Herbert Kickl beim Sommergespräch 2023
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

Kickl will „Lead in Koalitionsverhandlungen“

Als dritter Parteichef hat FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl die ORF-Interviewserie „Sommergespräche“ am Montag fortgesetzt. Er betonte einmal mehr seine Position zur Zuwanderung und zum Verhältnis seiner Partei zu den rechtsextremen Identitären, die er als „NGO von rechts“ bezeichnete. In Sachen Teuerung forderte er einen Mindestlohn – notfalls auch gesetzlich verankert, Politikergehälter sollten laut Kickl auch auf Landesebene eingefroren werden. Für die kommende Nationalratswahl erhoffe er sich Platz eins und damit „das Lead in Koalitionsverhandlungen“.

Wie schon NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler empfing Moderatorin Susanne Schnabl auch Kickl im Parlament und im reduzierten Setting eines Sprechzimmers, das im Normalbetrieb als Besprechungsraum und Telefonkammerl genutzt wird.

Von Schnabl auf den Personalmangel in Gastronomie und Tourismus als Beispiel für die österreichische Problematik auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, ortete Kickl „eine ganz grundlegend verfehlte Corona-Politik“. „In dieser Zeit haben sich sehr viele Menschen umorientiert, weil sie einfach mit dieser Unsicherheit nicht mehr umgehen wollten. Das fällt uns natürlich jetzt auf den Kopf.“

„Sommergespräch“ mit FPÖ-Chef Kickl

Eigentlich könnte es für Herbert Kickl nicht besser laufen. Seine FPÖ liegt in Umfragen aktuell zwischen 25 und 30 Prozent. Doch intern kriselt es. Im Streit um Politgehälter zeigen ihm die Landeschefs erstmals Grenzen auf. In Wien weitet sich die Spesenaffäre aus, in Graz der Finanzskandal. Im „Sommergespräch“ kündigt der FPÖ-Obmann Konsequenzen an.

Dass Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland trotz der Arbeitsmarktfreizügigkeit nicht nach Österreich kommen würden, liege daran, „dass sie für dieselbe Arbeitszeit in Österreich viel weniger Netto vom Brutto herausbekommen“ als anderswo. Zuwanderung aus dem EU-Ausland befürworte er, für bestimmte Bereiche „zeitlich begrenzt und nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Erfordernissen“.

Gastarbeitende „maximal eine Übergangslösung“

Generell seien Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aber „maximal eine Übergangslösung“. Im Bereich der Pflege und im Gesundheitswesen müsse man das Geld aus der „unglaublichen Bürokratie“ zu den Menschen, die in dem Bereich tätig seien, bringen. Zusätzlich müsste die Ausbildung reformiert werden, um das Berufsfeld zu attraktivieren und die häusliche Pflege zu erleichtern, man müsse „die Angehörigen und das familiäre Umfeld entsprechend unterstützen, durch höhere finanzielle Zuwendungen, durch Anrechnungen für die Pensionszeiten“, so Kickl. Das sei immer die billigere Variante als die Unterbringung in einem Heim.

Arbeitsmigration für Kickl „maximal eine Übergangslösung“

Um den Fachkräftemangel in Österreich zu beheben, sei die Zuwanderung „maximal eine Übergangslösung“, so Kickl. Es sei ein Maßnahmenpaket nötig, um etwa im Pflegebereich gegensteuern zu können.

Übergeleitet von der Arbeitsmigration auf die Position der FPÖ zu den rechtsextremen Identitären angesprochen, führte Kickl aus, dass die Identitären eine „NGO von rechts“ sei, die nicht verboten sei. Wenn die Identitären ein politisches Projekt oder eine Initiative betreiben, die aus FPÖ-Sicht in Ordnung sei, dann würde er das unterstützen.

„Das ist genau das Gleiche, wie wenn Greenpeace irgendwo politisch irgendwas vorantreibt oder von mir aus Global2000 den Kampf gegen die Gentechnik in den Lebensmitteln, dann halte ich das auch für ein unterstützenswertes Projekt.“ Die Remigrationsforderung der Identitären befürworte er für jene Menschen aus dem Ausland, „die glauben, unter dem Vorwand und dem Deckmantel des Asyls in Österreich Fuß fassen zu können und dann von der Mindestsicherung leben“.

Forderung nach Mindestlohn mit Inflationsanpassung

In Sachen Teuerung betonte Kickl, dass seine Forderung nach einem Mindestlohn – vorstellen könnte er sich etwa 2.000 Euro brutto – aufrecht sei, dieser müsse auch inflationsangepasst werden – „das ist vollkommen klar“. „Wenn die Sozialpartner das nicht zusammenbringen oder nicht zusammenbringen wollen, dann wird man über einen gesetzlichen Mindestlohn diskutieren müssen“, so Kickl, auch das sei keine neue freiheitliche Position.

Forderung nach Mindestlohn

Kickl betonte seine Forderung nach einem Mindestlohn von etwa 2.000 Euro brutto. Für Politikerinnen und Politiker auf Bundes- und Landesebene forderte er hingegen eine Nulllohnrunde.

Nulllohnrunde für Politikergehälter auch auf Landesebene

Weil die Idee einer Nulllohnrunde für Spitzenpolitiker auf Landesebene zuletzt zu Diskussionen in der FPÖ geführt hatte, erklärte Kickl nun, er wolle die Gehälter von Politikerinnen und Politikern nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene umsetzen.

Er plane einen entsprechenden Antrag in der Nationalratssitzung am Jahresende und lade ÖVP und SPÖ ein, dem zuzustimmen. Wenn sie nicht zustimmen würden, dann wisse er, dass die ÖVP in Salzburg und Oberösterreich, wo sich ÖVP-FPÖ-Koalitionen für eine Inflationsanpassung ausgesprochen hatten, als stärkere Partei den „koalitionären Druck, den Sachzwang“ ausgeübt habe. „Die FPÖ ist selbstbewusst, und deswegen ist es so wichtig, dass wir in Zukunft die Nummer eins sind“, es mache auch im Bund einen „entscheidenden Unterschied, wer eine Regierung anführt“.

„Unschuldsvermutung ein ganz hoher Wert“

Angesichts der vergangene Woche bekanntgewordenen Anklage gegen den ehemaligen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und mehrerer laufender Verfahren gegen FPÖ-Politiker erklärte Kickl, dass er nichts von Vorverurteilungen halte, es aber immer von der Situation abhänge. „Für mich ist die Unschuldsvermutung ein ganz hoher Wert“, man müsse aber unterscheiden, um welches Delikt es gehe, ob man als Politiker oder Politikerin Konsequenzen ziehe.

Unschuldsvermutung für Kickl „ganz hoher Wert“

Ob ein Politiker oder eine Politikerin bei einer Anklage oder erst bei rechtskräftiger Verurteilung zurücktreten solle, ist nach Kickl „von der Situation abhängig“. Es gelte jedoch die Unschuldsvermutung, die ein „ganz hoher Wert“ sei.

Klimakrise: „Hausverstand und Verhältnismäßigkeit“

Auf die Frage, ob die FPÖ angesichts der aktuellen Extremwetterereignisse im heurigen Sommer ihre Position zur Klimakrise geändert hätte, erklärte Kickl, er halte es für eine „zu einfache Antwort auf eine komplexe Frage“, wenn man eine Kausalität zwischen Wetter und Klima herstelle. Es gehe ihm und der FPÖ in der Klimadebatte um „Hausverstand und Verhältnismäßigkeit“. Das heiße natürlich, „dass wir erneuerbare Energien ausbauen, aber dass wir nicht übers Knie eine komplette Umstellung des Systems in ein paar Jahren, die Hunderte Milliarden Euro kostet und unsere Wirtschaft zerstört und auch noch die Chinesen fördert, unterstützen“. Der CO2-Ausstoß Österreichs ändere „am Weltklima und an den Niederschlägen, wenn sie damit zusammenhängen, nicht das Mindeste“.

Zu Klimafragen würde Kickl in Regierungsverantwortung generell auch die Bevölkerung befragen, wie er generell die direkte Demokratie stärker bedienen würde, das sehe er auch als Koalitionsbedingung. „Alles das, was man im Nationalrat beschließen soll, das muss der Möglichkeit nach auch das Volk beschließen können.“ Als stimmenstärkste Partei könnte die FPÖ das „Lead in den Koalitionsverhandlungen haben“ und würde automatische Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren „verlangen“.

Kickl will Bevölkerung bei Klimapolitik mitentscheiden lassen

In Koalitionsverhandlungen würde die FPÖ nach der nächsten Nationalratswahl automatische Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren verlangen und dann auch über Klimafragen abstimmen lassen.

Van der Bellen „antidemokratisch“

Er würde sich, wäre er Regierungschef, als „Volkskanzler“ sehen. Er habe dabei nicht etwa an Adolf Hitler gedacht, sondern an Leopold Figl, beteuerte er. „Es heißt ja nichts anderes als ein Kanzler aus dem Volk für das Volk. Das ist was anderes als ein Kanzler aus dem System für das System.“ Dass ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht als Bundeskanzler angeloben wolle, verurteilte er als „antidemokratisch“.

Der Präsident würde damit deutlich machen, dass es in diesem Land Stimmen gebe, die mehr wert seien – „die für die anderen Parteien“, und solche, die weniger wert seien – „das sind diejenigen, die die freiheitliche Partei unterstützen“. Dass auch die anderen Parteien dem nicht widersprochen hätten, sieht Kickl als „Verschwörung gegen die Bevölkerung“. Angesichts der aktuellen Umfragen hoffe er, dass seine Partei bei den Nationalratswahlen so abschneide, dass eine Zweierkonstellation nur mit der FPÖ möglich wäre.

Analyse: „Drei Kickls gesehen“

In der anschließenden Analyse in der ZIB2 mit dem Politologen Peter Filzmaier und „profil“-Journalistin Eva Linsinger hieß es, dass Kickl phasenweise versucht habe, weniger rabiat aufzutreten. Das habe er aber nicht durchgehalten, so Linsinger. Auffällig sei gewesen, dass das Thema Ausländer gefehlt hätte, das Feindbild seien nun „die Eliten“.

Filzmaier sagte, man habe „drei Kickls gesehen“: Zuerst angriffig, dann habe er mit „feinem Florett gefochten“, wo er sich staatsmännischer gegeben habe. Gegen Ende sei es wieder in Richtung „Vorschlaghammer gegangen“. Kickl habe Kritik an der Elite geübt, dabei sei die FPÖ systeminhärent, das treffe sowohl auf die Partei als auch auf Kickl selbst zu, so Filzmaier.

Analyse des ORF-„Sommergesprächs“

Dritter Gast bei den „Sommergesprächen 2023“ ist FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl. Danach analysieren in der ZIB2 der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und „profil“-Journalistin Eva Linsinger.

Inhaltlich habe es kaum Überraschungen gegeben – generell sei Kickl vor allem „dagegen“ gewesen. Gegen Gendern, gegen ORF-Gebühren, gegen Eliten – doch habe er keine Konzepte geliefert. Inhaltlich sei der Aufritt „kein starker gewesen“, das sei aber für die Wählerschaft gar nicht so wichtig, so Linsinger, die FPÖ würde als „Zornsammelstelle, die alle Zornigen einsammelt“ positioniert.

„Die Chance von Kickl heißt ÖVP“

Der von Kickl einmal mehr stark kritisierte Bundespräsident sei völlig frei, so Linsinger, wen er mit der Regierungsbildung beauftrage. Spannend werde sein, wie sich die ÖVP verhalten werde. Zwar werde versucht, Kickl derzeit als „Sicherheitsrisiko“ darzustellen, doch habe man in Salzburg und Niederösterreich gesehen, dass sich die Dinge fallweise anders entwickeln könnten. „Die Chance von Kickl heißt ÖVP“, so Filzmaier.