Bildungsminister Polaschek (ÖVP), Studienleiter Starkbaum (IHS)
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Studie

Neue Einblicke in Wissenschaftsskepsis

Die CoV-Pandemie hat den Fokus der Öffentlichkeit auf die Themen Wissenschafts- und Demokratieskepsis gelenkt. Neue Einblicke dazu gibt eine am Montag präsentierte Studie. Dieser zufolge ist die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung Wissenschaft und Demokratie gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Bei Teilen der Bevölkerung herrschen allerdings Kritik, Skepsis und Desinteresse an Wissenschaft.

Nachdem eine Eurobarometer-Umfrage 2021 erneut hohe Skepsis und Desinteresse gegenüber Wissenschaft gezeigt hatte und das Thema vor allem im Zuge der CoV-Pandemie, etwa in Verbindung mit Impf- und Maßnahmenskepsis sowie Anfeindungen von Forschern, in den Fokus gerückt war, hatte ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek im Vorjahr das Institut für Höhere Studien (IHS) mit einer Studie zur Erforschung der Ursachen beauftragt.

„Wer Wissenschaft angreift, greift auch die Demokratie an“, betonte Polaschek am Montag bei der Präsentation der Studienergebnisse in Wien. Wissenschaftsskepsis bedeute eine „Bedrohung unserer freien, demokratischen Gesellschaft“.

„Durchaus positive Einstellung“ zu Wissenschaft

Die IHS-Fachleute haben unter Leitung von Johannes Starkbaum gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark unter anderem die Daten mehrerer Studien und Umfragen nochmals analysiert, Fachleute interviewt und Stimmen aus der Bevölkerung gehört. Dabei zeigte sich eine „durchaus positive Einstellung“ gegenüber Wissenschaft, „ein Großteil der österreichischen Bevölkerung ist der Wissenschaft und Demokratie gegenüber positiv eingestellt“, so Starkbaum.

Unger (ORF) über Studie zu Wissenschaftsskepsis

ORF-Redakteur Peter Unger fasst die wichtigsten Ergebnisse der IHS-Studie zu Wissenschafts- und Demokratieskepsis zusammen.

Die vorhandenen Daten würden nicht bestätigen, dass Österreich im Vergleich mit den anderen EU-Staaten unter den besonders wissenschaftsskeptischen Ländern ist. Unterschiedliche Umfragen würden deutlich zeigen, dass das Vertrauen in Wissenschaft sowie in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Vergleich zu anderen Institutionen bzw. Personengruppen fast durchgehend am höchsten und in den vergangenen Jahren auch weitgehend stabil geblieben sei. Die IHS-Studie fand auch „keine eindeutigen Hinweise dafür, dass in letzter Zeit ablehnende Haltungen gegenüber Wissenschaft zugenommen hätten“.

Definition von Wissenschaftsskepsis

In der IHS-Studie wurde Wissenschaftsskepsis als „grundsätzliche und unbegründete bzw. ungerechtfertigte Ablehnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen“ definiert. Um in diesem Sinne das Phänomen abzuschätzen, haben die Forschenden in ihrer Studie (mit Daten des Eurobarometers 2021) die Zustimmung bzw. Ablehnung zu vier Aussagen gemessen, bei denen drei dem derzeitigen wissenschaftlichen Konsens diametral widersprechen, das Statement zur Evolution ist korrekt.

Dabei handelt es sich um Aussagen zum Klimawandel (zum Großteil durch natürliche Zyklen und nicht durch menschliches Handeln), Evolution (Mensch hat sich aus früheren Tierarten entwickelt), Viren (wurden in staatlichen Laboren erzeugt, um unsere Freiheit zu kontrollieren) und Krebsheilmittel (gibt es, werden aber aus kommerziellen Interessen vor der Öffentlichkeit zurückgehalten).

Wissenschaftsskepsis oft demokratiefeindlich

Für ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek stellt Wissenschaftsskepsis eine Bedrohung für die freie demokratische Gesellschaft dar. Das Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie müsse „dringend wieder gestärkt“ werden, so Polaschek.

Österreich liege bei der Einschätzung dieser Aussagen im EU-Mittelfeld, zwischen 21 und 31 Prozent stimmen zumindest bei einer dieser Aussagen gegen den wissenschaftlichen Konsens. Die Studienautoren plädieren allerdings für eine „reflektierte Interpretation“: Lediglich ein Prozent der Befragten wählte sämtliche wissenschaftlich nicht haltbaren Antworten, weitere neun Prozent drei der vier. „Diese Gruppe macht den Kern der systematisch skeptischen Personen aus, die Wissenschaft grundsätzlich und über mehrere Bereiche hinweg ablehnen.“

Keine eindeutige Gruppe von „Skeptikern“

In der IHS-Studie wurde ein Zusammenhang von negativen Äußerungen zu Wissenschaft und Demokratie festgestellt, was dafür spreche, „dass diese Bereiche von der Bevölkerung als miteinander verbunden wahrgenommen werden“. So scheinen der Analyse zufolge Befragte teilweise wenig zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Politikerinnen und Politikern zu differenzieren, beide als Repräsentanten privilegierter Gruppen zu verstehen und ihnen gleichermaßen die Verfolgung von Eigeninteressen zu unterstellen.

Grafik zur Wissenschaftsskepsis in Österreich
Grafik: APA/ORF; Quelle: BMBWF/IHS/Eurobarometer

Dabei fänden sich Kritik und Skepsis gegenüber Wissenschaft und Demokratie in allen Bereichen der Bevölkerung, es gebe keine eindeutigen Gruppen von „Skeptikern“. Geringeres Vertrauen und Skepsis würden sich aber eher bei Personen jüngeren Alters, mit niedrigem Bildungsniveau, mit Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben bzw. der Demokratie und mit einer Orientierung am politisch rechten Spektrum finden.

„Personen, die Parteien als das Hauptproblem des Landes identifizieren, direkte Volksentscheide der repräsentativen Demokratie vorziehen und eine starke Führungspersönlichkeit an der Spitze installiert sehen möchten, die nicht durch Parlament und Wahlen beschränkt wird und politische Entscheidungen allein trifft, vertrauen Wissenschaft weniger und sind mit der Demokratie unzufriedener“, heißt es in der Studie.

Studienautor: Differenzierte Maßnahmen wichtig

Bei der Entwicklung von Maßnahmen sei es wichtig zu differenzieren, da es unterschiedliche Formen der Kritik gebe, betonte Starkbaum. „Es braucht definitiv Formate und Räume, wo Wissenschaft mit der Bevölkerung auf Augenhöhe in den Dialog treten kann“, so der IHS-Forscher. Dabei gehe es nicht darum zu belehren, sondern zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert, einen Austausch zu ermöglichen und Berührungsängste zu nehmen.

Notwendig seien auch Anreize im Wissenschaftssystem für die Forschenden, etwa dass ihr Engagement für die Karriere berücksichtigt wird, sowie Maßnahmen, die in der gesamten Bevölkerung ansetzen und ein „klares Bekenntnis der Politik für die Wissenschaft“.

Polaschek: Debatte in Gang setzen

Polaschek verwies auf bereits gesetzte Maßnahmen, etwa die Entsendung von Wissenschaftsbotschaftern an Schulen. Die Studie biete nun ein Fundament, um nun noch gezieltere Maßnahmen setzen zu können: „Wir werden innovative Projekte ins Leben rufen, um die Menschen über den Schulbereich hinaus quer durch die gesamte Gesellschaft mehr noch positiv mit der Welt der Wissenschaft zu konfrontieren, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken und damit auch das Vertrauen in die Demokratie.“

Ziel müsse sein, eine offene Debatte quer durch alle Gesellschaftsschichten in Gang zu setzen und Wissenschaft noch mehr vor den Vorhang zu holen und noch mehr in das Alltagsleben aller Menschen zu bringen.