Demonstranten protestieren gegen neues Gefängnis
IMAGO/ZUMA Wire/Gina M Randazzo
Chinatown

Wirbel um geplanten Gefängnisturm

Im New Yorker Stadtteil Chinatown soll der wohl größte Gefängnisturm der Welt entstehen. Konkret handelt es sich um eine jener Haftanstalten, die die berüchtigte Gefängnisinsel Rikers Island in den kommenden Jahren ersetzen werden. Bei der Bevölkerung und lokalen Betrieben sorgen die Pläne jedoch für großen Unmut. Der Turm drohe zu einem „hässlichen Symbol der Masseninhaftierung“ zu werden, sagen diese.

Das liegt allein schon an der schieren Größe des Projekts: Gut 90 Meter soll der Gefängnisturm messen. Er wäre damit fast so groß wie die Freiheitsstatue, die 93 Meter hoch ist. Die Stadtregierung treibt das Vorhaben angesichts des bevorstehenden Endes von Rikers Island voran. Immerhin: Die Räumung des größten Gefängnisses der Stadt – konzipiert für über 10.000 Personen – wurde bereits 2019 beschlossen.

Rikers Island gilt in den USA und darüber hinaus als Sinnbild für die Gewalt und das Elend hinter Gittern. Bis 2027 soll die Einrichtung durch vier kleinere Gefängnisse in Brooklyn, der Bronx, Queens und Manhattan (bzw. Chinatown) abgelöst werden. Die Haftanstalt in Chinatown soll Planerinnen und Planern zufolge eine „menschlichere Institution“ in unmittelbarer Nähe von Gerichtsgebäuden der Stadt sein.

Blick auf Rikers Island
Reuters/Mike Segar
Die Gefängnisinsel Rikers Island, auf der sich insgesamt zehn Haftanstalten befinden, steuert auf ihre Schließung zu

Der Bau des Turms verzögert sich aber deutlich, schreibt der „Guardian“. Das liege unter anderem am breiten Widerstand der Bevölkerung, heißt es in der britischen Zeitung. Selbst der New Yorker Bürgermeister Eric Adams war einst gegen das Vorhaben – das war allerdings noch zu jener Zeit, als der Demokrat für das Bürgermeisteramt kandidiert hatte.

„Lebensqualität beeinträchtigt“

Bewohnerinnen und Bewohner befürchten, dass das 45-stöckige und über zwei Milliarden US-Dollar schwere Projekt zu einer erhöhten Polizeipräsenz und weiteren Hochhausgefängnissen in der Umgebung führen könnte, berichtet die „New York Post“. Zur Belastungsprobe werde das Projekt für Anrainer und hiesige Geschäftsleute schon jetzt: Damit das Hochhausgefängnis entstehen kann, muss erst ein anderes Gebäude abgerissen werden.

„Die Lebensqualität wird durch die Abbrucharbeiten bereits beeinträchtigt“, wird der Anrainer und Restaurantbetreiber Zhan Chen in der „New York Post“ zitiert. Bewohnerinnen und Bewohner eines umliegenden Seniorenheims litten nicht nur am Lärm, sondern vor allem an der schlechten Luftqualität. Von der Coronavirus-Pandemie gebeutelte Geschäftstreibende fürchten wiederum um weitere Einbußen.

Blick auf Chinatown in New York
IMAGO/Zoonar/.com/dalibor brlek
Bewohner und Geschäftstreibende des New Yorker Chinatowns legen sich gegen die Pläne quer

„Mehr als ein Drittel der 300 Restaurants in Chinatown sperrten während der Pandemie zu“, sagt Wellington Chen, Chef des Vereins Chinatown Business Improvement District (Chinatown BID). Der Verein setzt sich für bessere Rahmenbedingungen für lokale Betriebe ein. Neue Lokale würden nur sehr zäh aufsperren – das bringt Chen neben einem Anstieg an Hassverbrechen, die sich gegen aus Asien abstammende Menschen richtet, auch mit der Demolierung in Zusammenhang.

Haftanstalt muss Hochhausgefängnis weichen

Konkret muss dem neuen Gefängnisturm die unter New Yorkern als „Tombs“ (Gräber, Anm.) bekannte Haftanstalt Manhattan Detention Complex weichen. Die Haftbedingungen in der Anstalt gelten als trostlos. Das soll sich mit der neuen Haftanstalt ändern – dreimal so viele Stockwerke soll diese laut „Guardian“ umfassen. An der Bettenanzahl dürfte sich hingegen wenig ändern – 900 gibt es derzeit. Dazu kommen Erholungsbereiche, ärztliche Abteilungen und Besucherbereiche mit Spielzimmern für Kinder.

Die Skepsis der Bevölkerung bleibt groß. Das liegt auch daran, dass die konkreten Pläne für das Hochhausgefängnis weiterhin nicht bekannt sind. Die Stadt entschied bisher noch nicht, welches Bauunternehmen sie für Design und Bau des Gebäudes beauftragen möchte – und das, obwohl die Abrissarbeiten in vollem Gange sind. „Das ist so, wie wenn man eine Brücke baut, während man sie überquert“, sagt Jan Lee. Lee rief die Bewegung Neighbors United Below Canal Street ins Leben, die sich gegen das Gefängnis querlegt.

„Jail Town“ statt Chinatown?

Lee erwartet ein „riesiges Gebäude, das sich in alle Richtungen über zwei bis drei Blocks erstreckt und so groß wie die Freiheitsstatue ist“, sagt er dem „Guardian“. In der Innenstadt werde das Hochhausgefängnis überall sichtbar sein. Gemeinsam mit einem benachbarten Gefängnis und dem Strafgericht werde Chinatown bald als „Jail Town“ bekannt sein, meint er.

In den USA tragen Haft- bzw. Justizvollzugsanstalten unterschiedliche Bezeichnungen. „Jail“, „prison“, „correctional center“, „detention center“ und andere, es gibt Bundesgefängnisse und solche, die seitens der Bundesstaaten, Bezirke und Städte betrieben werden. „Jails“ entsprechen am ehesten Untersuchungsgefängnissen hierzulande bzw. solchen für kurze Strafen, „prisons“ Gefängnissen, in denen die Insassen längere bis lebenslängliche Haftstrafen verbüßen.

Sorge um Zustand bestehender Gebäude

Das Hochhausgefängnis in Chinatown fällt in die Kategorie „Jail“. Die Architekturhistorikerin Kerri Culhane rechnet damit, dass es „unverhältnismäßig groß“ ausfallen werde und dass dessen Schatten womöglich die Manhattan Bridge erreichen könnte. Dadurch würde es zum „prägenden architektonischen Merkmal der Gegend“, sagt sie.

Lee, der im April mit weiteren Anwohnern und Anwohnerinnen einen Sitzstreik veranstaltet hatte, verweist auf die schlechte Baustruktur der umliegenden Gebäude. „Das sind Gebäude, die billig gebaut wurden, nicht mit Stahl verstärkt sind und auf sehr flachen Fundamenten stehen“, sagt Lee. Unter dem Gelände liegen ein ehemaliger Teich und eine Giftmülldeponie begraben, die entwässert werden müssten, bevor der neue Turm gebaut werden könnte. „Wir sprechen von Hunderten Familien, die möglicherweise über Nacht in Sicherheit gebracht werden müssen.“

Dass es bei den Plänen immer wieder zu Verzögerungen kommt, sieht der Stadtrat Christopher Marte als Vorteil. Er hält es für möglich, dass der Stadt mit der Zeit das Geld für das milliardenschwere Vorhaben ausgehe. Die Stadt will an den Plänen trotz aller Kritik festhalten.