Rohbau in Peking
Reuters/Tangshu Wang
Evergrande als Symbol

Chinas Immobilienmarkt gerät ins Taumeln

Der chinesische Konzern Evergrande, das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen weltweit, ist schon seit geraumer Zeit in Schieflage. Um sich vor Forderungen von Gläubigern zu schützen, hat Evergrande in den USA nun Gläubigerschutz beantragt. Die Folge der Krise sind zahlreiche Bauruinen und Pleiten. Unterdessen haben die Probleme auf dem Häusermarkt bereits andere Wirtschaftszweige erfasst.

Wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht, beantragte Evergrande am Donnerstag in Manhattan Gläubigerschutz nach Kapitel 15. Damit will es sich in den USA vor Forderungen schützen, während anderswo die Verhandlungen weitergehen. Der chinesische Konzern steckt in einer tiefen Krise: Er hat Schulden von über 300 Milliarden Dollar (rund 276 Mrd. Euro) angehäuft. Zinszahlungen konnten nicht mehr pünktlich geleistet werden.

Im Jänner 2022 kündigte das Unternehmen einen Restrukturierungsplan an. Dieser wurde über ein Jahr später im März präsentiert. Wie die britische „Financial Times“ berichtete, sollen noch in diesem Monat Verhandlungen mit Gläubigern in Hongkong stattfinden.

Hauptquartier von China Evergrande Group in Shenzhen
Reuters/Aly Song
Evergrande ist zum Symbol für die Krise des chinesischen Bausektors geworden

Der chinesische Immobiliensektor befindet sich seit geraumer Zeit in einer schweren Krise, für die Evergrande aufgrund seiner schieren Größe zum Symbol geworden ist. Nicht nur profitgierige Immobilienentwickler, die unverhältnismäßig und oft am tatsächlichen Bedarf vorbei gebaut haben, sind für die aktuelle Situation verantwortlich.

Peking hat sich verkalkuliert

Auch Peking trägt seinen Teil dazu bei. Denn bevor die Branche in Schieflage geriet, wurde sie mit harten neuen Regeln zum Schuldenabbau konfrontiert. Im Sommer 2020 verfügte Staatschef Xi Jinping in einer Rede, dass Immobilien als Wohnraum dienen sollten und nicht als Spekulationsobjekte. Etliche Bauentwickler gerieten in Zahlungsschwierigkeiten, weil sie bei den Banken keine weiteren Schulden aufnehmen konnten. Die allzu strengen Regeln wurden oft als Hauptursache der Krise angesehen. Inzwischen hat Peking die Vorschriften wieder etwas gelockert und Hilfe für die Branche signalisiert.

Chinas Präsident Xi Jinping
Reuters/Florence Lo
Xi mahnt die chinesische Bevölkerung zur Geduld angesichts schwacher Wirtschaftswerte

Doch viel Vertrauen ist verspielt, die Verunsicherung groß. Erst vergangene Woche stürzte das Unternehmen Country Garden an der Börse ab, nachdem es zwei Zahlungsfristen für US-Dollar-Anleihen verpasst hatte. Dabei galt der zweitgrößte Entwickler des Landes zuvor als vergleichsweise stabil.

Krise um Country Garden trifft die Massen

Zwar handelt es sich zunächst nur um Zinszahlungen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar, dennoch löste die Nachricht einen Aktiensturz aus: Die Papiere von Country Garden sind seit kurz vor der CoV-Pandemie auf ein Zwanzigstel des damaligen Werts geschrumpft. Der Immobilienentwickler hatte Millionen von Chinesen und Chinesinnen „Fünf-Sterne-Wohnen“ auch in kleineren Städten versprochen. Doch mit der drohenden Schieflage könnte der Traum für die Massen geplatzt sein.

Das träfe nicht nur die Kunden und Kundinnen, sondern auch die Städte und Gemeinden, die über den Verkauf von Grundstücken an Immobilienfirmen und die Grundsteuer große Teile ihrer Einnahmen generierten. 3.121 Projekte in ganz China hat Country Garden nach einem Bericht von Oxford Economics am Laufen – zum Vergleich: Bei Evergrande waren es gerade einmal 800.

Rohbau in Peking
Reuters/Tingshu Wang
Tausende Country-Garden-Projekte stehen derzeit still

Fast eine Million Häuser warten auf ihre Fertigstellung, wie die japanische Investmentbank Nomura schätzt. Und nun könnten die Kleinstädte, die ohnehin knapp bei Kasse sind, nicht nur mit einer Vielzahl halbfertiger Häuser zu kämpfen haben, sondern sich auch ein soziales Problem schaffen.

Im vergangenen Jahr stammten 62 Prozent der Einnahmen von Country Garden aus kleineren und weniger bekannten Städten, wie Dezhou im Norden und Maoming in Süd-China. Gut drei Viertel des Landes, das Country Garden bereits für künftige Projekte gekauft hat, liegt ebenfalls in solchen Gegenden. Doch gerade dort sind sowohl die Immobilienverkäufe als auch die Werte der Häuser in der Konjunkturkrise während und nach der CoV-Krise eingebrochen.

Trübe Aussichten

Die Krise wirkt sich auch auf andere Bereiche der Wirtschaft aus, immerhin generiert der Bausektor mit all seinen zugehörigen Industrien rund 30 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Die Finanzbranche bekommt schon erste Vorzeichen zu spüren: Mit Zhongrong International Trust scheint nun auch eine von Chinas berüchtigten „Schattenbanken“ in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten. Dabei handelt es sich um Finanzunternehmen, die keine Banklizenz haben, aber im Auftrag von Investoren Geld anlegen – oft mit dem Versprechen hoher Zinszahlungen.

Chinas Wirtschaft steckt allgemein in der Krise. Im vergangenen Jahr hatten die strikten Maßnahmen zur Eindämmung der CoV-Pandemie die Wirtschaft stark ausgebremst. Peking hob die Einschränkungen im Dezember auf, doch der erhoffte Aufschwung blieb verhalten, was auch an einer schwachen Nachfrage in Europa und den USA liegt. Aktuelle Konjunkturdaten zu Einzelhandelsumsatz und Industrieproduktion waren enttäuschend. Fachleute bezweifeln, dass China sein für 2023 ohnehin niedrig angesetztes Wachstumsziel von fünf Prozent erreichen wird.

Chinas Wertpapieraufsicht will indessen mit einer Reihe von Maßnahmen den Börsenhandel beleben und das Vertrauen der Anleger stärken. Die Aufsichtsbehörde CSRC kündigte am Freitag unter anderem an, Handelskosten zu senken und Aktienrückkäufe zu unterstützen. Zudem planten die Aufseher, die Entwicklung von Aktienfonds zu fördern. Die CSRC prüfe zudem, Handelszeiten zu verlängern. Die Attraktivität börsennotierter Unternehmen solle erhöht werden.