Getreidefeld
Reuters/Bogdan Cristel
Erdogan bei Putin

Neuer Anlauf für Getreidedeal

Am Montag ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Sotschi zu Gast, um Kreml-Chef Wladimir Putin von einer Rückkehr zum Getreidedeal zu überzeugen. Dem Spitzentreffen wird große Bedeutung zugeschrieben, sind doch zahlreiche Staaten von ukrainischem Getreide abhängig. Der Gipfel aber steht unter schlechten Vorzeichen: Russland griff erneut Donau-Häfen in der Region Odessa an, die derzeit für Getreideausfuhren benutzt werden.

Rund dreieinhalb Stunden dauerten die Angriffe Sonntagfrüh, bei denen zwei Zivilisten verletzt und Hafeneinrichtungen beschädigt wurden. Bei den Attacken seien 25 Schahed-Drohnen aus iranischer Produktion eingesetzt worden, der Großteil wurde laut der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen.

„Russische Terroristen greifen weiter Hafeninfrastrukturen an, in der Hoffnung, eine Nahrungsmittelkrise und eine Hungersnot in der Welt zu provozieren“, schrieb der Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Andrij Jermak, auf Telegram. Auch in der Nacht auf Montag gab es Drohnenangriffe, der ukrainischen Angaben zufolge weitreichende Schäden an der Infrastruktur Getreideexport-Hafen Ismajil zur Folge hatte.

Die Donau-Häfen sind derzeit die Hauptroute für ukrainische Getreideausfuhren, nachdem Russland im Juli aus dem von der Türkei und der UNO vermittelten Getreidedeal für sichere Exporte über das Schwarze Meer ausgestiegen war. Russland drohte nach seinem Ausstieg damit, Getreideschiffe im Schwarzen Meer als Angriffsziele zu betrachten.

Die Ukraine verlagerte viele Ausfuhren daraufhin auf die Donau, richtete aber im Schwarzen Meer auch einen Korridor für sichere Transporte ein. Diesen Seeweg passierten inzwischen schon mehrere Schiffe. Doch Russland begann in den vergangenen Wochen, mehrere Donau-Häfen anzugreifen, darunter Reni und Ismajl.

Russland will Handelserleichterungen

Erneut soll Erdogan nun vermittelnd eingreifen, am Montag wird er in Sotschi mit Putin zusammentreffen. Erdogan war bereits am ersten Deal vom Juli 2022 beteiligt, der es ermöglicht hatte, fast 36 Millionen Tonnen Getreide und andere Waren sicher zu verschiffen. Damit konnte dazu beigetragen werden, eine Nahrungsmittelkrise in Teilen Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens zu verhindern. Russland weigerte sich allerdings, das Abkommen einmal mehr zu verlängern. In den Augen des Kreml habe der Westen seinerseits die Bedingungen des Abkommens nicht erfüllt. Darunter fielen etwa Handelshindernisse für russische Lebensmittel- und Düngemittelexporte.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres übermittelte dem russischen Außenminister Sergej Lawrow kürzlich „konkrete Vorschläge“, die darauf abzielen, russische Exporte auf die Weltmärkte zu bringen und die Wiederaufnahme der Schwarzmeer-Initiative zu ermöglichen. Doch Moskau verneinte.

„Betrifft die ganze Welt“

Große Hoffnungen liegen daher auf dem Spitzentreffen in Sotschi. „Der aktuelle Stand wird auf dem Gipfel am Montag besprochen. Wir sind vorsichtig, hoffen aber auf Erfolg, denn es handelt sich um eine Situation, die die ganze Welt betrifft“, so Erdogans außenpolitischer Chefberater Akif Cagatay Kilic zum TV-Sender A Haber. „Hier ist die Entscheidung des russischen Führers wichtig. Ich glaube, dass das bilaterale Treffen zwischen Präsident Erdogan und Putin in dieser Angelegenheit die wichtigste Rolle spielen wird.“

Enge Beziehungen

Erdogan ist für Putin eine der letzten verbliebenen Brücken zum Westen. Der türkische Präsident unterhielt während des gesamten Krieges enge Beziehungen zu Putin. Die Türkei schloss sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht an und entwickelte sich zu einem wichtigen Handelspartner und logistischen Drehkreuz für Russlands Überseehandel. Das NATO-Mitglied Türkei unterstützt jedoch auch die Ukraine und deren NATO-Beitrittswunsch und schickte Waffen.

Erdogan verärgerte Moskau zudem im Juli, als er fünf ukrainischen Kommandeuren erlaubte, nach Hause zurückzukehren. Die Soldaten waren von Russland gefangen genommen und an die Türkei ausgeliefert worden, unter der Bedingung, dass sie dort für die Dauer des Krieges bleiben. Doch Putin kappte die engen Beziehungen nicht, die seit 2016 bestehen, als in der Türkei ein Putsch gegen Erdogan scheiterte. Damals bot Putin Erdogan als erster seine Unterstützung an.

Das Verhältnis der beiden änderte sich auch nicht, als Russland und die Türkei in verschiedenen Konflikten wie in Syrien auf unterschiedlichen Seiten standen. Im Gegenteil: Die Türkei und Russland wuchsen in den folgenden Jahren mit zunehmendem Handelsvolumen enger zusammen und starteten gemeinsame Projekte wie die „Turkstream“-Gaspipeline und das erste Atomkraftwerk der Türkei. Der Erwerb russischer Flugabwehrraketen im Jahr 2019 führte dazu, dass Washington die Türkei aus dem von den USA geführten Tarnkappenjägerprogramm F-35 ausschloss.