Ukrainische Soldaten tragen Nahrungsmittel in einen Stützpunkt
IMAGO/Ashley Chan
Ministerwechsel

Ukraine forciert Korruptionsbekämpfung

Die Ukraine greift im Kampf gegen Korruption derzeit hart durch: Abgesehen vom Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums regte Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt auch härtere Strafen im Zusammenhang mit Korruption an. Kiew dürfte der EU und der NATO damit signalisieren wollen, dass man sich für Beitrittsgespräche bereitmacht.

Zur Erinnerung: Im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International landete die Ukraine im Jahr 2022 auf Platz 116 von 180. Es machte damit im Vergleich zu 2021 – damals kam das Land auf Platz 122 – zwar ein paar Plätze gut, schnitt innerhalb Europas mit Ausnahme Russlands (Platz 137) aber so schlecht ab wie kein anderes Land.

Besserung gelobt Selenskyj schon seit einiger Zeit. Doch ausgerechnet Korruptionsskandale um das Verteidigungsministerium, die im Rückzug des international angesehenen Verteidigungsministers Olexij Resnikow gipfelten, ließen immer wieder Kritik laut werden. „Ich bin der Meinung, dass das Ministerium neue Herangehensweisen braucht und andere Formate der Zusammenarbeit mit den Soldaten und der Gesellschaft insgesamt“, sagte Selenskyj zum Wechsel an der Spitze des Ministeriums.

Der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow
Reuters/Ints Kalnins
Dem Verteidigungsministerium wurde mehrfach Korruption vorgeworfen. Minister Resnikow warf inzwischen das Handtuch.

Wirbel um Winteruniformen und Lebensmittelverträge

Den Neustart im Verteidigungsministerium will man mit dem Chef des staatlichen Vermögensfonds, Rustem Umjerow, schaffen. Es ist nicht die erste hochrangige Neubesetzung im Ministerium: Resnikows Stellvertreter Wjatscheslaw Schapowalow musste heuer etwa zurücktreten, nachdem das Ministerium beschuldigt wurde, Lebensmittelverträge zu stark überhöhten Preisen abgeschlossen zu haben.

Ende August berichteten mehrere Medien außerdem, das Verteidigungsressort habe Ende 2022 einen Vertrag mit einem türkischen Unternehmen über die Lieferung von Winteruniformen abgeschlossen, deren Preis sich nach Vertragsabschluss verdreifacht habe. Hinweise, wonach Resnikow persönlich in die Skandale involviert war, gibt es nicht.

Selenskyj beklagt „korrupte Entscheidungen“

Doch die Probleme der Armee reichen weiter: Vor wenigen Tagen prangerte Selenskyj die „systematische Korruption bei der medizinischen Freistellung von Kriegsdienstverweigerern“ an. Er verwies dabei auf eine Untersuchung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, die das Ausmaß von falschen Befreiungen, Bestechung und Flucht ins Ausland seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 deutlich gemacht habe.

„Es gibt Beispiele von Regionen, in denen sich die Zahl der Wehrdienstbefreiungen aufgrund von Entscheidungen der Ärztekommission seit Februar vergangenen Jahres verzehnfacht hat.“ Es sei völlig klar, „um was für Entscheidungen es sich handelt: korrupte Entscheidungen“. Es gehe um Bestechungsgelder zwischen 3.000 und 15.000 Dollar. Bereits Anfang August hatte der ukrainische Präsident alle regionalen Verantwortlichen für die Rekrutierung von Soldaten entlassen. Gegen zahlreiche Personen wurden Strafverfahren eingeleitet.

Ex-Förderer von Selenskyj festgenommen

Rigoroser wird dem Vernehmen nach auch gegen korrupte Oligarchen und Juristen vorgegangen: Am Wochenende wurde etwa der Oligarch und ehemalige Selenskyj-Förderer Ihor Kolomojskyj wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche festgenommen. Ein Gericht in Kiew habe eine zweimonatige Untersuchungshaft für Kolomojskyj angeordnet, berichtete Radio Swoboda am Sonntag.

Der ukrainische Oligarch Ihor Kolomojskyj bei seinem Prozess
APA/AFP/Sergei Chuzavkov
Der ehemalige Selenskyj-Förderer Ihor Kolomojskyj wurde festgenommen

Kolomojskyj, der Selenskyj im Präsidentschaftswahlkampf 2019 unterstützt hatte, hat seit Jahren einen zweifelhaften Ruf. Er steht auf einer US-Sanktionsliste und darf nicht in die USA einreisen, da ihm Korruption und demokratiefeindliche Bestrebungen vorgeworfen werden.

Der Milliardär war vor der russischen Invasion im Land einer der reichsten Männer der Ukraine mit Beteiligungen in zahlreichen Wirtschaftsbereichen, unter anderem in der Medienbranche, der Luftfahrtindustrie und dem Energiesektor. Selenskyj distanzierte sich inzwischen von seinem einstigen Förderer.

Korruptionsfall am obersten Gericht

Im Mai kam es zudem zu Festnahmen im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen an den obersten Richter Wsewolod Knjasjew. Knjasjew war damals wegen des Erhalts von umgerechnet zweieinhalb Millionen Euro in bar festgenommen worden. Medienberichten zufolge kam das Geld von einem in Frankreich lebenden Oligarchen, der die Vorwürfe bestritt.

Bündel mit Banknoten aus einem Korruptionsfall in der Ukraine
Reuters/Press Service of the National Anti-Corruption Bureau of Ukraine
Im Mai wurde der Höchstrichter Wsewolod Knjasjew wegen des Erhalts von umgerechnet 2,5 Mio. Euro in bar festgenommen

Die aktuellen Maßnahmen seien nach Einschätzung von ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz zum einen mit Blick auf die ukrainischen EU-Beitrittsbestrebungen und zum anderen mit Blick auf die UNO-Generalversammlung am 18. September getroffen worden. Konkret sollte Kritikern dadurch der „Wind aus den Segeln“ genommen werden, sagte er im Ö1-Mittagsjournal.

Ob auf die jüngsten Entlassungen (im Verteidigungsapparat) auch Gerichtsurteile folgen, sei abzuwarten. „Denn das ist bisher die Schwäche im Kampf gegen Korruption gewesen, dass große Fische bisher nicht wirklich hinter Gittern gelandet sind“, so Wehrschütz.

Selenskyj will Korruption wie Hochverrat bestrafen

Geht es nach Selenskyj, dann könnte sich das in Zukunft ändern. In härteren Strafen sieht die Regierung offenbar das geeignete Mittel zur Korruptionsbekämpfung: Konkret ließ der ukrainische Präsident mit Plänen, wonach der Tatbestand der Korruption für die Dauer des Krieges mit Landesverrat gleichgesetzt werden solle, aufhorchen. In einem Ende August veröffentlichten Interview sagte er, er wolle dem Parlament einen solchen Gesetzesentwurf vorlegen.

Selenskyj zeigte sich überzeugt, dass eine solche rechtliche Gleichstellung für die Dauer des russischen Angriffskrieges gegen sein Land hilfreich sein könnte. Eine erfolgreiche Bekämpfung von Korruption und Schattenwirtschaft läge auch in der Hand der Bürgerinnen und Bürger und von Unternehmen, mahnte er. „Wir müssen ehrlich sein, wir müssen Steuern zahlen“, sagte er im Gespräch mit der Journalistin Natalja Mossejtschuk.

Die ukrainische Gesetzgebung sieht für Korruption bisher unterschiedliche Strafen vor, von Geldstrafen bis zu vier Jahren Haft. In besonders schweren Fällen können es bis zu zwölf Jahre sein. Landesverrat hingegen wird mit 15 Jahren bis lebenslang bestraft.

Korruption als Hürde für EU-Beitritt

Eine Verbesserung der Korruptionsbekämpfung ist ein wichtiger Teil der Voraussetzungen der Europäischen Kommission für einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine. Die EU hatte das Land vergangenes Jahr offiziell zum Beitrittskandidaten gemacht. Vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen muss Kiew zunächst sieben Voraussetzungen der EU-Kommission erfüllen.

Dabei geht es etwa um das Auswahlverfahren ukrainischer Verfassungsrichter und eine stärkere Korruptionsbekämpfung – insbesondere auf hoher Ebene. Auch fordert die EU, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird. Eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist allerdings keine Garantie für eine Mitgliedschaft.

EU versetzt ukrainischen Bestrebungen Dämpfer

Nach der Ernennung des neuen Leiters des Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, im März hatte Regierungschef Denys Schmyhal bereits im Mai alle Schritte als erfüllt bezeichnet. Ein Zwischenbericht der Europäischen Kommission vom Juni sah hingegen nur zwei der sieben Kriterien erfüllt.

„Die Haupthürden für die Ukraine sind die Reform des Verfassungsgerichts und der Kampf gegen die Korruption und die Oligarchen“, hieß es damals aus Diplomatenkreisen. Umgesetzt habe die Ukraine dagegen die Brüsseler Empfehlungen, um den politischen Einfluss auf die Medien zu verringern und das Justizsystem zu reformieren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ermunterte die Ukraine seither zu weiteren Reformen. Am Rande des NATO-Gipfels im Juli in Litauen nannte sie den Kampf gegen Korruption und die Stärkung der Institutionen als Aufgaben, bei denen die EU weiter unterstützen könne. Das Reformtempo der Ukraine sei beeindruckend, obwohl das Land einen Abwehrkampf gegen Russland führe. „Und diese Grundvoraussetzung der Reformen gilt sowohl für den Beitritt zur Europäischen Union als auch zur NATO. Hier können wir intensiv unterstützen“, sagte sie.

Wahljahr mit Fragezeichen

Letztlich ist die Korruptionsbekämpfung auch innenpolitisch von Bedeutung für Selenskyj. Im kommenden Jahr sollen die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden. Ob das tatsächlich möglich ist, ist fraglich. Laut Selenskyj sind dafür neben Gesetzesänderungen auch Gelder ausländischer Partner und internationale Wahlbeobachterinnen und -beobachter erforderlich.

Nach Einschätzung vieler Fachleute können aus verfassungsrechtlichen Gründen während des Krieges keine Wahlen durchgeführt werden. So dürfen beispielsweise wegen des Kriegsrechts einige grundlegende Menschenrechte – wie die Rede- und Versammlungsfreiheit – eingeschränkt werden, was einer demokratischen Wahl widerspräche.