Frans Timmermans und Maros Stefcovic
AP/Virginia Mayo
Sefcovic übernimmt

Neues Gesicht für Europas „Green Deal“

Klimaneutralität bis 2050: Dieses ehrgeizige Ziel steht seit 2019 im Mittelpunkt der damals von Ursula von der Leyen übernommenen EU-Kommission. Mit Frans Timmermans hat nun die treibende Kraft hinter dem als „Green Deal“ bekannten EU-Großprojekt die Kommission Richtung niederländische Innenpolitik verlassen. Timmermans Agenden übernimmt mit dem Slowaken Maros Sefcovic ein Brüsseler Urgestein.

Von der Leyen bezeichnete den seit 2009 in der Kommission sitzenden Sefocic in einer Aussendung als einen der ältesten und erfahrensten Mitglieder des von ihr seit Dezember 2019 angeführten Kollegiums. Unter von der Leyen war Sefcovic bisher Kommissar für interinstitutionelle Beziehungen. Seit 2021 war der 57-Jährige zudem für die Umsetzung der Brexit-Verträge zuständig.

„Als Vizepräsident wird er mit gleicher Priorität dafür verantwortlich sein, den europäischen Grünen Deal voranzutreiben“, wie von der Leyen in ihrem Statement weiter ausführte. Schwerpunkt für das nun von Sefcovic übernommene Klimaressort sei es, das Projekt für ein klimaneutrales Europa bis 2050 auch zu einer europäischen Wachstumsstrategie zu machen.

„Erwartungen sind hoch“

Dank der exzellenten Arbeit von Timmermans sei man laut von der Leyen dem Ziel, der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, zwar deutlich näher gekommen. Zur weiteren Umsetzung von Europas „Green Deal“ sei nun aber ein „noch intensiverer Dialog mit der Industrie, wichtigen Interessengruppen wie Waldbesitzern und Landwirten sowie Bürgern“ notwendig.

Die Latte für Sefcovic liegt schließlich auch mit Blick auf den Zeitdruck hoch: Erklärtes Ziel ist eine Umsetzung von zentralen Dossiers noch vor der im Juni 2024 anstehenden EU-Parlamentswahl. „Die Erwartungen sind hoch. Ob er sie auch erfüllen kann, wird sich zeigen“, wie das Onlineportal Euractiv dazu anmerkt. Außer Frage stehe für Euractiv, dass das Ausscheiden von Timmermans „ein gewisses Vakuum in den diplomatischen Bemühungen der EU im Bereich des Klimawandels und der Umweltpolitik“ hinterlassen werde.

Bereits 2012 eingesprungen

Der niederländische Politiker war nicht nur Schwergewicht der EU-Kommission, sondern gilt auch als geistiger Vater des „Green Deal“ und machte als einer der leitenden Verhandlungsführer auch bei den jährlichen UNO-Klimagipfeln Druck in Sachen Klimapolitik.

Die Leidenschaft, mit der er sich für das Klimaschutzpaket einsetzte, wurde selbst von seinen Gegnern geschätzt. Im Vergleich zum immer wieder hemdsärmlig auftretenden Timmermans habe „Vermittler“ Sefcovic einen gänzlich anderen Ruf, so ORF-Brüssel-Korrespondent Benedict Feichtner gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal. Der Slowake, der etwa nach der russischen Invasion in der Ukraine die gemeinsame Gaskaufinitiative der EU mit ausverhandelte, sei mehr der stille Diplomat, der Kompromisse sucht.

Eigenschaften wie diese könnten sich nun auch in der neuen Rolle von Sefcovic durchaus als Trumpfkarte erweisen. Bei „Politico“ (Onlineausgabe) ist in diesem Zusammenhang etwa von einem derzeit „für die EU-Klimapolitik gefährlichen Zeitpunkt“ die Rede. „Da die Besorgnis über die Kosten für Unternehmen und obligatorische Eingriffe in den Alltag wächst“, würden die EU-Bemühungen zur Reduktion der Treibhausgase demnach „zunehmend auf Widerstand stoßen“.

Schwierige Herausforderungen ist Sefcovic aber durchaus gewohnt. So beauftragte ihn von der Leyen unmittelbar nach dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU den Politico-Angaben zufolge „mit der Verwaltung der schwierigen kanalübergreifenden Beziehungen zu London“. 2012 sprang Sefcovic vorübergehend zudem für den damals im Rahmen eines Tabaklobbyskandals zurückgetretenen maltesischen Gesundheitskommissar John Dalli ein.

Timmermans-Antritt bei Niederlande-Wahl

Hinter Timmermans Rücktritt steht die auf den 22. November vorgezogene niederländische Parlamentswahl. Am Dienstag wählten die sozialdemokratische PvdA und die Partei Groenlinks den 62-Jährigen mit knapp 92 Prozent an die Spitze ihrer Wahlliste und fixierten damit Timmermans Ausscheiden aus der EU-Kommission.

Das niederländische Parteienbündnis erklärte nach der Nominierung, eine „überwältigende Mehrheit“ habe sich für Timmermans als Spitzenkandidat ausgesprochen. Die PvdA und die Grünen hatten im Juli beschlossen, erstmals mit einer gemeinsamen Liste und einem gemeinsamen Wahlprogramm anzutreten. Beobachter sehen Timmermans als politisches Schwergewicht im Kampf um die Regierungsspitze. Das amtierende Kabinett unter dem konservativen Ministerpräsidenten Mark Rutte war am 7. Juli im Streit über die Asylpolitik zerbrochen.

Nachfolge aus Niederlanden noch offen

Timmermans war bereits unter dem Vorgänger von der Leyens, dem Luxemburger Jean Claude-Juncker, Vizekommissionspräsident und für bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta zuständiger Kommissar. 2019 übernahm er dann das Umweltressort und damit den von der deutschen Kommissionspräsidentin ins Zentrum ihrer Amtszeit gestellten „Green Deal“.

Noch offen ist, wer für die Niederlande in die EU-Kommission nachrückt. Es ist bereits der zweite Rücktritt eines EU-Kommissars binnen weniger Monate: Im Mai war die Bulgarin Mariya Gabriel vom Posten als Kommissarin für Innovation und Kultur zurückgetreten, um Teil der neuen Regierung in Sofia zu werden. Zudem kündigte die einflussreiche Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager für kommendes Jahr ihre Kandidatur für die Leitung der Europäischen Investitionsbank (EIB) an.