Verhandlungssaal im Bundesverwaltungsgericht in Wien
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„Rechtsstaatlicher Skandal“

Postenbesetzungen liegen auf Eis

So schwierig war die Postenbesetzung noch nie: Schon seit Monaten sind wichtige Funktionen der Republik vakant – konkret: Derzeit sind sie mit Interimslösungen besetzt. Zuletzt betrafen nicht nachbesetzte Stellen den Generalrat der Nationalbank. Im Mittelpunkt stehen weiterhin die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

ÖVP und Grüne können sich seit fast 300 Tagen nicht einigen, wer an der Spitze des größten Gerichts des Landes stehen soll. Die frühere Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, ging zwar bereits im Februar als bestgereihte Kandidatin hervor, doch besetzt wurde die Leitung noch nicht. Dem Vernehmen nach sträubt sich die ÖVP gegen die Besetzung. Aktuell leitet noch Vizepräsident Michael Sachs das BVwG.

Sachs sollte eigentlich die BWB leiten. Aus der Bewertung der Personalkommission ging er als Bestgereihter hervor. Die Grünen sehen das mit Hinweis auf ein von ihnen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten anders. Die BWB wird seit Ende November 2021 von Vizechefin Natalie Harsdorf-Borsch interimistisch geleitet. Sie erhielt von der Kommission einen Punkt weniger als Sachs.

Eingang zum Gebäude der Bundeswettbewerbsbehörde in Wien
ORF.at/Patrick Bauer
Die Bundeswettbewerbsbehörde wird seit November interimistisch geleitet

Vorwurf der Junktimierung

Der ÖVP-Grünen-Regierung wird vorgeworfen, dass sie die Besetzung der Stellen junktimiert habe. Das geht auch aus den publik gewordenen Sidelettern zu Postenbesetzungen hervor. Insbesondere bei der Besetzung des BVwG wird das politische Tauziehen kritisch gesehen. Immerhin saßen in der zuständigen Personalkommission etwa der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Christoph Grabenwarter, und Ex-Justizminister Clemens Jabloner.

Die Unstimmigkeiten bei der Besetzung des BVwG führten zuletzt zu einem Rücktritt. Matejka, die derzeit Vorsteherin des Bezirksgerichtes Wien-Floridsdorf ist, hatte am Donnerstag ihre Funktion als Präsidentin der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter (RiV) zurückgelegt. Als Grund dafür gab sie die Posse rund um die Postenbesetzung an.

Ihr Nachfolger, Georg Kanduth, übte am Freitag scharfe Kritik an der Regierung. Kanduth sprach gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal von einem „rechtsstaatlichen Skandal“. Für den bisherigen Vizepräsidenten der Richtervereinigung ist das politische Gezerre für einen Rechtsstaat „äußerst bedenklich“. Schließlich gehe es dabei um die Leitung jenes Gerichts, das die Bundesverwaltung kontrollieren soll.

„Besetzungspackelei“ und „Alarmsignal“

Grüne und ÖVP verweisen in ihren Stellungnahmen freilich nicht auf Absprachen, sondern auf „politische Verhandlungen“, die noch nicht beendet seien. Zudem seien sowohl das BWB als auch das BVwG voll handlungsfähig. Nach Ansicht von SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim schade die Regierung mit der „Besetzungspackelei“ hingegen dem Rechtsstaat. Sie forderte ein Ende der „unsäglichen parteipolitischen Spielchen“ und pochte auf transparente Auswahlverfahren.

Richterpräsident mit scharfer Kritik an Regierung

Der Nachfolger von Sabine Matejka in der Funktion als Präsident der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter (RiV), Georg Kanduth, hat heute starke Kritik an der bis dato noch nicht erfolgten Besetzung der Spitze des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) geübt. Kanduth sprach gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal von einem „rechtsstaatlichen Skandal“. Matejka hatte tags zuvor den Hut genommen und als Grund die ausbleibende Bestellung genannt.

Als „Alarmsignal“ wertete NEOS den Rückzug Matejkas. Schließlich habe die scheidende Präsidentin der Richtervereinigung diese als „über jede parteipolitische Vereinnahmung erhabenen und wichtigen Stakeholder im österreichischen Justizwesen profiliert“, betonte Justizsprecher Johannes Margreiter. Es sei bedauerlich, dass sie diese Funktion aufgibt, „weil sich ÖVP und Grüne in ihrer unsäglichen Postenschacherei nicht einigen können“.

Generalrat der Nationalbank wartet auf Besetzung

Seit Ende 2021 ist zudem die Leitung der Alterssicherungskommission vakant. Der frühere Vorsitzende Walter Pöltner war aus „Frust“ über den Regierungskurs in der Alterssicherung zurückgetreten. Derzeit führt Stellvertreterin Ingrid Korosec die Kommission. Das Sozialressort teilte ORF.at mit, dass man sich mit dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt im Austausch befinde, um die Stelle zu besetzen. Die Kommission sei voll handlungsfähig.

Eine weitere Baustelle hat sich in den vergangenen Tagen aufgetan: Im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) liefen gestern die Mandate von Präsident Harald Mahrer und von Vizepräsidentin Barbara Kolm aus. Nachbesetzung gibt es vorerst keine. Aus dem Finanzministerium hieß es, dass die nötigen Nachbesetzungen bis zur nächsten Sitzung des Generalrats im Oktober erfolgen sollen. Die Ernennung erfolgt über die Bundesregierung für die Dauer von fünf Jahren, eine Wiedernennung ist möglich.

Außenansicht der Nationalbank in Wien
ORF.at/Christian Öser
Der Generalrat der Nationalbank wird personell immer dünner

Laut einem Bericht der „Presse“ hatte WKO-Chef Mahrer die Regierung bereits vor Monaten aufgefordert, für die Nachbesetzung aktiv zu werden. Die Grünen hätten einer Wiederbestellung von Mahrer nicht zugestimmt, hieß es im Bericht. Kolm, die auf einem FPÖ-Ticket sitzt, dürfte nicht verlängert werden. Insgesamt sind ab nächster Woche fünf von zehn Posten im Generalrat unbesetzt. Beschlussfähig ist das Gremium, wenn fünf Mitglieder anwesend sind.