ÖVP-Chef Karl Nehammer im Rahmen der ORF-„Sommergespräche“
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

Nehammer-Vorstoß bei Kinderbetreuung

Als letzter Parteichef hat ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer die ORF-Interviewserie „Sommergespräche“ am Montag beendet. In einer knappen Stunde wurde ein weiter Bogen gespannt – von der Koalitionsstimmung über die Wirtschaft und den Klimaschutz bis hin zu seinem Vorgänger Sebastian Kurz. Aber gleich zu Beginn wagte der ÖVP-Chef einen Vorstoß in Sachen Kinderbetreuung.

Die „Sommergespräche“ mit den Parteivorsitzenden fanden heuer im renovierten Parlament statt. Nehammer meinte, dass die Architektur des Hohen Hauses verdeutliche, dass die Politik für die Menschen da sei. Gerade rechtzeitig zum Ende der Sommerferien (zumindest im Osten Österreichs) kündigte der Bundeskanzler ein Paket für die Betreuung von Kindergartenkindern an.

Besonders in der Altersgruppe von ein bis drei Jahren gebe es eine Versorgungslücke. „Mein Ziel ist es, dass wir diese Lücke jetzt schließen“, sagte Nehammer wörtlich. Das koste bis ins Jahr 2030 rund 4,5 Milliarden Euro. Wie konkret die Planungen sind, ist nicht klar. Nehammer betonte, dass es nur mit Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam möglich wäre, dieses Ziel zu erreichen. Denn man müsse die Infrastruktur ausbauen und genügend Personal finden.

„Komplexes“ Thema zuletzt verstärkt im Fokus

Einen ähnlichen Plan hatte Nehammer in seiner ÖVP-Rede Ende März angesprochen. Dort sagte er, dass es zwar ein „ambitioniertes Ziel“ sei, aber er wolle die Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr bis 2030 in Österreich ausbauen. Im „Sommergespräch“ sagte der Parteiobmann, dass das Thema „komplex“ sei und eine große Herausforderung für die Gemeinden darstelle. Als Bund müsse man unterstützend eingreifen, betonte er. Kindergärten sind eigentlich Ländersache, der Bund leistet aber seit Jahren Zuschüsse.

Ins Detail ging der Kanzler allerdings nicht. Er betonte, dass man auch über mögliche Kooperationen nachdenken sollte, etwa zwischen vielen Gemeinden oder zwischen Unternehmen und Gemeinden. Derzeit scheitere eine flächendeckende Kinderbetreuung an der mangelnden Infrastruktur und am fehlenden Personal.

Nehammer will mehr Geld für Kinderbetreuung

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat im ORF-„Sommergespräch“ angekündigt, mehr in den Ausbau der Kinderbetreuung zu investieren.

Aus diesen Gründen würde auch ein oft geforderter Rechtsanspruch „falsche Erwartungen“ schaffen. Wenn man das Angebot habe, könne man auch über den Rechtsanspruch reden, sagte Nehammer, der den Ausbau der Betreuungsplätze auch mit dem Fachkräftemangel begründet. „Wir suchen dringend Arbeitskräfte“, deshalb gehöre auch das Thema Öffnungszeiten angegangen.

Wegen des Fachkräftemangels hatte zuletzt die Wirtschaft Druck betreffend den Ausbau der Kinderbetreuung erhöht. Hierzulande liege bei der Kinderbetreuung viel im Argen, man müsse „endlich in die Gänge kommen“, befand die Wirtschaftskammer. Als Zielsetzung gab sie eine Erhöhung der Betreuungsquote der unter Dreijährigen auf 45 Prozent, eine echte Wahlfreiheit sowie die Ausweitung der Öffnungszeiten um zwei Stunden pro Tag an. Dafür habe man ein Volumen an Gesamtkosten von 6,32 Milliarden Euro bis 2030 errechnet.

Mit Klimaschutzgesetz ändert sich „per se nichts“

Neben der Kinderbetreuung wurde auch der Klimaschutz besprochen, insbesondere weil sich die Regierungsparteien seit Monaten auf kein Klimaschutzgesetz einigen können. „Da bitte ich um ein Stück weit Redlichkeit in der Beurteilung der Lage in Österreich“, sagte der ÖVP-Chef im Sommergespräch. Man sollte sich „intellektuell“ darauf verständigen, „dass das Klima global und nicht national ist“.

Nehammer: Klimaschutzgesetz allein hilft nicht

Nach Ansicht von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer bringt ein Klimaschutzgesetz „per se nichts“. Es bedürfe einer „globalen“ Handlung und Gesetzen, die auch was bewirken, so Nehammer im ORF-„Sommergespräch“.

Den Klimawandel zu verlangsamen klappe nur, wenn man viele Verbündete hat, betonte der Kanzler, der gleichzeitig auf „viele Gesetze“ verwies, die dem Klimaschutz dienten, wie etwa die ökosoziale Steuerreform und das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz. Es brauche „globales Handeln“ und Gesetze, die „auch was bewirken“, so Nehammer. Durch ein Klimaschutzgesetz, das verbindliche Ziele zur Reduktion der Treibhausgase fixieren soll, ändere sich „per se nichts“.

Zwischen ÖVP und Grüne herrscht Uneinigkeit. Man habe zwar das gleiche Ziel, den Klimaschutz, nur die Wege dorthin seien verschieden. Er habe dem Koalitionspartner „immer gesagt, wir brauchen ein Klimaschutzgesetz mit Hausverstand“. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Betriebe und damit die Arbeitsplätze und der Wohlfahrtsstaat dürften nicht gefährdet werden. Die ÖVP stehe für „fördern statt verbieten“. Die Dampfmaschine sei auch nicht verboten worden, „sie ist durch etwas Besseres ersetzt worden“.

Nehammer sieht Glas „halbvoll“

Angesprochen auf die Stimmung in der Koalition sagte Nehammer, dass sein Ziel sei, mit den Grünen bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2024 zu regieren. Trotz aller Krisen (Coronavirus-Pandemie, russischer Angriffskrieg und hohe Inflation) könne sich die Arbeit der Regierung sehen lassen. Man habe mittlerweile zwei Drittel des Regierungsprogramms abgearbeitet, sagte Nehammer und betonte einmal mehr die ökosoziale Steuerreform und die Abschaffung der kalten Progression.

Nehammer lobt Regierungsarbeit

Für ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer ist das Glas „halbvoll“, wie er im ORF-Sommergespräch oft betonte. Die ÖVP-Grünen-Regierung habe das Regierungsprogramm trotz Krisen zu zwei Dritteln abgearbeitet.

Auch die Krisenbewältigungsstrategie der Regierung verteidigte der ÖVP-Chef. In Sachen Inflation habe man sich mit den Grünen darauf verständigt, den „Weg der Mitte“ zu wählen. Zum einen wollte man die Bevölkerung mit direkten Hilfen dabei unterstützen, die Folgen der Teuerung besser zu überstehen. Gleichzeitig habe man dadurch die Kaufkraft in Österreich gestärkt, auch wenn die Inflation weiterhin hoch geblieben ist. Andere Länder, die eine niedrigere Inflationsrate haben, hätten an Kaufkraft verloren, sagte der Kanzler.

Man habe sich aber auch dazu entschlossen, in den Markt einzugreifen, wenn es nötig sei. So erwähnte er etwa den Mietpreisdeckel, der vom Nationalrat noch nicht beschlossen wurde. Dass jene Mieterinnen und Mieter mit freien Mietverhältnissen von dem geplanten Deckel nicht profitieren, sei der Regierung bewusst. „Wir suchen noch immer nach einer Lösung“, sagte Nehammer. Rechtlich gesehen sei das ein großer Brocken. Aber man müsse das Glas auch mal „halbvoll“ sehen.

Nehammer verteidigt Krisenmanagement

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat das Krisenmanagement gegen die hohe Inflation verteidigt. Als Regierung habe man auf direkte Hilfen gesetzt, um die Bevölkerung in der Phase der Teuerung zu unterstützen, so der Kanzler im ORF-„Sommergespräch“.

Distanz zu Kickl

Erneut grenzte sich Nehammer klar von FPÖ-Chef Herbert Kickl ab, dem er unter anderem in Zusammenhang mit „Sky Shield“ vorhielt, das russische Narrativ weiterzuerzählen. Auch das umstrittene Video der Jungen FPÖ mit diversen rechtsextremen Anspielungen verurteilte der VP-Obmann und meinte, dieses stehe klar unter Kickls Einfluss. Das Video hätte auch von den Identitären stammen können, findet Nehammer.

Das alles, verbunden mit der Gefährdung der Bevölkerung durch Kickls Coronavirus-Aussagen und der totalen Zerstörung des Verfassungsschutzes unter ihm als Innenminister, mache den freiheitlichen Obmann zu einem Sicherheitsrisiko: „Es wird mit Karl Nehammer als Bundeskanzler keine Regierung mit Herbert Kickl geben, auch nicht als Minister“, sagte Nehammer. Er werde mit der FPÖ auch nicht koalieren, wenn Kickl Parteichef ist.

Nehammer: „Kickl ist ein Sicherheitsrisiko“

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat sich erneut von FPÖ-Chef Herbert Kickl distanziert. Im ORF-„Sommergespräch“ nannte der den Freiheitlichen ein „Sicherheitsrisiko“.

Nehammer betonte gleichzeitig, dass es die Entscheidung der FPÖ sei, welche Richtung sie einschlägt. Er erinnerte daran, dass die Partei 2019 die Regierung verließ, weil sie an Kickl als Innenminister festhielt. „Seitdem ist die Volkspartei die einzige glaubhafte Partei, die nie mit Herbert Kickl zusammengearbeitet hat“, sagte Nehammer, der Kickl nach der Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz 2018 noch zur Seite sprang. Mit dem Wissen von heute würde er das nicht mehr machen.

Suche nach Gasversorgern

Im Ukraine-Krieg stellte sich Nehammer einmal mehr klar gegen die russische Aggression und betonte, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu unterstützen, sieht doch auch er Wladimir Putin als Kriegsverbrecher. Neutralität bedeute nicht, „dass wir die Augen verschließen, wenn Verbrechen passieren“, sagte der Kanzler, auch angesprochen auf seinen Besuch bei Putin wenige Wochen nach Kriegsbeginn.

Putin für Nehammer Kriegsverbrecher

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine sei eine große Herausforderung, so ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer im ORF-„Sommergespräch“. Die Frage, ob Russlands Präsident Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher sei, bejahte Nehammer.

Dass Österreich weiter Gas aus Russland bezieht, begründete er unter anderem mit noch fehlenden Alternativen. Man habe aber schon im Vorjahr begonnen, sich von Russland unabhängiger zu machen. Das Gas aus Russland sei nicht billiger als aus anderen Ländern, aber das Pipelinesystem stelle eine große Herausforderung dar. „Wir arbeiten daran, die Verbindungen zu Italien und Deutschland zu erweitern. Wir stehen auch mit Kroatien in Verbindung“, so Nehammer.

Abschaffung des Amtsgeheimnisses „zu 90 Prozent fertig“

Seinem Vorvorgänger als Bundeskanzler, Sebastian Kurz, stärkte Nehammer den Rücken. Kurz muss im Oktober wegen mutmaßlicher Falschaussage vor Gericht. „Ich bin froh, dass der Prozess beginnt, Sebastian Kurz ist froh, seine Unschuld beweisen zu können, und ich glaube an die Unschuld von Sebastian Kurz“, sagte Nehammer, „und ich glaube an die unabhängige Gerichtsbarkeit.“

Auf Nachfrage, ob es von ihm keine Kritik an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gebe, betonte der ÖVP-Chef: „Ich habe jetzt bewusst gesagt, ich glaube an die unabhängige Gerichtsbarkeit.“ Zum Schluss nannte Nehammer, dass die Koalition bereits Gesetze gegen Korruption beschlossen habe. Das Ziel sei, dass dieses Jahr noch das Amtsgeheimnis abgeschafft wird. Mit den Grünen verhandle man noch, „zu 90 Prozent sind wir fertig“.

Analyse: Nehammer will Führungsstärke zeigen

Anschließend an das „Sommergespräch“ wurde wie gewohnt in der ZIB2 analysiert: Neben dem Politologen Peter Filzmaier war am Montag auch „Standard“-Journalistin Petra Stuiber zu Gast. „Nehammer war als Parteichef eingeladen, trat aber als Kanzler auf“, sagte Filzmaier. Er wolle Führungsstärke zeigen, weil er eben in der Vergangenheit eher die zweite Rolle übernommen hatte. Kanzler Nehammer habe bis auf die Kinderbetreuung kaum Zukunftsversprechen angesprochen.

Analyse des „Sommergesprächs“ mit ÖVP-Obmann Nehammer

Fünfter Gast bei den „Sommergesprächen“ 2023 war Bundeskanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer. Im ZIB2-Studio analysierten der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und die Journalistin Petra Stuiber („Der Standard“) dessen Aussagen.

Angesprochen auf die Aussagen über das Klimaschutzgesetz, sagte Journalistin Stuiber, dass es ein solches in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben wird. Der ÖVP-Chef sei ein „Bremsfaktor“, sagte die „Standard“-Journalistin mit Blick auf die Grünen, die das Gesetz schnell beschließen wollen. Überraschend für Politexperten Filzmaier war, dass Themen wie Bargeld nicht ventiliert wurden. Nehammer hätte einige Wähler und Wählerinnen ansprechen können.

Dass Nehammer keine Koalition mit FPÖ-Chef Kickl will, aber eine mit der FPÖ im Bund und in den Ländern nicht ausschließt, sei schwer argumentierbar, sagte Stuiber, „ein bisschen schwanger kann man nicht sein“. Filzmaier erinnerte daran, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kickl wohl nicht angeloben würde, sollte die FPÖ Teil einer Regierung sein. Nehammer könnte auf die mögliche Entscheidung von Van der Bellen schielen, so der Politikwissenschaftler.