Armee-Sergeant und Musiker Maman Sani Maigochi
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Patriotische Songs

Musikszene in Niger feiert Putschisten

Wenn demokratisch gewählte Regierungen abgesetzt werden, setzt oft als Gegenbewegung ein Erstarken der Zivilgesellschaft ein. Meist sind es Künstlerinnen und Künstler, die (mit ihrer Kunst) ihren Unmut zum Ausdruck bringen. In Niger, wo zuletzt das Militär geputscht hat, ist nun das Gegenteil der Fall. In den sozialen Netzwerken und im TV machen zunehmend patriotische Musikvideos mit Lobeshymnen auf das Militär die Runde. Beobachterinnen und Beobachter führen das vor allem auf die allgegenwärtige Präsenz des Militärs im Land zurück.

Viele der nun kursierenden Videos existieren zwar schon einige Jahre, erleben aber erst seit dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum durch eine Gruppe von Generälen Ende Juli ein Revival. Vor allem im staatlichen Fernsehsender Tele Sahel häufen sich Videos von alter, aber auch neuer Militärpropaganda, die nun für die TikTok-Ära neu abgemischt wurde, wie die „New York Times“ („NYT“) schrieb.

In einem der besagten Videos preist etwa ein berühmtes Trio von Künstlerinnen in Uniform die Soldaten, die angeblich so schnell wie Antilopen sind. In einem weiteren rasen Pick-up-Trucks durch die Wüste, um mutmaßliche Kriminelle abzufangen. Und in einem dritten fliegt ein Drache aus der Serie „Game of Thrones“ durch den Himmel, während ein bekannter Pro-Militär-Sänger ihn mit Männern in Uniform vergleicht und ihre „Stärke, Weisheit und Intelligenz“ lobt.

Während in vielen anderen Ländern nach militärischen Machtübernahmen vor allem Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Musik gegen autoritäre Machtstrukturen protestieren, signalisieren viele in der nigrischen Kulturszene mit dem Aufleben neuer Videos und Musik den neuen Machthabern ihre Zustimmung.

Versammelte Unterstützer des Militärcoups in Niamey (Niger)
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Neben promilitärischen Musikvideos äußern viele Menschen in Niger auch auf der Straße ihre Zustimmung zur Militärjunta

Solidarität mit dem Militär

Die weite Verbreitung promilitärischer Propagandavideos gibt auch Einblick in die Geschichte, die zwischen der nigrischen Bevölkerung und dem Militär besteht. Denn Furcht und Respekt vor dem Militär sind tief in der Gesellschaft verwurzelt, meinen Beobachterinnen und Beobachter. Das Militär sei nämlich mit fünf Staatsstreichen in den letzten 50 Jahren und auch zuletzt durch den Kampf mit islamistischen Aufständen allgegenwärtig gewesen.

Zudem hätten viele in Niger das Ende der demokratischen Herrschaft teilweise begrüßt, da sie diese vor allem mit Korruption, wirtschaftlicher Not und eingeschränkter Meinungsfreiheit – u. a. auch für Künstlerinnen und Künstler – in Verbindung brachten. Hinzu kommt, dass rund 71 Prozent der nigrischen Bevölkerung in einer Afrobarometer-Umfrage vom Juni des letzten Jahres meinten, „viel Vertrauen“ in das Militär zu haben.

Junge erleben erstmals Militärherrschaft

Mit der ersten Machtübernahme des Militärs seit 2010 erleben viele der 25 Millionen Menschen in Niger, von denen die Hälfte unter 15 Jahre alt ist, zum ersten Mal eine Militärherrschaft. Im vergangenen Monat haben Hunderte junger Menschen jede Nacht Wache gehalten und verdächtig aussehende Autos kontrolliert, um – dem Aufruf der Junta folgend – das Land vor einer ausländischen Invasion zu schützen. Gehört wurden dabei oft promilitärische Lieder.

Einer der meistgehörteen ist Mamane Sani Maigochi, selbst ein ehemaliger Militär und einer der bekanntesten promilitärischen Sänger, wie u. a. auch France 24 berichtete. Das nigrische Militär hatte zuletzt eines seiner Lieder auf Facebook geteilt, unterlegt mit Bildern von General Abdourahmane Tiani, der sich nach dem Staatsstreich selbst zum Staatschef ernannt hatte, sowie weiteren Militärführern.

Armee-Sergeant und Musiker Maman Sani Maigochi während eines Musikvideo-Drehs
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Der Ex-Militär Mamane Sani Maigochi ist einer der bekanntesten und meistgehörten Sänger promilitärischer Musik

Darin singt er u. a.: „Soldaten sind mächtig. Sie besiegen Aggressoren und retten unser Land.“ Zuletzt trat er auch vor der Militärjunta im größten Stadion des Landes auf, gefüllt mit Tausenden Fans und Militärs.

Musikvideo inmitten von Protesten

Ein weiterer Hit in Niger ist das Rap-Duo MDM, das in seinem neuen Song „Niger Guida“ („Niger, mein Zuhause“ in der in West- und Zentralafrika weitverbreiteten Hausa-Sprache, Anm.) u. a. singt: „Niger ist unsere Heimat, wer uns angreift, muss mit den Konsequenzen rechnen. Wir haben keine Angst vor dem Tod, kommt und tötet uns.“

Wie auch der WDR berichtete, spielt das Duo damit u. a. auf die Reaktionen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) an, die nach dem Putsch Wirtschaftssanktionen gegen die Militärjunta verhängt und sogar mit einem militärischem Eingreifen gedroht hatte.

Das Musikvideo zum Song hatten sie kurz nach dem Sturz des Präsidenten auf einer promilitärischen Kundgebung in der nigrischen Hauptstadt Niamey aufgenommen. Darin zeigen sie sich umgeben von vielen Protestierenden mit erhobenen Fäusten und nigrischen Fahnen sowie auch vielen Militärs.

Expertin sieht „eine Menge Zensur“

Während in Niger nur promilitärische Versammlungen genehmigt sind und viele Künstlerinnen und Künstler seit dem Putsch geschwiegen haben, ist aus dem Ausland durchaus auch Protest gegen die Militärjunta zu hören. Die in der Szene bekannte Gruppe Mdou Moctar erklärte zuletzt auf einem Konzert im New Yorker Central Park ihre Unterstützung für den gestürzten Präsidenten.

Viele Expertinnen und Experten zweifeln zudem an der verbreiteten positiven Stimmung in Niger durch viele Künstlerinnen und Künstler. „Die meisten Stimmen, die wir jetzt hören, sind jene, die erlaubt sind“, zitierte die „NYT“ Ousseina Alidou, eine nigrische Sprachwissenschaftlerin an der Rutgers University in New Jersey, die der Militärführung unter anderem „eine Menge Zensur“ attestiert.

Die patriotischen, promilitärischen Lieder würden zudem auch die düstere Aussicht auf eine verstärkte Zensur unter der Militärherrschaft, wie es sie zuletzt auch in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso gab, verbergen.

Künstler sehen auch Militär nicht unantastbar

Doch Künstlerinnen und Künstler in Niger argumentierten, dass sie auch unter der Herrschaft des gestürzten Präsidenten Bazoum und auch seines Vorgängers Mahamadou Issoufou nur eine eingeschränkte Meinungsfreiheit hatten. „Sobald die Demokratie nicht funktioniert, wenden sich die Menschen dem Militär zu“, sagte die Sängerin der Band Sogha, Aichatou Ali Soumaila, gegenüber der „NYT“, deren 2016 geschriebenes Lied über die Armee in letzter Zeit wieder an Popularität gewonnen hat.

Viele Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen auch Souleymane Barke, ein Mitglied des MDM-Duos, warnten allerdings, dass sie in ihrer Musik auch die Militärs angreifen würden, wenn diese sich gegen den Willen des Volkes stellten. „Mächtige können zu Fall gebracht werden“, pflichtete ihm Soumaila zu. Diese Karte habe man stets in der Hand.