SPÖ-Chef Andreas Babler im Rahmen der ORF-„Sommergespräche“
APA/Helmut Fohringer
„Sommergespräche“

Babler auf Autobahn „immer“ mit Tempo 100

Erstmalig ist Andreas Babler als SPÖ-Parteichef bei den ORF-„Sommergesprächen“ zu Gast gewesen. Darin verteidigte er erneut seinen Vorstoß für eine 32-Stunden-Woche und die Vorstellungen der SPÖ für umfassenden Klimaschutz. Er selbst, so Babler, fahre auch „immer“ Tempo 100 auf der Autobahn. Der SPÖ-Chef nutzte das „Sommergespräch“ auch, um gegen eine mögliche Neuauflage von Schwarz-Blau Stimmung zu machen: „Da erwartet uns Schlimmes für das Land“, sagte er.

Am Mittwoch findet im Parlament auf Verlangen von SPÖ und FPÖ eine Sondersitzung zum Thema Teuerung statt. Zwei Tage vorher ging ORF-Moderatorin Susanne Schnabl mit Babler auf die Galerie des Nationalratsplenums, auf der Babler die Sitzung maximal mitverfolgen wird können – einen Sitz im Nationalrat hat er bekanntlich nicht, und so kann er diese „Bühne“ zur Verbreitung seiner Botschaften nicht nutzen.

Einbußen wollte der SPÖ-Chef deswegen nicht sehen. Früher seien Entscheidungen „von oben“ gekommen, vom Parteichef abwärts. Nun habe sich in der SPÖ eine Basisbewegung entwickelt, die andere Ergebnisse gebracht habe. „Wer hätte das geglaubt, dass ich jetzt Parteichef sein kann?“, so Babler.

Er sprach sich auch gleich zu Beginn des „Sommergesprächs“ für eine Nulllohnrunde in der Politik aus. In puncto Inflation habe die Bundesregierung Hilfeleistung unterlassen. Nun sei es „unmoralisch“, sich selbst zu belohnen mit der Abgeltung für eine Inflation, die man selbst mitverantworte. Er selbst bekommt eigenen Angaben zufolge als Bürgermeister von Traiskrichen nach Abzug der Parteisteuer 3.900 Euro ausgezahlt. Daher könne er auch sein Bundesratsgehalt spenden.

Dass Babler einmal eine andere Partei als die SPÖ gewählt hat, daran könne er sich nicht mehr erinnern. Bei der jüngsten Bundespräsidentenwahl aber habe er Marco Pogo (alias Dominik Wlazny) seine Stimme gegeben, so Babler zum Einstand.

Parteichef, aber nur Zuseher im Parlament. Geht das?

SPÖ-Chef Babler hat kein Nationalratsmandat. Als Problem sieht er das nicht.

„Immer“ Tempo 100

Zurück im inzwischen schon bundesweit bekannten Sprechzimmer 23 hinter dem Plenarsaal, jenem Raum, der schon von früheren Gesprächspartnern und -partnerinnen Schnabls als karg gescholten wurde, kommt das Thema auf die Klimapolitik. Er fahre auf der Autobahn stets Tempo 100, so Babler. „Immer?“ – „Immer.“

Es gebe eine Vorgabe, „wir sagen, dass es gescheit ist, sich daran zu halten, wir wollen das ja auch bewusstseinsbildend machen“, so Babler. Die Diskussion sei eine „verkorkste, emotionalisierte“. Man wolle Tempo 100 von „unten herauf umsetzen, nicht gesetzlich regeln und vorschreiben“, sondern dort Veränderungen mit der Bevölkerung umsetzen, wo es möglich sei.

Tempo 100 auf der Autobahn

Babler fährt laut eigenen Angaben „immer“ auf der Autobahn maximal Tempo 100. Eine gesetzliche Regelung aber braucht es nicht, so der SPÖ-Chef.

Der Frage nach einer stringenten Parteilinie zum Thema wich Babler aus: Die Parteilinie sei dominiert von den großen Fragen. „Nicht Tempo 100 ist zentral für die SPÖ, sondern dass man jetzt 950 Tage lang überhaupt kein Klimaschutzgesetz hat, das überhaupt irgendwelche Ziele definiert“, so Babler. Die Regierung lasse in diesem Bereich „alles“ schleifen.

CO2-Bepreisung „ohne Lenkungseffekt“

Für die SPÖ sei das Schlüsselwort der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, im ländlichen Raum solle es innerhalb von 15 Gehminuten möglich sein, eine „Öffi“-Station zu erreichen.

Die österreichische CO2-Steuer lehnte Babler ab: Ihm gehe es um die Emissionsbeschränkung und neue Prioritätensetzung. Die CO2-Bepreisung aber, so wie sie beschlossen worden sei, „hat überhaupt keinen Lenkungseffekt“ und sei „völlig beliebig in den Raum gesetzt“ worden und eine „Show-Geschichte“. Sie treffe jene Menschen, die tatsächlich auf das Auto angewiesen seien und nicht einfach auf die „Öffis“ umsteigen könnten, so Babler.

Babler gegen CO2-Steuer

Der SPÖ-Chef sieht die CO2-Bepreisung in Österreich misslungen. Diese bringe keinen Lenkungseffekt. Babler plädierte für einen „Masterplan“, ein umfassendes Klimaschutzgesetz.

Schritte gegen hohe Wohnkosten

Der SPÖ-Chef sprach sich auch einmal mehr für die Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel aus – einen genauen Zeitpunkt, wann die Steuer wieder eingesetzt werden könnte, wollte Babler zunächst nicht nennen. Das sei abhängig von den Lebenshaltungskosten insgesamt. Die SPÖ fordere etwa auch die Rücknahme der jüngsten Mieterhöhung (mit 1. Juli wurden die Kategoriemieten erneut erhöht, bereits im April stiegen die Richtwerte schon um 8,6 Prozent an).

Die Wohnkosten machten im Schnitt schon fast die Hälfte der Einkommen aus, so Babler. Ab 2025 sollten zudem die Erhöhungen auf zwei Prozent gedeckelt werden. Dann könne man – etwa bei der Annahme einer Teuerung von zwei Prozent – Maßnahmen wieder beenden. Derzeit sei Österreich aber „trauriger Spitzenreiter“ mit einer Teuerung von sieben Prozent, es sei eine „Schande, dass wir eine Regierung haben, die das durchlaufen lässt“.

Keine Mehrwertsteuer auf Lebensmittel

Babler tritt für eine Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ein. Wegen der aktuell hohen Teuerung in Österreich übte er scharfe Kritik an der Bundesregierung.

Keine „Häuselbauersteuer“

Wie sich die SPÖ die Finanzierung von inflationsdämpfenden Maßnahmen vorstellt, das konkretisierte sie zuletzt anhand von Erbschafts- und Vermögenssteuern. Dass im Falle einer Einführung plötzlich die Finanz beim Häuselbauer vor der Tür steht und Einlass begehrt, sei „Propaganda der Industriellenvereinigung“ und anderer, so Babler. „Das ist ja nicht neu für uns, sondern passiert immer, wenn wir was für die Vielen machen wollen.“ Derzeit besitze ein Prozent der Superreichsten die Hälfte des Volksvermögens des gesamten Landes.

Von dem Steuerentwurf der SPÖ – dieser umfasst etwa einen „Lebensfreibetrag“ von einer Million Euro und die Abschaffung der Grunderwerbssteuer – würden de facto 96 Prozent der Bevölkerung profitieren und weniger Steuern zahlen, so Babler. „Das würde ich garantieren, wenn ich Bundeskanzler bin und das durchsetzen kann, von dem ich ausgehe.“ Man ziehe eine hohe Wertgrenze ein, damit die Maßnahmen nur bei Superreichen greife, sagte Babler, er sei Garant dafür, dass es mit ihm keine „Häuselbauersteuer“ gebe, im Gegenteil. Die derzeitige Grunderwerbsteuer treffe die Vielen.

Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer

Laut Babler würden mit einem SPÖ-Steuermodell 96 Prozent der Bevölkerung profitieren. Dafür solle das oberste Einkommensprozent mehr beitragen.

Doch für neue Steuern tritt außer der SPÖ derzeit keine Partei ein – etwaige Koalitionsverhandlungen könnten somit schwierig werden. Babler sagte, er könne sich kein Gegenüber vorstellen, das ein Prozent Superreiche nicht belasten wolle, während es nicht genug Bildungseinrichtungen und Pflegeplätze gebe. Vermögen höher zu besteuern bringe aber 100 Mio. Euro in der Woche. Das Geld könne in diese Bereiche fließen. Ein Nein dazu von einem möglichen Koalitionspartner, „das würde niemand in Österreich verstehen“.

„Unsere Leute“ und „ihre Leute“

Als Klassenkampf wollte Babler die SPÖ-Pläne nicht verstanden wissen. „Das ist alles ganz lieb, aber es geht um die Realität, und die ist beinhart.“ Die ÖVP habe Sozialabbau und Politik für ihre Klientel aus Großspendern und Großindustriellen betrieben. „Unsere Leute“ seien „alle, die nicht ihre Leute sind“, so Babler, jene, die hart arbeiteten und die „die wahren Leistungsträger“ seien. Daher fordere man die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Produktivität sei gestiegen, genauso wie die Arbeitsintensität.

Die letzte Arbeitszeitreduktion habe es in der 1970er Jahren unter Bruno Kreisky gegeben, und das bei geringerer Arbeitslosigkeit. Das Argument des derzeit herrschenden Fachkräftemangels sei ungültig, „dazu hat man früher Vollbeschäftigung gesagt“, so Babler. Und auch damals habe es geheißen, Wirtschaft und Produktivität würden schrumpfen, doch das Gegenteil sei passiert. Dass die 32-Stunden-Woche nicht jetzt schon in der SPÖ gelte, sei „eine Detailfrage“.

EU-Nein war Fehler

Für Babler geriet die Frage nach der EU bisher zur schwierigen Gretchenfrage, nachdem ein Videoausschnitt aufgetaucht war, in dem er die EU als das „aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat“, bezeichnet hatte. Auch stimmte er 1994 gegen einen Beitritt Österreichs. Nun sagte er, seine Entscheidung damals sei ein Fehler gewesen, er habe damals in der Jugendbewegung andere Vorstellungen verfolgt, auch wenn in vielen Bereichen eine Grundskepsis weiter vorhanden sei. Doch die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums sei eine gute, ein theoretischer EU-Austritt Österreichs sei auch „tabu“.

Babler und die EU

Die Haltung Bablers zur EU ist schon einmal heiß debattiert worden. Eine Grundskepsis bleibe, so Babler nun, doch hätten sich seine Ansichten im Lauf der Zeit geändert.

Deutlich wurde Babler beim Thema Ukraine. Deren Selbstbestimmungs- und Selbstverteidigungsrecht müsse unterstützt werden. Der russische Präsident Wladimir Putin sei „absolut“ ein Kriegsverbrecher und derjenige, der für einen „wahnsinnigen militärischen Aggressionsakt“ verantwortlich sei. Gäbe es noch einmal einen Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem österreichischen Nationalrat, würde unter ihm als Parteichef kein Mandatar, keine Mandatarin der SPÖ mehr fehlen.

Warnung vor Stimme für Nehammer

Abschließend warnte Babler vor einer möglichen Neuauflage der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ: Es drohe Schwarz-Blau „mit all dem Wahnsinn, den wir erlebt haben“, wie Steuergeschenken, Unternehmenssteuersenkungen und Debatten über Lohnzurückhaltung. „Da erwartet uns Schlimmes für das Land.“ Jede Stimme für ÖVP-Obmann Karl Nehammer ermögliche FPÖ-Chef Herbert Kickl als Kanzler, so Babler.

Analyse: Babler „zum Erfolg verdammt“

Anschließend an das „Sommergespräch“ wurde wie gewohnt in der ZIB2 analysiert: Neben dem Politologen Peter Filzmaier war am Montag auch „Kurier“-Journalistin Johanna Hager zu Gast. Die SPÖ müsse nach dem misslungenen Wahlvorgang des neuen Parteichefs Aufbruchstimmung signalisieren, so Filzmaier. Die nächsten drei Wahlen – Gemeinderatswahlen in Salzburg und Innsbruck sowie die EU-Wahl – seien undankbare Wahlen, in den betroffenen Gemeinderäten sei die SPÖ in schlechten Ausgangslagen. Auch bei der EU-Wahl im kommenden Jahr könne sich Babler keine neuen Probleme leisten, er sei „zum Erfolg verdammt“.

Analyse des ORF Sommergesprächs

Im Studio analysierten der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und die Journalistin Johanna Hager („Kurier“) das Sommergespräch mit Andreas Babler.

Zur 32-Stunden-Woche sah Filzmaier den SPÖ-Chef in einem Dilemma zwischen Problemkritik und Lösungsansatz. Die SPÖ-Beschäftigten unterlägen selbst keiner 32-Stunden-Woche, wie Babler im „Sommergespräch“ einräumen musste. Das sei „ein roter Eiertanz oder die Babler’sche Schwimmstunde“ gewesen, so Filzmaier.

Für Hager präsentierte sich Babler als „Playing Captain“ einer Mitmachpartei: Er habe quasi alle Wählerinnen und Wähler adressieren wollen und versucht, das an Themen wie dem Autofahren und der Häuselbauermentalität herunterzubrechen. Das seien auch Themen, denen sich die ÖVP verschrieben habe.