die chinesische Planstadt Xiong’an
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Hochwasser in China

Hoher Preis für Xis Traumstadt

Geht es darum, rasch neue Gebäude in die Höhe zu ziehen, dann ist China weltweiter Vorreiter. Ein Prestigeprojekt ist die Planstadt Xiong’an. Nicht nur in Sachen Hightech, sondern auch als Beispiel für Nachhaltigkeit soll sie den „Millennium-Plan“ des chinesischen Präsidenten Xi Jingping manifestieren. Doch als große Überschwemmungen kürzlich Xiong’an bedrohten, wurde die Stadt zu einem hohen Preis gerettet.

Denn seit Ende Juli und Anfang August haben Peking sowie die umliegende Provinz Hebei, in der Xiong’an liegt, mit den Folgen der Rekordregenfälle und Überschwemmungen zu kämpfen, die Dutzende von Menschenleben gefordert hatten. Über 1,5 Millionen Menschen mussten fliehen. In den wichtigsten städtischen Gebieten von Xiong’an, in denen Dutzende von Staatsunternehmen ihren Sitz haben bzw. künftig haben sollen, wurden allerdings keine größeren Überschwemmungen gemeldet.

Zu den Prioritäten der Entscheidungsträger gehörte es laut CNN, die Hauptstadt Peking sowie Xiong’an „absolut sicher“ vor den Regenfällen zu machen, die vor etwa einem Monat die Flüsse im Hügelland nördlich von Peking zum Übertreten gebracht hatten. Ende Juli sei dann beschlossen worden, „Hochwasserrückhaltezonen“ in Hebei zu fluten – Gebiete, in denen Hunderttausende von Menschen leben.

Vorwürfe von Bewohnern

Zhuozhou, eine Stadt südlich von Peking, wurde dabei am schlimmsten getroffen. Straßen, Häuser und Wohnviertel wurden von meterhohen Wassermassen überflutet. In den sozialen Netzwerken beklagten einige Bewohnerinnen und Bewohner, sie seien nicht gewarnt worden. Andere sagten, die Evakuierungsaufforderungen seien zu spät gekommen oder hätten nicht erklärt, wie ernst die Lage sei.

Satellitenaufnahme der chinesischen Planstadt Xiong’an im Februar 2017
Satellitenaufnahme der chinesischen Planstadt Xiong’an im Mai 2023
picturedesk.com/Eyevine/China Center for Resources Satel picturedesk.com/Eyevine/China Center for Resources Satel
Ein Vorher-nachher-Bild von Xiong’an zeigt die Bebauung des Gebiets

Auch in Bazhou, einer weiteren Stadt in Hebei, wurden Siedlungen und Ackerland überschwemmt. Dutzende von Einwohnerinnen und Einwohnern protestierten laut Videos in den sozialen Netzwerken vor den Büros der Stadtverwaltung und forderten Entschädigungen. Auf einem roten Transparent stand etwa: „Gebt mir mein Zuhause zurück. Die Überschwemmung wurde durch das Ableiten des Hochwassers verursacht, nicht durch starke Regenfälle.“ Nach chinesischem Recht haben Überschwemmungsopfer Anspruch auf Entschädigung für 70 Prozent der entstandenen Schäden.

Provinzchef: Hebei „Graben“ für Peking

Sogar einige Beamte deuteten an, das Ziel der Hochwasserableitung sei gewesen, den Schaden in Peking und Xiong’an sowie der strategisch wichtigen Hafenstadt Tianjin so gering wie möglich zu halten. Vor allem der Parteichef von Hebei, Ni Yuefeng, verärgerte einige in der Kommunistische Partei Chinas (KPCh), als er beklagte, dass seine Provinz als „Graben“ für Peking herhalten müsse. Die Zensurbehörde löschte seine Äußerungen später aus dem chinesischen Internet.

Nach Ansicht einiger von CNN befragter Expertinnen und Experten waren offiziell verschiedene Faktoren ausschlaggebend dafür, wie und wohin das Hochwasser umgeleitet wurde – darunter die Geschwindigkeit und die Stärke der Fluten, der Pegelstand der umliegenden Stauseen sowie bestehende Richtlinien und Vorschriften zum Hochwassermanagement. Angesichts der mangelnden Transparenz seitens der chinesischen Behörden bleibe es allerdings unklar, warum genau die Entscheidungen getroffen worden seien, die zu den Überschwemmungen in Hebei geführt hätten, so der Sender.

Überschwemmung in Zhuozhou (China)
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Andere Städte und Dörfer in der Provinz Hebei wurden stark überschwemmt

In Vorbereitung auf die starken Regenfälle Ende Juli hatte allerdings Chinas Minister für Wasserressourcen, Li Guoying, Beamte angewiesen, Pläne zur Umleitung des Hochwassers zu erstellen, um „das Hochwasser außerhalb des Stadtgebiets von Xiong’an zu halten und den Druck auf die dort neu gebauten Dämme zu verringern“.

Sumpfgebiet mit „Standortvorteil“?

Dass das Gebiet anfällig für Hochwasser ist, wusste man allerdings schon davor. Xiong’an liegt tief und zeichnet sich durch eine Sumpflandschaft aus. Schon in der Planungsphase kamen CNN zufolge Experten, die Grund und Boden des Gebiets bewertet hatten, zu dem Schluss, dass bei einer Bevölkerungszahl von fünf Millionen etwa die Hälfte im Falle eines Jahrhunderthochwassers gefährdet sein würde.

„Das neue Gebiet hat einen offensichtlichen Standortvorteil und verfügt über reiche Landressourcen, aber es gibt auch einige Probleme wie zum Beispiel den Mangel an Trinkwasserquellen, die starke Verschmutzung von Flüssen und das hohe Risiko von Hochwasserkatastrophen“, heißt es dazu in einer von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften veröffentlichten Bewertung.

Der chinesische Präsident Xi Jinping besucht die Planstadt  Xiong’an
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Xiong’an ist Insidern zufolge ein Lieblingsprojekt des chinesischen Präsidenten

Der prominente Ingenieur und Politiker Xu Kuangdi, ehemaliger Bürgermeister von Schanghai, spielte jedoch die Bedenken herunter. Er erwähnte etwa die traditionelle chinesische Philosophie und die nationale Bedeutung des Feuchtgebiets als Schauplatz von Guerillakämpfen gegen die eindringenden japanischen Truppen während des Zweiten Weltkriegs.

Moderne Dämme und Schwammstadt-Merkmale

Trotz allem ist Xiong’an mit modernen Dämmen ausgestattet, wie die Website der Bezirksregierung zeigt – anders als viele andere Städte in Hebei. Dazu gehört diverse Infrastruktur, die großen Wassermengen standhalten kann, sowie Funktionen einer Schwammstadt, etwa durchlässige Oberflächen, die Wasser absorbieren.

Präsident Xi nannte als einen der Hauptgründe für die Errichtung von Xiong’an einst, die Hauptstadt Peking wirtschaftlich entlasten zu wollen. Konzepte der Urbanisierung und Nachhaltigkeit sollten dabei im Vordergrund stehen. Expertinnen und Experten gehen laut CNN aber vielmehr davon aus, dass eine wachsende Bevölkerung und die zunehmende wirtschaftliche Entwicklung das ohnehin bestehende Risiko der Auswirkungen von Naturkatastrophen in der Region verschärfen werden – ebenso wie die menschengemachte Klimakrise, die extreme Wetterereignisse häufiger, intensiver und unvorhersehbarer macht.