Chef von russischer Wahlbeobachterorganisation festgenommen

Der Kovorsitzende der angesehenen russischen Wahlbeobachtungsorganisation Golos, Grigori Melkonjanz, ist gestern festgenommen worden. Das gab sein Anwalt bekannt, wie russische Staatsmedien berichteten. Dem Juristen zufolge wurde gegen Melkonjanz Anklage wegen mutmaßlicher Leitung einer „unerwünschten Organisation“ erhoben. Bei einer Verurteilung könnten Melkonjanz bis zu sechs Jahre Haft drohen.

Golos-Chef Grigori Melkonjanz
Reuters/Andrew Osborn

Laut dem unabhängigen Internetportal Medusa durchsuchten Sicherheitskräfte gestern Wohnungen von Melkonjanz und 14 weiteren Golos-Koordinatoren in acht Regionen des Landes. Russische Medien veröffentlichten ein Video aus Melkonjanz’ Wohnung. Darauf füllt der Golos-Chef bei der Durchsuchung in Anwesenheit von Polizisten Dokumente aus.

Die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos (deutsch: „Stimme“) gibt es seit 2000. Sie setzt sich für das freie Wahlrecht der russischen Bevölkerung ein. Golos war 2012 vom Justizministerium zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden.

Russland verdächtigt weiteren US-Bürger der Spionage

Die russischen Behörden gehen indes wegen „Spionageverdachts“ auch gegen einen russischstämmigen US-Bürger vor. Das Lefortowo-Gericht gab die neuen Vorwürfe gegen den bereits wegen Bestechung zu einer Haftstrafe verurteilten Geschäftsmann nach Angaben russischer Staatsmedien gestern bekannt. Informationen über die genauere Art der Vorwürfe seien derzeit noch nicht bekannt.

Der Mann wurde nach Medienangaben in Russland geboren, zog aber später in die Vereinigten Staaten und nahm dort die US-Staatsbürgerschaft an. Im September 2022 wurde der Unternehmensmanager in Moskau nach Bestechungsvorwürfen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch das Umfeld des früheren russischen Vizeregierungschefs Arkadi Dworkowitsch soll nach offiziellen Angaben in den Fall verwickelt gewesen sein.

Mehrfache Festnahmen von US-Bürgern

In den vergangenen Jahren hatten mehrfach Festnahmen von US-Bürgern und -Bürgerinnen in Russland für Aufsehen gesorgt und die Beziehungen der beiden Länder belastet, zum Teil auch schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

So wurde der US-Amerikaner Paul Whelan 2020 wegen Spionagevorwürfen zu einer 16-jährigen Haftstrafe verurteilt. 2022 kam die Basketballerin Brittney Griner in Haft, ihr wurde illegaler Drogenbesitz vorgeworfen – sie wurde später gegen den in den USA inhaftierten russischen Waffenhändler Viktor But ausgetauscht.

Im März dieses Jahres verhaftete der russische Geheimdienst FSB den „Wall Street Journal“-Reporter Evan Gershkovich – ebenfalls wegen mutmaßlicher Spionage. Solide Beweise für solche Spionagevorwürfe wurden von russischen Behörden nie geliefert.