Luis Rubiales
Reuters/Juan Medina
Fußballerin geküsst

Spaniens Verbandschef droht Suspendierung

Es war ein furioses Fußball-WM-Finale zwischen England und Spanien am vorigen Wochenende in Sydney, das mit einem Sieg der Spanierinnen endete. Doch wurde die Begeisterung über sportliche Leistungen jäh von einem Vorfall überschattet. Bei der Ehrung der Siegerinnen küsste Spaniens Verbandschef Luis Rubiales die Spielerin Jennifer Hermoso auf den Mund. Eine Welle der Empörung brach im Land los – doch sperrte sich Rubiales gegen einen Rücktritt. Nun wird um dessen Ablöse gerungen, und die Spielerinnen traten in Streik.

Die oberste spanische Sportbehörde CSD beantragte beim Sportgerichtshof Rubiales’ Suspendierung. „Heute werden wir eine Beschwerde beim Sportgerichtshof einreichen, damit dieser beurteilen kann, ob ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt“, so CSD-Chef Victor Francos bei einer Pressekonferenz am Abend.

Der Königlich-Spanische Fußballverband (RFEF) verschärfte unterdessen den Ton und drohte mit Klagen. Der RFEF stellte vier Fotos online und beschrieb darüber hinaus detailliert die Körperhaltung von Rubiales und Hermoso. Die Bilder seien ein Beweis, dass Rubiales nicht gelogen habe. Auf den Bildern ist zu sehen, wie Rubiales von Hermoso gehalten wird, auf zwei davon sind seine Beine in der Luft. Ob die Stürmerin den 46-Jährigen hochgehoben hat oder er von sich aus hochgesprungen ist, lässt sich anhand der kurzen Serie nicht eindeutig belegen.

Nur wenige Stunden davor hatte Rubiales vor der außerordentlichen Generalversammlung des RFEF den von vielen Seiten erwarteten Rücktritt wortreich abgelehnt. „Ich werde nicht zurücktreten“, sagte der 46-Jährige in seiner Rede wiederholt. Er inszenierte sich als Opfer einer Hetzjagd und beklagte „eine soziale Hinrichtung“.

Spielerinnen wollen streiken

Spaniens Fußballweltmeisterinnen gehen deshalb auf die Barrikaden: Die 23 Spielerinnen wollen unter Rubiales nicht mehr für ihr Land spielen. „Nach allem, was bei der Medaillenvergabe der Frauen-WM passiert ist, werden alle Spielerinnen, die diesen Text unterzeichnet haben, eine nächste Einberufung nicht ehren, wenn die derzeitige Führung beibehalten wird", schrieben die Weltmeisterinnen am Freitag in einer Erklärung, die von der Spielerinnengewerkschaft Futpro verbreitet wurde. Insgesamt unterzeichneten 81 aktuelle und ehemalige spanische Spielerinnen das Schreiben.

Jenni Hermoso und Luis Rubiales
IMAGO/Sports Press Photo
Bei der Ehrung der Siegerinnen küsste Rubiales die Spielerin Hermoso – mit beiden Händen auf ihrem Kopf

„Der falsche Feminismus sucht nicht nach der Wahrheit, er versucht, sich eine Medaille umzuhängen und zu glauben, dass wir vorankommen“, so Rubiales unterdessen. „Soll mich ein Küsschen in beiderseitigem Einvernehmen hier rausbringen? Ich werde kämpfen bis zum Ende.“ Als Rubiales schließlich vom Pult trat, erntete er Standing Ovations und Applaus – es ergab sich das Bild, dass sich die regionalen Verbandschefs hinter ihren Präsidenten stellten.

Enormer öffentlicher Druck

Doch hatten in und außerhalb Spaniens nach dem WM-Finale viele den Eindruck gewonnen, dass Rubiales beim spanischen Fußballverband, an dessen Spitze er seit 2018 steht, keine Zukunft mehr haben dürfe. Am Finaltag lieferte er jenen, die später vehement seinen Rücktritt forderten, den Stoff dafür: Neben dem Kuss trug er etwa die frischgebackene Weltmeisterin und Real-Madrid-Spielerin Athenea del Castillo auf seiner Schulter über den Platz.

Und davor, als Rubiales in der Ehrenloge und neben der spanischen Königin Letizia und der 16-jährigen Infantin Sofia saß, griff sich ebendieser im Jubeltaumel an seine Genitalien – eine Geste, die die Entrüstung zusammen mit den Vorfällen danach noch zusätzlich befeuerte. Im Zentrum der Aufregung blieb aber der Kuss. Unter starkem öffentlichen Druck hatte Rubiales – mit Verzögerung – am Montag Fehler eingeräumt.

Luis Rubiales
AP/Europa Press/RFEF
Bei der Generalversammlung des Fußballverbands weigerte sich Rubiales, Konsequenzen zu ziehen

Verbandsstatement warf Fragen auf

Er habe die Spielerin Hermoso „spontan“ und „ohne jede böse Absicht oder bösen Willen“ auf den Mund geküsst. Die von der weit grenzüberschreitenden Aktion des Verbandspräsidenten betroffene Weltmeisterin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits kurz Stellung zu dem Vorfall genommen – via Instagram teilte sie mit, dass ihr der Kuss unangenehm gewesen sei. „Aber was sollte ich machen“, fügte sie hinzu.

Der Verband versuchte offenbar noch mit aller Kraft, die Wogen zu glätten: So wurde eine Stellungnahme veröffentlicht, in der Hermoso ihren Verbandspräsidenten verteidigte. Rubiales’ Verhalten „uns allen gegenüber (gemeint war das gesamte Team, Anm.) war ausgezeichnet, und es war eine natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit“. Rasch kamen Zweifel auf, ob die Aussagen tatsächlich auf die Spielerin Hermoso zurückgingen.

„Verteidigung meiner Interessen“

Und das auch, weil die Spielerinnengewerkschaft FutPro in Absprache mit Hermoso „Maßnahmen“ forderte. Solche Handlungen dürften „niemals ungestraft bleiben“, teilte die Gewerkschaft mit – und zitierte die betroffene Spielerin. „Meine Gewerkschaft FutPro kümmert sich in Abstimmung mit meiner Agentur um die Verteidigung meiner Interessen und ist der Gesprächspartner in dieser Causa“, so Hermoso, die im Laufe ihrer Karriere beim FC Barcelona, Atletico Madrid und Paris Saint-Germain spielte.

Ministerpräsident Sanchez: „Inakzeptabel“

Es schien schon in den Momenten der Vorfälle in Sydney zu spät für Rubiales gewesen zu sein – denn rasch schwappte die Diskussion in Spanien in höchste politische Kreise hoch. Die Position der Regierung zur Frage eines Rücktritts war dabei eindeutig: Der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sanchez hatte das Verhalten von Rubiales schon vor Tagen zwar als „inakzeptabel“ bezeichnet, zugleich aber eingeräumt, dass die Regierung keinen direkten Einfluss auf die RFEF habe.

Gianni Infantino, Königin Letizia, Prinzessin Infanta Sofia und Luis Rubiales gratulieren spanischen Spielerinnen
AP/Alessandra Tarantino
Rubiales (r.) bei der Ehrung der Siegerinnen

Doch Konsequenzen wurden dennoch angedroht: Präsidialminister Felix Bolanos sagte: „Wenn nichts passiert, wird die Regierung handeln.“ Nach Rubiales’ Ablehnung des Rücktritts meldete sich auch die geschäftsführende Vizeregierungschefin Yolanda Diaz zu Wort. „Herr Rubiales weiß immer noch nicht, wo er ist und was er getan hat. Es ist nicht auf der Höhe der Zeit. Er muss jetzt sofort zurücktreten und uns weitere Peinlichkeiten ersparen.“

„Logischerweise werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, damit dieser Herr, den man kaum als würdigen Vertreter des spanischen Fußballs bezeichnen kann, nicht länger an der Spitze des spanischen Fußballs steht“, sagte Spaniens geschäftsführende Vizeregierungschefin und Ministerin für den ökologischen Wandel, Teresa Ribera, der Nachrichtenagentur Europa Press. Die Regierung werde alles tun, was „in ihrer Macht steht“, damit Rubiales sein Amt aufgibt oder verliert.

„Sexuelle Gewalt, die wir Frauen täglich erleiden“

Auch Gleichstellungsministerin Irene Montero meldete sich zu Wort: „Es ist eine Form der sexuellen Gewalt, die wir Frauen täglich erleiden und die bisher unsichtbar war und die wir nicht normalisieren dürfen“, teilte die 35-jährige Politikerin via Twitter (X) mit. Das sei eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. „Die Zustimmung steht im Mittelpunkt. Nur ein Ja ist ein Ja“, stellte die Ministerin klar.

Kussaffaire: Rubiales lehnt Rücktritt ab

Der Präsident des spanischen Fußballverbandes (RFEF), Luis Rubiales, will entgegen vorheriger Ankündigungen wegen der Kussaffäre doch nicht zurücktreten. Die Rücktrittsaufforderungen werden jedoch lauter.

Auch die spanische Ministerin für soziale Rechte, Ione Belarra, fand äußerst klare Worte: „Über die Zustimmung entscheidet nicht der Angreifer, sondern die Frau. Der gewalttätige, mafiöse Diskurs von Rubiales wird gegen ein Land, das sich bereits verändert hat, nicht funktionieren. Jeder weiß, was für ein Mann er ist“, schrieb Belarra auf Twitter.

Betis-Star Iglesias verlässt aus Protest Nationalteam

Eine Konsequenz aus der Causa zog ein aktiver Nationalspieler. Aus Wut über Rubiales’ Verhalten kündigte der Stürmer Borja Iglesias von Betis Sevilla seinen Rückzug aus der Nationalelf an. „Ich habe die Entscheidung getroffen, solange nicht in der Nationalmannschaft anzutreten, bis sich die Verhältnisse geändert und solche Handlungen nicht mehr straffrei bleiben“, schrieb er am Freitag auf Twitter.

Putellas: „Das ist nicht hinnehmbar. Schluss“

Weltfußballerin Alexia Putellas vom FC Barcelona äußerte sich auf Twitter knapp und unmissverständlich. „(Ich bin, Anm.) Mit Dir, Kameradin Jenni Hermoso“, schrieb sie. Auch der derzeit vereinslose spanische Torwart David de Gea äußerte sich entsetzt über das Verhalten von Rubiales. „Mir bluten die Ohren“, schrieb er auf Twitter. „Schämen Sie sich“, teilte Ex-Nationaltorhüter Iker Casillas via Twitter in Richtung Rubiales mit.

FIFA-Disziplinarverfahren läuft

Und schließlich wurde auch das höchste Gremium im Weltfußball, der Weltfußballverband (FIFA), aktiv und leitete ein Disziplinarverfahren ein. „Die FIFA bekräftigt ihr uneingeschränktes Bekenntnis zur Achtung der Integrität aller Personen und verurteilt deshalb jedes gegenteilige Verhalten aufs Schärfste“, hieß es. Die Disziplinarkommission prüfe, ob „beleidigendes Verhalten und Verstöße gegen die Grundsätze des Fairplay“ vorliegen.

Rubiales führte den spanischen Verband seit 2018, zuvor war er von 2010 bis 2017 Präsident der spanischen Spielergewerkschaft AFE. Seit vier Jahren sitzt Rubiales als Vizepräsident im Exekutivkomitee der Europäischen Fußballunion (UEFA) – ein Job, der jährlich mit 250.000 Euro plus Spesen vergütet wird. UEFA-Präsident Aleksander Ceferin äußerte sich nicht zu dem Vorfall.