Oliver Anthony
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
Politisch vereinnahmt

Umstrittener Song an Spitze der US-Charts

Der größtenteils unbekannte Musiker Oliver Anthony hat sich mit seinem Country-Song „Rich Men North of Richmond“ an die Spitze der US-Charts gesetzt – und damit Megastars wie Taylor Swift hinter sich gelassen. Der Song über Steuern, Sozialhilfebetrug und Jeffrey Epstein löste zuletzt eine heftige politische Debatte in den USA aus und wird vor allem von der Rechten vereinnahmt. Der plötzliche Erfolg gibt dabei durchaus Rätsel auf.

In seinem Video zu „Rich Men North of Richmond“ ist Anthony mit rotem Bart und Resonatorgitarre zu sehen. Mit kratziger, eindringlicher Stimme prangert er darin allerlei Dinge an, mit denen er durchwegs auf Linie der US-Republikaner liegt – wenngleich er sich selbst politisch „ziemlich genau in der Mitte“ verortet.

Jedenfalls hat er mit seinem Song ganz offensichtlich einen Nerv getroffen: Nach nur 13 Tagen hält das Video auf YouTube aktuell bei 31 Millionen Klicks. „Rich Men“ wurde 17,5 Mio. Mal gestreamt und 147.000-mal heruntergeladen. Und zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der US-Charts steigt eine Debütsingle direkt auf Platz eins ein, „ohne vorherige Chart-Geschichte“, wie das Unternehmen Billboard am Montag mitteilte.

Song befeuerte politische Debatte

Der plötzliche Chart-Erfolg mag zwar überraschend wirken, kündigte sich in den vergangenen Wochen aber an, nachdem Anthonys Song politisch heftig debattiert wurde. Der Text ist zum Teil Arbeiterhymne, wie der „Guardian“ schreibt („I’ve been sellin’ my soul, workin’ all day / Overtime hours for bullshit pay“, „Hab meine Seele verkauft, rund um die Uhr gearbeitet / Überstunden gemacht für Scheißbezahlung“), kritisiert hohe Steuern und spielt selbst auf Kindesmissbrauch und Epstein an.

Oliver Anthony
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
Anthony selbst sieht sich politisch in der Mitte

Bei einem Konzert in North Carolina am Wochenende sagte er dem Sender Fox News: „So, wie es gerade läuft, sehe ich nicht, dass unser Land noch eine weitere Generation überlebt. Wir müssen zu den Wurzeln dessen zurückkehren, was dieses Land einst groß gemacht hat.“ In Anthonys anderen Songs geht es oft um Cannabis, und an sich dürfte er sich vor allem ein Amerika „von damals“ zurückwünschen, sieht man sich die Songs genauer an, schrieb der „Rolling Stone“ zuletzt.

Rechte Influencer von Song begeistert

Song und Sänger fanden zuerst vor allem bei rechten Politikern und Influencern Anklang. Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene erklärte auf Twitter (X), Anthonys Lied sei das, „was Washington DC hören muss“. Auch der Aktivist und Kommentator Matt Walsh sowie der Ex-Banjo-Spieler der Band Mumford & Sons, Winston Marshall, fanden an dem Song Gefallen. Walsh twitterte: „Der Hauptgrund, warum dieses Lied bei so vielen Menschen Anklang findet, ist nicht politisch. Es ist, weil das Lied direkt und authentisch ist. Wir sind von Künstlichkeit erdrückt.“

Feedback kam aber auch von den Demokraten: Senator Chris Murphy twitterte, dass auch „Progressive diesen Song hören“ sollten. Nicht nur, weil es ein gutes Lied sei, sondern, weil es eine „Neuausrichtung“ zeige: „Anthony singt über die Seelenlosigkeit der Arbeit, Scheißlöhne und die Macht der Eliten. Alles Probleme, für die die Linken bessere Lösungen haben als die Rechten.“

Fans bei einem Konzert von Oliver Anthony in Moyock, N.C.
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
Bei Konzerten, hier in North Carolina, herrscht großer Andrang

Anthony selbst bleibt bei düsteren, aber relativ unpolitischen Ansagen. Nach seinem Chart-Erfolg bedankte er sich gegenüber Billboard in erster Linie bei seinen Fans: „Die Hoffnungslosigkeit und Frustration unserer Zeit spiegelt sich in der Reaktion auf diesen Song wider. Der Song selbst ist nichts Besonderes, aber die Menschen, die ihn unterstützt haben, sind unglaublich und verdienen es, gehört zu werden.“

Chart-Zusammenstellung als Faktor

Dass Anthony bisher nicht in Erscheinung getreten ist und sein Song jetzt rasant an Bekanntheit gewinnt, ließ zuletzt laut „Variety“ bei einigen Zweifel aufkommen, ob der Erfolg wirklich so zufällig gekommen sei. Beweise, dass er aus irgendeinem Lager Unterstützung bekommen habe, gebe es aber keine, so das Branchenblatt.

Neben dem viel diskutierten Songtext und der daraus entstandenen Debatte sieht die „New York Times“ („NYT“) auch das Zustandekommen der Charts als Faktor für den rasanten Aufstieg von Anthony. Denn kostenpflichtige Downloads, wie etwa aus Apples iTunes-Store, werden bei der Reihung stärker gewichtet – und so kann man durchaus die Chartposition mit Geld beeinflussen. Das ist in der Vergangenheit etwa von Fans ausgegangen, die die K-Pop-Band BTS an die Spitze der Charts katapultieren wollten.

Fan von Oliver Anthony trägt Shirt mit der Aufschrift „In Oliver We Trust“
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
In seinen Songs beschwört Anthony häufig ein Amerika „von damals“

Die Musikerin Jaime Brooks sagte gegenüber der Zeitung, dass Menschen, die sich für bezahlte Downloads entscheiden, das aus einem Grund tun. „Sie tun das aus sentimentaler Verbundenheit mit einer alten Art des Musikhörens oder weil sie etwas anderes davon haben“, sagte Brooks. Das könnte etwa „die Präsenz der Lieblingskünstler in den Charts sein. Und jetzt gibt es diese Leute, die ein offensichtliches Interesse daran haben, die Charts zu nutzen, um den Eindruck zu erwecken, dass ihre Nischenüberzeugungen oder -ansichten populär sind.“

Weiterer umstrittener Country-Song erst vor Kurzem

Mit gerade einmal 147.000 Downloads ist der Song dem zweiten Platz in den Charts um das Zehnfache voraus. Und es ist nicht das erste Mal, dass ein umstrittener Song derartig rasant Aufmerksamkeit gewinnt. US-Medien erinnert der Erfolg Anthonys an jenen von Jason Aldean, der mit seinem Song erst vor wenigen Wochen für Aufregung in der US-Politik sorgte. Gegen „Try That in a Small Town“ wirkt Anthonys Song aber nach feiner Klinge: „Du glaubst, du bist cool, wenn du einem Polizisten ins Gesicht spuckst, auf die Flagge trittst und sie anzündest“, heißt es an einer Stelle. „Probier das in einer Kleinstadt“, so der fast drohend wirkende Refrain.

Vor allem das Musikvideo sorgte für Debatten: Im Hintergrund des Videos waren Bilder aus den „Black Lives Matter“-Protesten zu sehen – die wurden mittlerweile entfernt, aus urheberrechtlichen Gründen, wie das Plattenlabel bekanntgab. „Was für eine beschämende Vision von Waffenextremismus und Selbstjustiz“, schrieb der demokratische Abgeordnete Justin Jones auf Twitter (X). Gewaltverherrlichung habe „nichts mit kleinen Städten oder Amerika zu tun“, kommentierte die US-Sängerin Sheryl Crow.

Und während Anthony sich selbst als Teil der Mitte sieht, feierte Aldean mit Ex-Präsident Donald Trump Weihnachten. Auch andere Country-Künstler bekennen sich zu den Republikanern, wie etwa Kid Rock und Ted Nugent. Viele andere Künstlerinnen und Künstler unterstützen jedoch die Demokraten, auch das führte in der Vergangenheit immer wieder zu Debatten.