Mann vor zerstörtem Haus in Donetsk
AP/Libkos
UNO-Bericht

Zahlreiche Kriegsverbrechen durch Russland

Die im März 2022 vom UNO-Menschenrechtsrat eingesetzte und in Wien angesiedelte „Unabhängige Internationale Untersuchungskommission zur Ukraine“ hat eine große Anzahl von Kriegsverbrechen durch Russland gefunden. Zudem würden einige Fälle untersucht, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert werden könnten. Für Völkermord sah man am Montag bei einer Pressekonferenz in Kiew bisher keine ausreichenden Belege.

Viele der von russischen Streitkräften begangenen Verstöße gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht erfüllten die Kriterien für Kriegsverbrechen, sagte der norwegische Kommissionsvorsitzende Erik Mose. „In Bezug auf zwei Themen, nämlich Folter und die Attacken auf die Infrastruktur seit Oktober 2022, gibt es aber auch die Frage, ob hier von Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Rede sein sollte“, meinte er.

Die Frage nach Völkermord werde von der Kommission weiter untersucht, so der Norweger. „Zum aktuellen Zeitpunkt liegt keine ausreichende Evidenz vor, die zu einer Qualifizierung im Sinn der Völkermordkonvention ausreichen würde“, betonte Mose, der auch Ex-Präsident des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda ist, und verwies zugleich auf strikte Kriterien für diesen Tatbestand.

Zerstörtes Wohngebäude in Kryvyi Rih
Reuters/State Emergency Service Of Ukraine
Immer wieder werden in der Ukraine Wohngebäude von russischen Drohnen getroffen

Deportation ukrainischer Kinder beschäftigt UNO

Untersucht würden jedoch gewisse Erklärungen in russischen Medien, die vielleicht für die Frage nach Anstiftung zum Völkermord relevant sein könnten, sagte der Jurist. Man beschäftige sich in diesem Zusammenhang freilich auch mit der Frage des Transfers oder der Deportation von ukrainischen Kindern, hieß es. Die Informationen variierten jedoch von Fall zu Fall, und man müsste auch genau wissen, was mit den betroffenen Kindern anschließend in Russland passierte.

Anfang August hieß es von den SOS-Kinderdörfern, dass bereits über 19.000 ukrainische Kinder während der russischen Invasion von ihren Eltern getrennt und nach Russland deportiert wurden. Der Leiter der Hilfsorganisation in der Ukraine, Serhij Lukaschow, sprach von „Kriegsverbrechen“, die „nach internationalem Recht Teil eines Völkermords“ seien. Es müsse alles getan werden, um die Kinder zurückzuholen.

Zerstörter Turmnsaal in Hulyaipole
Reuters
Auch ukrainische Schulen wie hier in der Saporischschja-Region werden häufig bei russischen Angriffen getroffen

Zurückgebrachte Kinder würden SOS-Kinderdorf zufolge von Umerziehung und Gehirnwäsche berichten, manche würden mit großen Versprechen geködert, hieß es. Zudem seien einige von ihnen an russischen Schulen unterrichtet worden und daher russischer Propaganda ausgesetzt gewesen. Das hinterlasse Spuren, so Lukaschow.

Haftbefehl gegen Putin

Im Zusammenhang mit den Deportationen ukrainischer Kinder steht auch ein internationaler Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der im März vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag erlassen wurde. Es bestünden „vernünftige Gründe“ für die Annahme, dass Putin für die als Kriegsverbrechen einzustufende Verschleppung von Kindern auf russisches Territorium „persönlich verantwortlich“ sei, hieß es damals. Da Russland das Gericht nicht anerkennt, sieht man in Moskau den Haftbefehl allerdings als „bedeutungslos“ an.

Auch im Hinblick auf die Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates gibt es vonseiten Russlands wenig bis gar keine Kooperation. „Es gibt keinen Druck der Russischen Föderation (auf die Untersuchungskommission, Anm.).“ Das habe auch damit zu tun, dass die Russische Föderation auf „unsere Bemühungen, eine sinnvolle Kommunikation mit dortigen Behörden herzustellen, gar nicht reagiert hatte“, sagte Kommissionsmitglied Pablo de Greiff, ein ehemaliger kolumbianischer Menschenrechtsaktivist, bei der Pressekonferenz.

„Wenige Verstöße“ durch ukrainische Streitkräfte

Die Mitglieder der Untersuchungskommission, die in den letzten Tagen hochrangige Vertreter des ukrainischen Staates trafen und auch mit Kriegsopfern sprachen, beschäftigten sich neben der russischen Verantwortung auch mit „wenigen Verstößen durch die ukrainischen Streitkräfte“, sagte Mose. Konkret sprach er von Angriffen, in denen womöglich nicht zwischen militärischen und nicht militärischen Zielen unterschieden worden sei, sowie zwei durch Videos belegte Fälle der Misshandlung von Kriegsgefangenen.

Erfreut zeigte sich Kommissionsmitglied Vrinda Grover darüber, dass in der Ukraine die mentale und psychosoziale Betreuung von Kriegsopfern mittlerweile als wichtig anerkannt ist. Betroffene hätten bedingt durch einen unsystematischen Zugang jedoch weiterhin Hürden zu überwinden, um auch diesbezüglich betreut zu werden, so die indische Juristin.