Oliver Anthony
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
Nach Chart-Erfolg

US-Musiker gegen politische Vereinnahmung

Der US-Musiker Oliver Anthony, dessen Country-Song „Rich Men North of Richmond“ in der vergangenen Woche überraschend die US-Charts gestürmt hatte, hat sich gegen die Vereinnahmung durch republikanische Politiker gewehrt. „Es ist ärgerlich, wenn bestimmte Musiker und Politiker so tun, als wären wir Kumpel und als würden wir denselben Kampf führen, als würden wir versuchen, dieselbe Botschaft zu vermitteln“, sagte er in einem Video.

Es sei „ärgerlich“ zu sehen, wenn Menschen bei Auftritten „in konservativen Nachrichtensendern“ versuchten, sich mit ihm zu identifizieren, „als wäre ich einer von ihnen“, sagte Anthony zudem in einem am Freitag auf YouTube veröffentlichten Video unter anderem mit Blick auf die erste TV-Debatte republikanischer Präsidentschaftsbewerber. Sein Hitsong hatte zuletzt für großes Rätselraten gesorgt.

Der Sänger – der sich selbst in der politischen Mitte verortet – machte sich in dem YouTube-Video darüber lustig, dass sein Lied zu Beginn der ersten Fernsehdebatte der republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber in dieser Woche gespielt wurde. „Ich habe den Song über diese Leute geschrieben. Dass (die republikanischen Kandidaten) da sitzen und sich das anhören müssen, macht mich wahnsinnig“, sagte er.

Das Stück „Rich Men North of Richmond“ thematisiert den Klassenkampf in den USA. Der Musiker prangert darin harte Arbeit, niedrige Löhne und hohe Steuern an und singt von einem Arbeiter, der „seine Seele verkauft“. Richmond ist die Hauptstadt des US-Bundesstaates Virginia und liegt einige Autostunden südlich von Washington. Der Titel des Songs spielt darauf an, dass sich Menschen im Süden und in ländlichen Regionen häufig von der politischen Elite abgehängt fühlen.

Musiker kritisiert politische Debatte

Der Song habe nichts mit US-Präsident Joe Biden zu tun, sagte der Musiker offenbar in Anspielung auf rechte Kommentatoren – er sei „viel größer als Joe Biden“. Der Song handle von jenen Personen, die an der Fernsehdebatte der Republikaner teilgenommen hatten, und vielen weiteren, betonte er.

Das Einzige, was Anthony bei dem überraschenden Senkrechtstart seines Stücks gestört habe, sei gewesen, wie es mit Politik vermischt worden sei, sagte er auch. Während die Rechten Anthonys Musik für sich reklamierten, käme ihm von links Kritik entgegen, kritisierte der Musiker. Das müsse aufhören, so Anthony.

An der TV-Debatte in Milwaukee im nördlichen Bundesstaat Wisconsin nahmen am Mittwoch Politiker wie New Jerseys Ex-Gouverneur Chris Christie, die frühere UNO-Botschafterin Nikki Haley, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, der frühere Vizepräsident Mike Pence, Senator Tim Scott, North Dakotas Gouverneur Doug Burgum, Arizonas früherer Gouverneur Asa Hutchinson und der in Umfragen überraschend auf den dritten Platz aufgestiegene Biotech-Jungunternehmer Vivek Ramaswamy teil.

Bisher noch nicht da gewesener Chart-Einstieg

Anthony scheint mit seinem Stück jedenfalls einen Nerv zu treffen: Das am 11. August erstmals auf YouZube veröffentlichte „Rich Men North of Richmond“ wurde in Onlinediensten millionenfach aufgerufen und kletterte im Nu an die Spitze der Apple Country-Charts.

Laut dem Branchendienst Billboard wurde Anthonys Song in weniger als einer Woche 17,5 Millionen Mal gestreamt und 147.000-mal heruntergeladen. Der bis dahin eher unbekannte Sänger überholte damit die Megastars Taylor Swift, Morgan Wallen und Olivia Rodrigo im Ranking der Billboard Hot 100 Single-Charts. Ein solcher Einstieg sei bisher noch niemandem gelungen, erklärte Billboard.

Fans bei einem Konzert von Oliver Anthony in Moyock, N.C.
AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner
Bei Konzerten, hier in North Carolina, herrscht großer Andrang

Song befeuerte politische Debatte

Der plötzliche Chart-Erfolg mag zwar überraschend wirken, kündigte sich in den vergangenen Wochen aber an, nachdem Anthonys Song politisch heftig debattiert wurde. Der Text ist zum Teil Arbeiterhymne, wie der „Guardian“ schrieb („I’ve been sellin’ my soul, workin’ all day / Overtime hours for bullshit pay“, dt.: „Hab meine Seele verkauft, rund um die Uhr gearbeitet / Überstunden gemacht für Scheißbezahlung“), kritisiert hohe Steuern und spielt selbst auf Kindesmissbrauch und Jeffrey Epstein an.

Bei einem Konzert in North Carolina am Wochenende sagte er dem Sender Fox News: „So wie es gerade läuft, sehe ich nicht, dass unser Land noch eine weitere Generation überlebt. Wir müssen zu den Wurzeln dessen zurückkehren, was dieses Land einst groß gemacht hat.“ In Anthonys anderen Songs geht es oft um Cannabis, und an sich dürfte er sich vor allem ein Amerika „von damals“ zurückwünschen, sieht man sich die Songs genauer an, schrieb der „Rolling Stone“ zuletzt.

Rechte Influencer von Song begeistert

Song und Sänger fanden zuerst vor allem bei rechten Politikern und Influencern Anklang. Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter (X), Anthonys Lied sei das, „was Washington DC hören muss“. Feedback kam aber auch von den Demokraten: Senator Chris Murphy twitterte, dass auch „Progressive diesen Song hören“ sollten. Nicht nur weil es ein gutes Lied sei, sondern weil es eine „Neuausrichtung“ zeige: „Anthony singt über die Seelenlosigkeit der Arbeit, Scheißlöhne und die Macht der Eliten. Alles Probleme, für die die Linken bessere Lösungen haben als die Rechten.“

Neben dem viel diskutierten Songtext und der daraus entstandenen Debatte sieht die „New York Times“ („NYT“) auch das Zustandekommen der Charts als Faktor für den rasanten Aufstieg von Anthony. Denn kostenpflichtige Downloads wie etwa aus Apples iTunes-Store werden bei der Reihung stärker gewichtet – und so kann man durchaus die Chart-Position mit Geld beeinflussen. Das ist in der Vergangenheit etwa von Fans ausgegangen, die die K-Pop-Band BTS an die Spitze der Charts katapultieren wollten.