Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra
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Neuer Klimakommissar?

Wirbel um Hoekstra zeigt Konfliktlinien in EU

Die Nominierung des niederländischen Außenministers Wopke Hoekstra zum neuen EU-Kommissar für Klimaschutz sorgt nicht nur in seinem Heimatland für heftigen Widerstand. Auch innerhalb des Europäischen Parlaments verdeutlicht die Kritik einmal mehr die Bruchlinien zwischen den Fraktionen bei Maßnahmen gegen die Klimakrise. Für die notwendige Unterstützung bei der Umsetzung des ambitionierten „Green New Deal“ könnte die mögliche Neubesetzung allerdings von Vorteil sein.

Am Freitag trat Hoekstra von seinem Amt als niederländischer Außenminister zurück. Er wolle sich auf seine wahrscheinlich neue Funktion als EU-Kommissar für Klimaschutz vorbereiten, schrieb der Politiker auf Twitter (X) und reichte bei König Willem-Alexander seine Entlassungspapiere ein.

Er soll Nachfolger des Niederländers Frans Timmermans werden, der bisher als die treibende Kraft hinter dem europäischen „Green Deal“ der Kommission galt und der EU-Politik nun für den heimischen Wahlkampf den Rücken kehrt. Dass sein Erbe jetzt ausgerechnet der 47-jährige Hoekstra, der 20 Jahre beim Ölkonzern Shell und zuvor bei der Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hatte, antreten soll, sorgte sogleich für Irritation in seinem Heimatland.

Europäischer „Green Deal“

Der Europäische „Green Deal“ sieht vor, dass die EU-weiten Emissionen bis 2050 auf null reduziert werden. Das Ziel ist rechtlich verbindlich im EU-Klimagesetz verankert. Bis 2030 sollen die Nettotreibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

30.000 unterschrieben Petition

Hoekstra habe sich weder als Finanzminister noch als Außenminister als Klimaschützer hervorgetan, schrieb die Bürgerbewegung „De GoedeZaak“ (Die gute Sache) in einer Petition, in der sie das Parlament dazu aufrief, einen anderen Kandidaten zu nominieren, der „Klimaschutz ernst nimmt“.

„Obwohl Hoekstra weder Wissen, Können noch den Willen hat, gegen eine totale Klimakatastrophe vorzugehen, wird gerade er als EU-Kommissar nominiert.“ Nach wenigen Tagen hatten die Petition bereits mehr als 30.000 Menschen unterzeichnet. Die Nominierung Hoekstras durch das Kabinett nannten sie eine „letzte Erschütterung der alten Regierungskultur“.

„Die Zukunft unseres Klimas liegt auch in den Händen von Brüssel“, zitiert die niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunkvereinigung BNNVARA den Direktor der Bürgerbewegung, Jurjen van den Bergh. „Hoekstras Profil passt nicht: ein ehemaliger Shell-Manager, der zuvor (die Fluglinie, Anm.) KLM ohne mit der Wimper zu zucken mit einem Milliardenpaket unterstützt hat und sich dem Stickstoffproblem nicht stellen wollte. Das Parlament sollte zumindest über eine solche Nominierung debattieren.“

Von der Leyen sieht „relevante Berufserfahrung“

Auch die Chefin der Umweltschutzorganisation Client Earth Europe, Jagoda Munic, bezeichnete Hoekstras Nominierung zum EU-Klimakommissar als „bedrückende Neuigkeit“. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach hingegen von für die neue Position „relevanter Berufserfahrung“, über die Hoekstra verfüge. Dessen Regierungserfahrung werde zudem für die EU ein „großer Vorteil“ mit Blick auf die im Dezember anstehende UNO-Klimakonferenz (COP 28) in Dubai sein.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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Laut von der Leyen ist Hoekstras Berufserfahrung für die COP28 von Vorteil

Hoekstra habe „große Motivation für den Posten und großes Engagement für die Europäische Union“ gezeigt, sagte von der Leyen Anfang der Woche nach einem Gespräch mit Hoekstra. Der 47-Jährige muss nun noch vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten bestätigt werden. Hoekstra müsse mit einer harten Anhörung im Europäischen Parlament rechnen, wo er eine positive Bewertung erhalten und eine möglicherweise knappe Abstimmung im Plenum mit einer Mehrheit bestehen muss, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters.

Konservative Fraktion kritisiert Klimapolitik

Die Kritik an der Nominierung Hoekstras rief einmal mehr Diskussionen über die Rolle der konservativen Fraktion des Europäischen Parlaments bei Maßnahmen gegen die Klimakrise hervor. Die EVP, die sich aus christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen Mitgliedsparteien in der EU zusammensetzt, hatte zuletzt entscheidende Vorschläge im Rahmen des „Green Deals“ abgelehnt – etwa die Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden und das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur.

Man habe schon seit Längerem das Gefühl, dass sich die EVP der „postfaktischen“ Politik der US-Republikaner annähere, sagte Helmut Burtscher-Schaden von der Umweltschutzorganisation Global2000 nach der EVP-Ablehnung des Naturschutzgesetzes gegenüber ORF.at. Er beobachte eine „Radikalisierung“ der Konservativen. Es gehe nicht mehr „um wissenschaftliche Tatsachen oder christdemokratische Werte“, sondern nur noch ums Verhindern.

Plenum des EU-Parlaments in Brüssel
AP/Virginia Mayo
Im Europäischen Parlament hatte es zuletzt Diskussionen wegen Teilen des „Green New Deals“ gegeben

Vor allem „die Rolle der Landwirte als Wegbereiter für den grünen Wandel und einen widerstandsfähigen Agrarsektor“, wie eine Debatte des EU-Parlaments heißt, war in den letzten Monaten von der EVP hinterfragt worden. Man stelle zwar den „Green Deal“ an sich nicht infrage, doch es gebe ein „Problem des Übermaßes an Bürokratie“ sowie eine drohende Abhängigkeit von Importen. Die ÖVP sorgt sich, wie die gesamte EVP, um „weitere Belastungen“ für Bäuerinnen und Bauern und die Ernährungssicherheit Europas.

Medien: „Gleichgesinnter“ von Vorteil

Mit dem Sozialdemokraten Frans Timmermans sei von der Leyen politisch und persönlich nicht optimal zurechtgekommen, schreibt „de Volkskrant“. Zudem sei Timmermans im EU-Parlament unter Beschuss geraten, vor allem von von der Leyens christdemokratischer Fraktion. Mit Timmermanns verlasse nun aber ein „Schwergewicht der Klimapolitik die europäische Bühne“, konstatierte der Spiegel. Selten sei ein EU-Kommissar auch über die Brüsseler Blase hinaus so bekannt, gefürchtet und beliebt gewesen. Eine so starke Stimme für den Klimaschutz sei schwer zu ersetzen.

Dass Hoekstra den Ausrichter der diesjährigen COP28, Ölmanager Sultan Ahmed Al Jaber, wegen des Abschlusses einer Vereinbarung zwischen niederländischen Unternehmen und dessen Firma Masdar bereits kenne, könnte sich aber noch als Vorteil erweisen. Für von der Leyens „Ringen um die Unterstützung des EU-Parlaments für die europäische Klimapolitik“ könne es zudem von Vorteil sein, wenn diese künftig von einem politisch Gleichgesinnten propagiert wird, schreibt „de Volkskrant“. So funktioniere Machtpolitik.