministerium und von dort an den Weisungsrat. Dieser erstattete zum Erledigungsentwurf von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eine schriftliche Äußerung und hatte keine Einwände. Die Beantwortung ging zurück an die Ministerin, ihre Entscheidung wiederum an die Staatsanwaltschaft zurück. Die WKStA prüfte erneut und gab schließlich die Anklage bekannt.

Ex-Bundeskanzler Kurz (ÖVP) wird angeklagt

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat im CASAG-Verfahrenskomplex einen Strafantrag eingebracht. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Bernhard Bonelli, Kurz’ damaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt, und Bettina Glatz-Kremsner wurden am Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage angeklagt, so die WKStA in einer Aussendung.

Früherer Eurofighter-Staatsanwalt wird richten

Den Prozess wird Michael Radastzics leiten, der seit Anfang Jänner als Richter am Landesgericht für Strafsachen tätig ist. Davor hatte Radastzics, der seine juristische Laufbahn als Rechtsanwalt begonnen hatte, gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser ermittelt und dann jahrelang das Eurofighter-Verfahren betreut, ehe ihm 2019 der Akt entzogen und der WKStA übergeben wurde. Nun wird Radasztics als Einzelrichter die Stichhaltigkeit der Anklage der WKStA gegen Kurz & Co. zu beurteilen haben.

WKStA gegen diversionelle Erledigung

Die WKStA geht in ihrem Strafantrag davon aus, dass Kurz und die beiden Mitangeklagten unter Wahrheitspflicht nicht nur mit bedingtem Vorsatz, sondern „wissentlich“ die Unwahrheit gesagt hätten. In der Aussagepsychologie bestehe „Einigkeit darüber, dass Menschen grundsätzlich nicht ohne Motiv lügen“, hält die Anklagebehörde fest. Und weiter: „Fallbezogen liegt ein starkes Motiv für eine vorsätzliche Falschaussage vor.“

In ihrem Strafantrag spricht sich die Strafverfolgungsbehörde übrigens explizit gegen ein diversionelles Vorgehen aus, das beim Delikt der Falschaussage grundsätzlich möglich wäre. Im gegenständlichen Fall komme eine Diversion, mit der Kurz – allenfalls gegen Auferlegung einer Geldbuße – einer Verurteilung entgehen würde, „mangels Verantwortungsübernahme und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten nicht in Betracht“, so die WKStA.

Anstoß Schmid

Die Vorwürfe gehen, wie so viele Causen, auf die Chats von Kurz’ ehemaligem „Prätorianer“ zurück, Thomas Schmid. Dieser hatte vor der Staatsanwaltschaft ausgepackt und Kurz bezichtigt, den Umbau der damaligen ÖBIB in die heutige ÖBAG nach den Vorstellungen der ÖVP vorbereitet zu haben.

Falsche Beweisaussage

Die „Falsche Beweisaussage“ ist ein strafrechtliches Delikt, das im Paragraph 288 des Strafgesetzbuches geregelt ist. Für die Erfüllung des Tatbestandes ist es einerseits nötig, dass der Beschuldigte tatsächlich objektiv unrichtig ausgesagt hat, andererseits ist auch ein vorsätzliches Handeln nötig – wer sich also lediglich falsch erinnert, kann nicht bestraft werden.

Dass Schmid dabei den Chefposten erhalten sollte, sei Teil der Absprachen gewesen, so Schmid, dessen Status als möglicher Kronzeuge noch immer nicht geklärt ist. Auch Kurz’ Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats spielt eine Rolle.

Kurz hatte damals im U-Ausschuss gesagt: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn (Schmid, Anm.) das grundsätzlich interessiert“, und Schmid habe auch als „potenziell qualifizierter Kandidat“ gegolten. Von ihm, Kurz, sei die Bestellung Schmids nicht ausgegangen, „aber soweit ich mich erinnern kann, hat er (Schmid, Anm.) mich irgendwann davon informiert, dass er sich bewerben wird“.

Wenige Wochen vor der Anklage spekulierten Medien darüber, ob der frühere Kanzler statt „Nein“ nicht doch ein „Na“ von sich gab. Eine Audioaufzeichnung der U-Ausschuss-Befragung, die eigentlich nur für die Stenografen und Stenografinnen des Parlaments angefertigt wird, gelangte an die Öffentlichkeit.

„Ich bin kein Vollidiot“

2021 wurde Kurz eingehend von der Justiz vernommen – er hatte auf eine Befragung durch einen Richter statt durch die WKStA bestanden. Von der Befragung kam ein 151 Seiten starkes Protokoll zustande, das die teils emotionalen Antworten zeigte. „Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot“, so Kurz damals etwa zum Richter.

„Sie drehen mir jetzt schon wieder jedes Wort im Mund um. Das ist ja unglaublich“, sagte er zum anwesenden Staatsanwalt. Erst Tage später erfuhr die Öffentlichkeit durch Kurz selbst von der Befragung. Er habe die ungerechtfertigten Beschuldigungen widerlegen und entkräften können, hieß es damals.

Bernhard Bonelli und Bettina Glatz-Kremsner
ORF.at/Lukas Krummholz; ORF.at/Carina Kainz
Bonelli und Glatz-Kremsner müssen ebenfalls auf der Anklagebank Platz nehmen

Schmid sah das freilich anders: Die Planung sei „sehr wohl“ von Kurz ausgegangen. „Meiner Ansicht nach hat mich Sebastian Kurz in mehrfacher Hinsicht in diesem Vorhaben unterstützt. Einerseits hat er meine Arbeit im Zuge der Strukturreform und dem Beteiligungsmanagement noch als Generalsekretär des BMF geschätzt und dies auch in seinem Umfeld kommuniziert. Weiters hat er mir auch medial dabei geholfen, nicht vorzeitig durch Medienberichte ‚verbrannt‘ zu werden.“

Aus Schmids Sicht war Kurz bei der ÖBAG-Postenbesetzung „viel stärker involviert und wir haben uns regelmäßig über diese Themen ausgetauscht und dabei den Akt der Vorstandsbestellung häufig sogar schon in Gesprächen zugrunde gelegt, etwa als wir schon im Herbst 2018 über anstehende Hauptversammlungen und das Vorgehen im Frühling 2019 gesprochen haben oder als ich an ihn herangetreten bin und ihn aufgefordert habe, mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate zu machen“, so Schmid vor der WKStA 2022.

Kurz: 30 Entlastungszeugen

Dabei unterstützte Schmid auch ein aufgetauchtes Dokument, das aus Sicht der WKStA den Vorwurf untermauerte, Kurz sei in Postenbesetzungen involviert gewesen. Dabei handelte es sich um ein Foto von einem Sideletter zum Regierungspakt zwischen ÖVP und FPÖ. Darauf ist zu lesen, dass Vorstand und Aufsichtsrat der ÖBIB „durch die ÖVP nominiert“ werden.

ORF-Redakteure zur Anklage von Kurz

Ulla Kramar-Schmid und Andreas Mayer-Bohusch (ORF) sprechen über die Anklage von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er soll, so der Vorwurf, im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt haben.

Kurz selbst hatte wiederholt gesagt, er rechne mit einer Anklage, aber in der Folge auch mit einem Freispruch. Am Freitag reagierte er sofort auf Twitter (X) zu den jüngsten Entwicklungen: „Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen.“ Es sei „für uns wenig überraschend, dass die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hat, einen Strafantrag zu stellen“. Als „bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich“ bezeichnete es Kurz, „dass die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind“.

Kurz’ Anwalt Werner Suppan hatte früher schon bekanntgegeben, es gebe 30 entlastende Zeugenaussagen. Es sei gut, dass man die Causa vor Gericht klären könne und sich die Vorwürfe in Luft auflösen würden. Denn es sei krampfhaft versucht worden, Kurz’ Aussagen falsch zu interpretieren.

Etliche Verfahren laufen

Die WKStA ermittelt auch noch in anderen Causen gegen Kurz’ Umfeld, Schmid, die Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die Medienmanager Helmuth und Wolfgang Fellner und – nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – auch gegen die ÖVP selbst. Die WKStA geht davon aus, dass aus budgetären Mitteln des Finanzministeriums ausschließlich parteipolitisch motivierte, teilweise manipulierte Umfragen im Interesse von Kurz und damit auch der ÖVP erstellt und auf Kosten des Steuerzahlers in der Mediengruppe „Österreich“ veröffentlicht wurden.

Der Verdacht der Untreue, der Bestechlichkeit und Bestechung, des Missbrauchs der Amtsgewalt und weiterer Delikte steht weiterhin im Raum. Ein erster Prozess wurde bereits abgehalten: jener gegen Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin. Das erstinstanzliche Urteil lautete schuldig wegen Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen. Karmasin wurde dafür zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt. Vom Vorwurf des Betrugs wegen des Weiterbezugs ihres Ministergehalts war sie freigesprochen worden. Sowohl die Verteidigung als auch die WKStA meldeten Berufung an.