Hubert Aiwanger (Freie Wähler), stellvertretender bayerischer Ministerpräsident
APA/Lennart Preiss
Flugblatt-Affäre

Aiwangers Kurzauftritt ohne Rücktritt

Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist um eine Facette reicher. Am Donnerstag lud Aiwanger zu einer Presseerklärung. Schon zu Beginn wurde mitgeteilt, dass keine Fragen erlaubt seien, der Auftritt dauerte nur wenige Sekunden. Er bat um Entschuldigung und ortete gleichzeitig eine politische Kampagne gegen ihn.

„Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden“, sagte der Freie-Wähler-Chef in München. Er habe als Jugendlicher Fehler gemacht und bitte dafür um Entschuldigung. „Es ist nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden“, las er von einem Blatt Papier ab. „Es ist ein negatives Bild von mir in den letzten Tagen gezeichnet worden. Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger.“

Er entschuldigte sich dann bei Opfern des NS-Regimes sowie bei „allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit“. Aiwanger betonte erneut, das Pamphlet nicht verfasst zu haben und distanzierte sich von dessen Inhalt. „Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind.“ Er könne sich „nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert.“

Presseerklärung von Hubert Aiwanger

Bayerns Vizeregierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat sich in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entschuldigt. Er bereue zutiefst, wenn er durch sein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen ihn aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe, sagte Aiwanger in München. Von einem möglichen Rücktritt war in seinem kurzen Statement aber keine Rede.

Der Chef der Freien Wähler stand laut „Süddeutscher Zeitung“ in seiner Schulzeit in den 80er Jahren im Verdacht, ein antisemitisches Flugblatt verfasst und verteilt zu haben. Exemplare sollen in seiner Schultasche gefunden worden sein. Am Wochenende erklärte er, nicht dessen Urheber gewesen zu sein. Parallel übernahm sein Bruder dafür die Verantwortung.

Kritik an „kurzer Erklärung“

Die deutsche Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sagte auf einem Volksfest in Nürnberg, Bürgerinnen und Bürger hätten ein Recht auf eine Landesregierung mit Anstand. Dazu gehöre, „dass man sich ehrlich entschuldigt, dass man alle Informationen auf den Tisch legt und dass dann auch Konsequenzen daraus gezogen werden.“ Das vermisse sie bisher – „beim stellvertretenden Ministerpräsidenten, aber ehrlicherweise auch beim Ministerpräsidenten“, sagte Lang mit Blick auf Aiwanger und Regierungschef Markus Söder.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, reagierte ebenfalls enttäuscht auf Aiwangers „kurze Erklärung“. Sie komme sehr spät und sei in Wirklichkeit keine. „Erst bekundet Aiwanger Reue, dann stellt er sich doch wieder als Opfer dar. Geklärt ist bislang nicht viel, die Konsequenzen sind offen.“ Jetzt seien Haltung und Führung von Ministerpräsident Söder gefragt. Von dem „sonst so lauten“ Söder sei wenig zu hören. Das schade der Demokratie insgesamt. „Die Causa Aiwanger ist nicht vorbei“, betonte Mast.

Der Präsident des Zentralrats der Jüdinnen und Juden, Josef Schuster, sagte der „Bild“: „Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoah war ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt.“ Schuster sagte weiter: „Bedauerlicherweise verbindet er dies mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe und lässt weiterhin den Willen zu offener Aufklärung vermissen. Es bleibt abzuwarten, ob die Beantwortung der Fragen der Staatskanzlei die immer noch ausstehende Klarheit bringen.“

Neue Vorwürfe

Zuletzt waren weitere Vorwürfe zu seiner Schulzeit laut geworden. Auf Aiwangers Twitter-Account (X) wurde am späten Mittwochabend folgende Nachricht veröffentlicht: „Es wird immer absurder. Eine andere Person behauptet, ich hätte ‚Mein Kampf‘ in der Schultasche gehabt. Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen?“ In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst. Ob das auch diesmal der Fall war, dafür gab es keine Bestätigung.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor eine nicht namentlich genannte frühere Mitschülerin Aiwangers zitiert, dieser habe oft Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche mit sich geführt. Sie könne das bestätigen, weil sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe.

Druck auf Aiwanger wächst

Der Druck auf Aiwanger war zuletzt weiter gewachsen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte ebenso weitere Aufklärung gefordert wie CDU-Parteichef Friedrich Merz. Beide bezeichneten die Vorwürfe als „höchst unappetitliche Geschichte“. Bayerns Ministerpräsident Söder hatte seinem Vize zuvor einen Katalog mit 25 Fragen zum Thema zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt.

Auf Antrag von SPD, Grünen und FDP war zudem eine Sondersitzung zu der Flugblatt-Affäre im bayerischen Landtag für 7. September einberufen worden. Dort sollte der Zwischenausschuss zum Thema tagen. Aufklärungsforderungen auch von Kanzler Olaf Scholz werden von den Freien Wählern zurückgewiesen: Der SPD-Politiker wolle sich ja nicht einmal an Dinge erinnern können, die nur wenige Jahre zurückliegen.

Affäre mitten im Wahlkampf

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt auch fast keinen Zweifel daran gelassen, dass das auch möglich sein wird. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern. Die Folgen der aktuellen Krise waren zunächst vollkommen unabsehbar.

Aiwanger war bereits im Juni bundesweit in die Schlagzeilen geraten, wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung in Erding. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurden daraufhin – wie schon so oft – Populismus und nun auch eine Wortwahl a la AfD vorgehalten.