Lula da Silva, Xi Jinping, Cyril Ramaphosa, Narendra Modi und Sergei Lavrov
APA/AFP/Gianluigi Guercia
BRICS-Erweiterung

Versuch einer neuen Weltordnung

Auf ihrem Gipfel in Südafrika hat sich die Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) deutlich vergrößert. Sechs neue Staaten sind bald Teil der Allianz. Ziel ist es, dem Globalen Süden mehr Gewicht zu verleihen. Dabei wird das Bündnis mitunter zur Bühne für antiwestliche und prorussische Akteure. Aber auch innerhalb der Organisation sind die Interessen höchst divers.

Die neuen Mitgliedsländer sind neben dem Iran auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien. Ab nächstem Jahr vereint die Gruppe also elf Staaten. Der Block repräsentiert schon jetzt rund 40 Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.

Mit der Erweiterung will man Pflöcke für die Zukunft einschlagen, Ziel ist es, die westliche Dominanz in geopolitischen und wirtschaftlichen Fragen einzudämmen. Man strebe eine „veränderte globale Ordnung“ an, so die Außenministerin des Gipfelgastgebers Südafrika, Naledi Pandor. Der Westen habe die Belange des Globalen Südens vernachlässigt. BRICS hingegen konzentriere sich auf die „Süd-Süd-Zusammenarbeit“.

Neuaufstellung unter neuen Bedingungen

Der bisherige Erfolg der 2009 gegründeten BRICS-Gruppe hielt sich in Grenzen. Nun will man nach der Pandemie und während des Ukraine-Krieges aber größeren Einfluss in der Welt. Angesichts einer sich verändernden Welt sei eine „grundlegende Reform“ der Weltordnungspolitik nötig, sagte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. „Neue Realitäten erfordern eine grundlegende Reform der Institutionen der Weltordnungspolitik, damit sie repräsentativer werden und besser auf die Herausforderungen reagieren können, vor denen die Menschheit steht“, sagte er.

Die Erweiterung ist der Hebel dafür – und der Prozess dürfte auch erst am Anfang stehen. Laut Angaben Südafrikas bekundeten schon über 40 Länder ihr Interesse an einem Beitritt zum Bündnis, über 20 baten offiziell um Aufnahme, darunter Bangladesch, Venezuela und Thailand. Das große Interesse zeige, wie wichtig das Streben nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung sei, so der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva.

Ehemalige Kolonialherren unerwünscht

Lula hatte sich starkgemacht für die jetzt beschlossene Erweiterung als Gegenpol zur Gruppe der sieben (G-7, die Industrienationen Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten). Die G-7 sei ein „Klub“, der nicht existieren dürfe, weil seine Form, über Geopolitik zu sprechen, überholt sei, so der brasilianische Präsident. Auch China hofft auf eine „gerechtere und vernünftigere Weltwirtschaftsordnung“, wie es in einem Kommentar der chinesischen Staatszeitung „Global Times“ hieß.

Ein Zeichen dafür, dass man es ernst meint, war schon die Einladungspolitik für den Gipfel in Südafrika: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Interesse an einer Teilnahme bekundet, erhielt aber keine Einladung. Ehemalige Kolonialherren und westliche Industriemächte waren nicht erwünscht.

Videoschaltung von Vladimir Putin bei der BRICS-Konferenz
Reuters/Alet Pretorius
Putin war nur virtuell anwesend

Abkehr vom mächtigen Dollar

Ein Grundpfeiler der BRICS war schon seit Anbeginn eine Abkehr von Weltbank und Internationalem Währungsfonds und die Abhängigkeit vom US-Dollar als globale Leitwährung zu reduzieren. Einer der Gründe, der die Gruppe nun für andere Staaten so interessant macht, ist die Neue Entwicklungsbank (NDB), die 2015 als Alternative zu den westlichen Institutionen gegründet wurde. Die Bank mit Sitz in Schanghai hat seitdem 30 Milliarden Dollar (etwa 27,5 Milliarden Euro) in Infrastrukturentwicklungsprojekte in den Mitgliedsstaaten und Schwellenländern investiert.

Während des jüngsten Gipfels verabschiedete die Allianz auch eine Resolution, um die Schaffung einer neuen Zahlungswährung zu prüfen. Geschäfte unter den BRICS-Ländern sollen einst nicht mehr in Dollar abgewickelt werden, man will stärker auf die nationalen Währungen der Mitgliedsstaaten setzen. Auf lange Sicht ist auch die Einführung eines gemeinsamen Bezahlsystems im Gespräch.

Die Abkehr vom US-Dollar ist auch Russland schon seit Langem ein wichtiges Anliegen. Für Moskau ist der Dollar ein Instrument des politischen Machtkampfes der USA. Kreml-Chef Wladimir Putin nutzte den Gipfel als Bühne für Politik abseits westlichen Einflusses. Handel in nationalen Währungen würde zudem die Folgen der westlichen Sanktionen gegen Russland abmildern.

Russlands Bühne

Putin selbst kam aufgrund des internationalen Haftbefehls gegen ihn nicht nach Südafrika, sondern schickte Außenminister Sergej Lawrow an seiner statt. Putin meldete sich aber per Videoaufzeichnung zu Wort, denn im Gegensatz zu Macron war Putin von Südafrika offiziell eingeladen worden.

Pretoria steht Moskau seit der sowjetischen Unterstützung der Kämpfer gegen die Apartheid nahe. Südafrika weigerte sich bisher auch, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen.

Für Putin war der Gipfel nun der geeignete Rahmen, um zu demonstrieren, dass Russland nicht nur weiterhin Verbündete hat, sondern dass ihr Kreis auch noch wächst. Hinter den Kulissen dürfte dementsprechend auch darauf gedrängt worden sein, dass Belarus alsbald in den Block aufgenommen wird. Den Gipfel im kommenden Jahr wird Russland selbst ausrichten.

BRICS-Gruppe bekommt sechs neue Mitglieder

Die BRICS-Gruppe wichtiger Schwellenländer wird um sechs Länder erweitert. Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien werden mit 1. Jänner 2024 aufgenommen, wie der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa beim Gipfel der Allianz in Johannesburg ankündigte.

Widerstrebende Interessen

Schon jetzt haben die aktuellen fünf Mitgliedsstaaten höchst heterogene Interessen, in vielen Fragen gibt es auch Spannungen. So streiten Indien und China etwa über ungelöste Grenzfragen. Zwischen den beiden Ländern besteht auch eine Rivalität über ihr Gewicht in der eigenen Region und der Welt. China will Fachleuten zufolge mit seinem Einfluss auf die BRICS-Gruppe mehr Bedeutung erlangen und Stimmung gegen die USA machen.

Indien hingegen betrachte die chinesischen Absichten mit Misstrauen. Das Land befürchtet, dass es durch eine mögliche Aufnahme mehrerer chinafreundlicher Nationen an Einfluss in der Gruppe verlieren könnte. Indiens Vision für die Gruppe dreht sich vor allem um die Förderung der Zusammenarbeit von Entwicklungs- und Schwellenländern. Im Gegensatz zu China und Russland will sich das Land nicht gegen die USA positionieren, mit denen es gute Beziehungen pflegt. Zudem wird Indien sich dafür einsetzen, dass der verfeindete Nachbar Pakistan der Gruppe fernbleibt.

Auch Südafrika will sich nicht politisch allzu sehr vereinnahmen lassen. BRICS sei weder antiwestlich noch prorussisch, so formulierte es Ministerin Pandor im Vorfeld in der Hoffnung, der Fokus liege eher auf wirtschaftlicher Kooperation.

Skeptische Blicke im Westen

Unabhängige Beobachterinnen und Beobachter sehen die Werbung für die BRICS-Erweiterung aber trotz gegenteiliger Beteuerungen als klaren Versuch, mit dem Westen in Konkurrenz zu treten. BRICS sei kein neutraler „Verfechter des globalen Südens“, sondern sehe sich als „Bündnis gegen den Westen“, so Peter Fabricius, Analyst des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS) in Südafrika zur dpa. Beitritte von Staaten wie dem Iran könnten diese Sichtweise weiter verstärken.

„Die BRICS-Staaten haben weiterhin keine politischen Leitlinien“, so der Ökonom Karl-Heinz Paque von der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung. „Die geplante Erweiterung des Bündnisses, darunter vier eindeutig autoritär regierte Staaten, bestätigt, dass den Staatenlenkern ein strategischer Kompass fehlt. Ihnen geht es allein darum, möglichst viele Mitläufer auf die vermeintlich antiwestliche Seite zu ziehen.“

Der Westen selbst hielt sich während des Gipfels in Südafrika mit Äußerungen zurück. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock versuchte, zu beschwichtigen. Es sei richtig, wenn mittelgroße Staaten mehr Mitsprache forderten und die internationale Ordnung nicht nur den „Größten und Stärksten“ überlassen wollten. Länder wie Südafrika, Brasilien, Indonesien und Indien müssten sich aber fragen, welche Partnerschaft am besten zu den eigenen Werten und Interessen passe.

USA sehen keine großen Veränderungen

Auch Washington reagierte verhalten auf die angekündigte Erweiterung der BRICS-Staatengruppe. Zum Erhalt des globalen Friedens und der Sicherheit würden die USA weiterhin mit ihren Partnern und Verbündeten „in bilateralen, regionalen und multilateralen Foren zusammenarbeiten“, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag. Die USA seien der Überzeugung, dass jedes Land seine Partner für die Zusammenarbeit frei wählen könne.