Rosstuhlfahrerin
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Behindertenrechtskonvention

Österreich auf dem Prüfstand

Zehn Jahre nach der ersten Kontrolle steht Österreich erneut auf dem Prüfstand: Die UNO wird sich in den kommenden Tagen mit der Frage beschäftigen, inwieweit die Republik die bindende Behindertenrechtskonvention umsetzt. Bereits in der Vergangenheit orteten Fachleute großen Nachholbedarf. Bei einer Aussprache in Genf rückten bekannte Mängel in den Vordergrund.

Am Dienstag und Mittwoch beginnt die UNO mit der Staatenprüfung. Doch schon am Montag hatten sich Vertreter und Vertreterinnen aus der Zivilgesellschaft in Genf mit dem zuständigen UNO-Fachausschuss über die Situation von Menschen mit Behinderungen ausgetauscht. Es habe ein „ausführliches Gespräch“ stattgefunden, in dem „wir die größten Mängel“ präsentiert haben, sagt Christina Wurzinger vom Österreichischen Behindertenrat im ORF.at-Gespräch.

Wurzinger ist Referentin für die EU und internationale Angelegenheiten und derzeit mit einer Delegation in Genf. Am Dienstag und Mittwoch wird der UNO-Fachausschuss den Vertretern und Vertreterinnen der Republik auf den Zahn fühlen. Im Vorfeld hatte die Zivilgesellschaft die Chance, den Mitgliedern mitzuteilen, „wo der Schuh in Österreich am meisten drückt“, so Wurzinger. Man habe insbesondere strukturelle Themen angesprochen, wie etwa die mangelnde Kooperation zwischen Ländern und Bund, wenn es um die Umsetzung der Konvention geht.

Behindertenrechtskonvention

Österreich hat die UNO-Konvention als einer der ersten Staaten 2007 unterzeichnet und 2008 ratifiziert und verpflichtete sich damit zur Umsetzung. Ihre Einhaltung wird regelmäßig von der UNO kontrolliert.

Weitere Themen seien das Bildungssystem, die Raumordnung, die Barrierefreiheit und die Digitalisierung gewesen, sagt Wurzinger. Nach der Präsentation hätten die Ausschussmitglieder Nachfragen gestellt. Die Antworten der Delegation fließen in die Befragungen am Dienstag und Mittwoch ein. „Wir haben einige Informationen geliefert“, sagt die Expertin des Behindertenrates.

Rück- statt Fortschritte wahrgenommen

Seit Jahren wird Österreich vorgeworfen, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO‑Behindertenrechtskonvention) nur mangelhaft umzusetzen. 2013 fand die erste Staatenprüfung statt. Damals sprachen die UNO-Fachleute knapp zwei Dutzend Empfehlungen aus, welche Maßnahmen Österreich ergreifen muss, um seinen Pflichten gerecht zu werden.

Zehn Jahre später wird die Frage geklärt, ob die Empfehlungen umgesetzt wurden. Bereits 2019 übermittelte Österreich dem UNO-Fachausschuss einen ausführlichen Bericht über die Maßnahmen, die seit 2013 getroffen wurden. Kritiker und Kritikerinnen warfen der Republik zum Teil „Schönfärberei“ vor. Für die Staatenprüfung werden aber auch Berichte von Behindertenverbänden herangezogen, die in der Regel kritischer sind als die Antworten Österreichs.

Mitglieder des österreichischen Behindertenrats
Österreichischer Behindertenrat
Eine Delegation der Zivilgesellschaft hat sich vor der eigentlichen Staatenprüfung mit dem UNO-Fachausschuss unterhalten

Die Empfehlungen von 2013 seien „punktuell“ umgesetzt worden, sagt Expertin Wurzinger. Sie hebt etwa das Erwachsenenschutzgesetz und den Unabhängigen Monitoringausschuss zur Einhaltung der Konvention hervor, der besser ausgestattet worden sei. Die meisten Empfehlungen sind aus Sicht des Behindertenrates aber nur stückchenweise in Angriff genommen worden. Im Bildungsbereich habe es in den vergangenen Jahren sogar Rück- statt Fortschritte gegeben.

Zu dem Ergebnis kam jüngst auch der Monitoringausschuss. „Gerade in den letzten Jahren vermehren sich die Anzeichen für Rückschritte“, hielten die Fachleute in einem Sonderbericht über die inklusive Bildung fest. Der Politik attestierte man eine ausgeprägte „Gleichgültigkeit und Passivität“ bezüglich der Verpflichtungen zur Umsetzung der Ziele der UNO-Behindertenkonvention. Inklusive Bildung sei „strukturell chronisch unterfinanziert“.

Sorgen wie vor zehn Jahren

Schon Anfang August hatten Fachleute in einer Pressekonferenz auf Lücken bei der Umsetzung der Konvention aufmerksam gemacht. Säumig sei der Staat nicht nur bei der Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems, sondern auch bei der persönlichen Assistenz und bei Hilfsangeboten für Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Der Monitoringausschuss forderte etwa eine Implementierung von Gewaltschutzkonzepten für Behinderteneinrichtungen und eine umfassende Barrierefreiheit im Opfer- und Gewaltschutz.

Schon 2013 hielt der UNO-Fachausschuss in seinen Empfehlungen fest, dass eine substanzielle Gleichheit zwischen Frauen und Männern in Österreich noch nicht erzielt wurde. „Frauen mit Behinderungen werden aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung mit mehrfachen Formen der Diskriminierung konfrontiert und sind der Gefahr sexueller Gewalt und des Missbrauchs ausgesetzt“, hieß es damals im Bericht.

Auch beim Thema Föderalismus scheint es ein Deja-vu zu geben. In vielen Ländergesetzen hätten Aspekte aus den Konventionszielen Eingang gefunden, aber auch hier „in den wenigsten Bereichen auf fundierte und strukturierte Art und Weise“, so Behindertenanwältin Christine Steger. In den Ländern gebe es teils sehr unterschiedliche Standards. 2013 zeigte sich der UNO-Fachausschuss besorgt darüber, dass der Föderalismus die Umsetzung der Rechte für Menschen mit Behinderungen „zersplittert“.