Buchforschung trauert um Murray G. Hall

Die österreichische Buchforschung trauert um den gestern verstorbenen Austrokanadier Murray G. Hall. Hall, der 1947 im kanadischen Manitoba geboren wurde und nach Stationen in Kanada und Freiburg im Breisgau bereits in den 1970er Jahren in Wien forschte. Hall war einer der Ersten, die hierzulande über Robert Musil promovierten. Am Montag verstarb Hall nach kurzer Krankheit.

1978 erschien sein aufsehenerregendes Buch über den ermordeten Autor und Sexualreformer Hugo Bettauer. Halls Schwerpunktgebiet sollte aber die Buchforschung werden, die er entscheidend in Österreich vorantrieb. Mit seiner Publikation zur österreichischen Verlagsgeschichte 1918 bis 1938 verfasste er ein Standardwerk, in dem er die den zahlreichen „Arisierungen“ jüdischer Verlage und Buchhandlungen aufdeckte.

Seine Auseinandersetzung mit der Verlagsgeschichte brachte Hall auch gerichtliche Verfahren ein, gegen die er, wie er sagte, „den Wahrheitsbeweis antreten konnte“. Hall interessierte sich auch dafür, wie mancher Verlag nach 1938 weitermachte, was einigen Nachkommen ein Dorn im Auge war.

Murray G Hall 1986 am Randes eines Prozesses
ORF
Murray G. Hall 1986 am Rande eines Prozesstermines wegen seiner Verlagsgeschichte 1918–1938

Aufarbeitung der ÖNB in NS-Zeit

Hall war später Leiter jenes Projekts, das die Geschichte der Nationalbibliothek in der NS-Zeit erforschte. Viele Jahre war er auch für den ORF und Radio Österreich International tätig. Bis zuletzt hatte sich Hall seinen Forschungen gewidmet, wobei in den letzten Jahren sein Interesse den deutschsprachigen Verlagen in Böhmen zwischen 1918 und 1945 galt.

„Murray G. Hall war ein sehr beliebter akademischer Lehrer und besaß eine unvergleichliche Kenntnis der österreichischen Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts“, erinnert sich der an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrende Kollege aus der Buchforschung, Johannes Frimmel: „Sein Tod ist für die österreichische Wissenschaft ein großer Verlust.“

Lob für einen gewissenhaften Chronisten

Während seiner Zeit als Hochschullehrer betreute er an die 300 Dissertationen, Diplom- und Masterarbeiten. 2013 wurde Hall vom Verband der Antiquare Österreichs zum „Patron of Honour“ gewählt, 2018 mit dem Preis der Stadt Wien für Publizistik ausgezeichnet.

„Er war der gewissenhafte Chronist, der sowohl den kometenhaften Aufstieg nachzeichnete, als auch die zahlreichen Krisen benannte, die folgten“, erinnerte Zsolnay-Chef Herbert Ohrlinger zur Arbeit Halls zur Verlagsgeschichte des Zsolnay Verlages: „Dass er dafür von ehemals Verantwortlichen nicht nach Kräften gefördert, sondern sogar massiv behindert worden ist, hat ihn getroffen.“

Er sei sehr traurig, so Ohrlinger, dass Hall das Jubiläum des Zsolnay Verlages, „der auch ein bisschen sein Verlag war, nicht mehr mit uns feiern wird“.