Blick über die russische Stadt Pskow mit riesiger Explosionwolke im Hintergrund
AP/Ostorozhno Novosti
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Drohnenangriffe auf Russland in neuer Phase

Es war die größte Serie an Drohnenangriffen auf russisches Gebiet seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine: Russische Behörden meldeten am Mittwoch Attacken – und Drohnenabschüsse – in mehreren Regionen. Den größten Schaden verursachten die Drohnen auf einem Militärflughafen nahe den Grenzen zu Lettland und Estland. Auch am Donnerstag gab es neue Angriffe. Experten sprechen von einem möglichen Auftakt einer neuen Phase einer strategischen Kampagne der Ukraine.

Insgesamt seien in den vergangenen Stunden mindestens sechs Regionen betroffen gewesen, teilten Behörden am Mittwoch mit. Dabei wurden auf dem Flughafen der Stadt Pskow vier Transportflugzeuge vom Typ Il-76 beschädigt, wie die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf Rettungskräfte meldete. Zwei Maschinen seien in Flammen aufgegangen.

Der Flughafen, der vom russischen Militär betrieben wird, bleibe am Mittwoch für den zivilen Flugverkehr geschlossen, hieß es. Ein von Gouverneur Michail Wedernikow geteiltes Video zeigte ein großes Feuer und dichten schwarzen Rauch über dem Flughafen, während Explosionen und Sirenen zu hören waren. In Berichten war von einem Drohnenschwarm von bis zu 20 Flugobjekten die Rede. Es wurde auch ein Tanklager getroffen, berichtet das russische Exilmedium Meduza.

Drohnenangriffe auf Flugplatz

Die Drohnenangriffe auf russische Militärflugplätze gehen weiter – in der Nacht war Pskow an der Grenze zu Estland betroffen. Vier Flugzeuge wurden dabei beschädigt.

Flug über Belarus?

Pskow, Hauptstadt der gleichnamigen Region, liegt rund 660 Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze und nahe den Grenzen zu Lettland und Estland. Die große Distanz wirft Fragen auf: Dass Drohnen mehrere hundert Kilometer zurücklegen können, ist bekannt. Unklar ist allerdings, wie sie von Russland – und möglicherweise auch von Belarus – unbemerkt so weit fliegen konnten.

Denn wenn die Drohnen nicht im östlichsten von der Ukraine kontrollierten Teil des Landes gestartet wurden, führte die kürzeste Strecke nach Pskow auch über den Luftraum von Belarus. Militärexperten vermuten, dass Russland Luftabwehrsysteme ins Kriegsgebiet verlagert haben könnte – und damit aber im eigenen Land ungeschützter ist.

In russlandfreundlichen Kommentaren wurde spekuliert, die Drohnen könnten auch von Estland oder Lettland gestartet worden sein. Die russische Außenministeriumssprecherin Maria Sacharowa sagte, die Drohnen hätten nicht ohne Informationen aus dem Westen eine solche Entfernung zurücklegen können. Die Angriffe würden nicht ungestraft bleiben.

Angriffe in weiteren Regionen

Russische Behörden meldeten zudem, ukrainische Drohnen seien auch über den russischen Regionen Moskau, Brjansk, Orlow, Rjasan und Kaluga abgeschossen worden. In Brjansk habe die Ukraine versucht, mit den Fluggeräten einen Fernsehturm anzugreifen, hieß es aus Russland. Ziel war jedoch eher der größte Mikroelektronikhersteller des Landes, das Unternehmen Kremniy EL. Hauptkunde ist die russische Armee.

Russland meldete am Mittwoch auch die Tötung von zwei „Saboteuren“ in Brjansk. Sie sollen als Teil einer „Sabotage- und Aufklärungsgruppe“ eingedrungen sein. Wie der russische Geheimdienst FSB erklärte, wurden bei den „Kampfeinsätzen“ fünf weitere Menschen gefangen genommen, drei von ihnen seien verletzt gewesen.

Bürgermeister: Drohne nahe Moskau abgeschossen

In sozialen Netzwerken wurden von mehreren Explosionen in Brjansk berichtet. Unabhängig überprüft werden konnten weder diese Angaben noch die russischen Berichte. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme. Die Regierung in Kiew hält sich grundsätzlich allerdings sehr bedeckt mit Äußerungen zu Drohnenangriffen auf Ziele in Russland.

Auch in der Nacht auf Donnerstag wurden russische Ziele aus der Luft angegriffen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums schoss die Flugabwehr über der annektierten Halbinsel Krim einen Marschflugkörper aus der Ukraine ab. Ebenso seien über dem Gebiet Brjansk an der Grenze zur Ukraine zwei Drohnen abgefangen worden. Laut Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin wurde auch in der Nähe der Hauptstadt eine Drohne abgeschossen, der Flugverkehr wurde temporär eingestellt.

Eine Grafik zeigt Drohnenangriffe auf Russland von Jänner bis August 2023
Grafik: APA/ORF; Quelle: BBC

„Strategische Kampagne“

Schon seit Monaten werden auch Ziele aus russischem Territorium von Drohnen angegriffen, Ende Juli gab es eine Serie von Einschlägen in Moskau. Phillips O’Brien, Professor für strategische Studien an der schottischen Universität St. Andrews, schrieb damals bereits: „Es handelt sich um eine politische Kampagne, die darauf abzielt, den Glauben der Russen an die Wirksamkeit ihres eigenen Staates zu schwächen.“ Laut BBC gab es seit Jahresbeginn bereits 190 Drohnenangriffe auf russischem Boden.

Dass nun aber konzertiert Angriffe auf verschiedene Ziele gleichzeitig erfolgen, deutet auf eine neue Strategie hin. Der australische Militärexperte Mick Ryan schrieb nun in einem Substack-Eintrag von einer eigenständigen „strategischen Kampagne“, die „politische und militärstrategische Auswirkungen auf die ukrainische Kriegsführung haben soll“. Ziel sei wohl die Schwächung der militärischen Kapazitäten Russlands, indem „sie die Verlegung von Luftverteidigungsradaren und anderen Systemen erzwingen“. Zudem solle die öffentliche Meinung in Russland beeinflusst werden.

„Kein Allheilmittel“

Ryan vermutet, dass angesichts der nahenden Wintermonate diese strategischen Schläge noch an Bedeutung und Sichtbarkeit gewinnen, weil Bodenmanöver in der nassen, kalten Jahreszeit schwierig seien. Vor allem dem Westen könne man in dieser Zeit auch Fortschritte im Krieg vermitteln.

Ryan warnt aber auch davor, die Wirkung dieser Schläge zu überschätzen: „Die von den Ukrainern durchgeführten Langstreckenangriffe sind zwar von entscheidender Bedeutung, aber sie sind kein Allheilmittel und werden den Krieg an sich nicht gewinnen.“