Roter Teppich vor einem Privatjet
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Offener Brief

Reiche fordern global höhere Reichensteuer

In einem offenen Brief fordern fast 300 Millionäre und Millionärinnen, Ökonominnen und Ökonomen sowie Politiker und Politikerinnen kurz vor dem G-20-Gipfel in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi am Wochenende die G-20 auf, die Steuern für Reiche zu erhöhen. Das berichtete der britische „Guardian“ am Dienstag. Schnelles Handeln sei nötig, damit extremer Reichtum nicht „unsere kollektive Zukunft zersetzt“, heißt es in dem Statement.

Die G-20 müsse sich darauf einigen, die Steuern für Reiche zu erhöhen, fordern die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen. Es seien dringend Maßnahmen erforderlich, um extremen Reichtum zu verhindern. Eine stärkere Besteuerung von Vermögen würde „gefährliche Ausmaße der Ungleichheit“ verringern. Die Industrie- und Schwellenländer müssten den G-20-Gipfel nutzen, um ein internationales Abkommen zur Erhöhung der Vermögenssteuern für die Reichen auf der Welt zu schmieden, heißt es in dem Brief weiter.

Der Brief wurde von den Organisationen Patriotic Millionaires, Institute for Policy Studies, Earth 4 All, Millionaires for Humanity und Oxfam gemeinsam veröffentlicht. Zu den bekannten Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen gehören etwa die Disney-Erbin Abigail Disney, der Künstler Brian Eno und der britische Drehbuchautor Richard Curtis. Weitere Unterzeichnende sind der US-Senator Bernie Sanders, die ehemalige Präsidentin der UNO-Generalversammlung, Maria Espinosa, sowie die Ökonomen Gabriel Zucman, Jayati Ghosh, Kate Raworth, Joseph Stiglitz, Lucas Chancel und Thomas Piketty.

Disney-Erbin Abigail Disney
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Disney-Erbin Abigail Disney setzt sich für höhere Steuern für Reiche ein

Mindeststeuerniveau für multinationale Konzerne Vorbild

Die fast 300 Personen fordern die G-20 auf, die gleiche globale Kooperation zu zeigen, die sie bereits gezeigt habe, um sicherzustellen, dass multinationale Unternehmen ein Mindeststeuerniveau zahlen. Nach diesem Vorbild solle man sich nun gemeinsam auf die Besteuerung von Vermögen einigen, so die Forderung.

Die G-20 repräsentiert die führenden Industrienationen und die führenden Schwellenländer. Sie besteht aus 19 Staaten und einem Staatenbund. Der Gruppe gehören neben der EU Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei und die USA an. Am Wochenende findet wieder ein Treffen statt.

Auch Steuervermeidung stoppen

„Es wurde bereits viel Arbeit geleistet. Es gibt eine Fülle politischer Vorschläge zur Vermögensbesteuerung von einigen der weltweit führenden Ökonomen", heißt es in dem Brief. „Die Öffentlichkeit will es. Wir wollen es. Jetzt fehlt nur noch der politische Wille, es umzusetzen“, so der Brief laut „Guardian“ weiter.

Künstler Brian Eno
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Unter den Unterzeichnern ist auch der britische Musiker, Produzent und bildende Künstler Brian Eno

In dem Brief heißt es weiter, dass sich die G-20 gemeinsam darauf einigen solle, die Steuern für reiche Privatpersonen zu erhöhen und auch Steuerwettbewerb und Steuervermeidung zu stoppen. Den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen des Briefes zufolge hat sich das Gesamtvermögen derjenigen, die über ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar (rund 46 Mio. Euro) verfügen, von gesamt 5,6 Billionen auf 11,8 Billionen Dollar (10,9 Billionen Euro) in der vergangenen Dekade stark erhöht, und nur vier Cent von jedem Dollar Steuereinnahmen stammen aus Vermögenssteuern, heißt es in dem Brief weiter.

Kritik an der Politik

Angesichts des enttäuschenden Mangels an politischer Unterstützung für die Besteuerung extremen Reichtums in Großbritannien sei die internationale Zusammenarbeit umso wichtiger, so Julia Davies, Mitglied der britischen Patriotic Millionaires UK, zum „Guardian“

„Die Besteuerung der Allerreichsten, also derjenigen, die es sich am meisten leisten können, ist eine Strategie, die auf das Wesentliche zurückgreift, wenn es um den gesunden wirtschaftlichen Menschenverstand geht.“ Dennoch habe keine große politische Partei den Antrieb oder den Anstand, diese Aufgabe weiterzuführen, so Davies.

Welt an „kritischem Punkt“

Laut Katy Chakrabortty, Leiterin Politik und Interessenvertretung bei Oxfam, ist „der Chor der Stimmen jetzt sicherlich so laut, dass Politiker ihn nicht weiterhin ignorieren können“. Die Welt befinde sich an einem kritischen Punkt. „Eine gerechtere Besteuerung zur Bewältigung der Lebenshaltungskosten und Klimakrisen wird von Millionären und der Öffentlichkeit gleichermaßen unterstützt. Es ist höchste Zeit, dass die Regierungen handeln.“

Angesichts der tiefen Meinungsverschiedenheiten unter den G-20-Mitgliedern wird vom Gipfel am Wochenende wenig erwartet, doch laut den Befürwortern und Befürworterinnen einer globalen Reichensteuer sei es an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs auf die öffentliche Meinung hören.

Gipfel in der Krise

Der G-20-Gipfel befindet sich bereits vor dem Treffen in einer Krise. Der chinesische Präsident Xi Jinping wird nicht am Gipfel in Indien teilnehmen. China werde bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20) durch Ministerpräsident Li Qiang vertreten, bestätigte das chinesische Außenministerium Anfang dieser Woche. Damit ist Xi nach dem russischen Staatschef Wladimir Putin der zweite Präsident, der dem G-20-Treffen fernbleibt.

Für Gastgeber Indien dürfte Xis Fernbleiben ein Makel sein, weil ein wichtiger Staatschef fehlt. Premierminister Narendra Modi will unter seinem G-20-Vorsitz demonstrieren, wie wichtig sein Land geworden ist. Mit Xis Abwesenheit dürfte die Bedeutung der ohnehin schon gespaltenen G-20-Plattform weiter geschmälert werden.

Auch BRICS nicht mit einheitlicher Stimme?

Xis Abwesenheit deutet auch darauf hin, dass die BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – anders, als sie es zuletzt zeigen wollten – nicht mit einer Stimme auftreten können. Xi und Modi trafen im August auf dem BRICS-Gipfel in Südafrika zusammen.

Als Gegengewicht zum Westen erweiterte sich die Gruppe wichtiger Schwellenländer um sechs Mitglieder. Obwohl Indiens Regierungschef erst Kritik daran geäußert hatte, sagte Modi schließlich, er begrüße den von China bevorzugten Schritt. Es gibt aber auch Sorgen, dass Indien durch eine Aufnahme chinafreundlicher Nationen in der Gruppe an Einfluss verlieren könnte.