Unterstützer der „Voice to Parliament“-Kampagne in Darwin (Australien)
APA/AFP/David Gray
Aborigines in Australien

Kritik und Besorgnis vor historischem Votum

In Australien findet am 14. Oktober ein Referendum über mehr Rechte für die indigene Bevölkerung statt. Entschieden wird, ob Indigene künftig mittels Verfassungsänderung eine Stimme im Parlament erhalten. Die Zustimmung für das Anliegen schwindet allerdings seit Wochen. Unterstützerinnen und Unterstützer der „Voice to Parliament“-Kampagne orten ein „Ökosystem der Desinformation“ – die gegnerische Fraktion warnt vor der Spaltung der Gesellschaft.

In den beiden jüngsten Umfragen lagen die Gegnerinnen und Gegner des Vorhabens voran. Laut einer Newspoll-Umfrage, die im Auftrag der Tageszeitung „The Australian“ durchgeführt worden war, sprechen sich 53 Prozent der Befragten gegen die Verfassungsänderung aus, 38 Prozent sind dafür. Die „No“-Fraktion führt auch in einer Essential-Poll-Umfrage des „Guardian“: Demnach sind 48 Prozent der Befragten gegen bzw. 42 Prozent für das Anliegen. Zehn Prozent waren sich allerdings noch nicht klar, wie sie abstimmen möchten.

Unter dem Motto „Voice to Parliament“ geht es konkret darum, ob künftig ein Gremium indigener Australierinnen und Australier die Regierung beraten soll, wenn es um Fragen zu den Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern des Landes geht. Dessen Mitglieder sollen von Vertretern der Aborigines benannt werden – und nicht von der Regierung.

Australische Indigene
APA/AFP/David Gray
Von den annähernd 26 Millionen Australierinnen und Australiern sind fast eine Million Aborigines und Torres-Strait-Insulaner

Um eine Verfassungsänderung möglich zu machen, ist eine „doppelte“ Mehrheit nötig: Nicht nur auf nationaler Ebene müssen laut Wahlkommission mehr Ja- als Nein-Stimmen erzielt werden – auch eine Mehrheit der sechs Bundesstaaten und Territorien muss sich dafür aussprechen, also mindestens vier.

Leben am Rande der Gesellschaft

Von den annähernd 26 Millionen Australierinnen und Australiern sind fast eine Million Aborigines und Torres-Strait-Insulaner – so der Name der indigenen Bevölkerung der gleichnamigen Inseln. Sie werden von großen Teilen der weißen Mehrheit nach wie vor ausgegrenzt und leben am Rande der Gesellschaft: Ihre Suizidraten sind beinahe doppelt so hoch wie jene nicht indigener Australier. Und obwohl ihr Bevölkerungsanteil niedriger als vier Prozent ist, machen sie fast ein Drittel der Häftlinge in Australiens Gefängnissen aus.

Die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner werden in der 1901 verabschiedeten Verfassung des Landes gar nicht erwähnt – obwohl sie das Land schon seit Zehntausenden Jahren besiedeln. Erst 1967 wurden ihnen überhaupt Bürgerrechte eingeräumt. Gewalt und Rassismus prägte lange Zeit die Geschichte der Indigenen Australiens.

Nach der Ankunft der First Fleet (ersten Flotte) in Sydney Cove 1788 und der darauffolgenden Kolonisierung wurden viele Jahrzehnte lang Aborigines-Kinder ihren Eltern entrissen. Sie mussten in Heimen oder bei weißen Familien aufwachsen. Die Betroffenen werden in Australien als „gestohlene Generation“ bezeichnet. Für das Leid der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner gab es erst 2008 eine offizielle Entschuldigung durch den damaligen Premier Kevin Rudd.

Der australische Premierminister Anthony Albanese
AP/Markus Schreiber
Australiens Premierminister Anthony Albanese gilt als Befürworter der „Voice“-Kampagne

Neuer Premier trieb Referendum voran

Während die einen nun hoffen, das Land durch die Verfassungsänderung einen zu können, warnen die anderen vor einer weiteren Spaltung. Australien habe die „einmalige Chance“, „unser Land zusammenzubringen und zum Besseren zu verändern“, sagte Australiens Premierminister Anthony Albanese von der Labor Party vor wenigen Tagen. Albanese hatte das „Voice Referendum“ nach seinem Wahlsieg vor einem Jahr vorangetrieben.

Nach dem Abgeordnetenhaus, das die Volksbefragung schon Ende Mai abgesegnet hatte, stimmte Mitte Juni auch der Senat in Canberra mit großer Mehrheit dafür. Bei der Befragung werde es darum gehen, die 65.000 Jahre alte Geschichte der Ureinwohner endlich in der Verfassung anzuerkennen, sagte die Ministerin für indigene Australier, Linda Burney.

Oppositionsführer Peter Dutton von der Liberal Party beklagte hingegen, dass die Verfassungsänderung zu einer Spaltung der Nation führen und die Gesellschaft „rerassifizieren“ würde. Gegner kritisieren außerdem, dass „The Voice“ nicht nur Regierungsprozesse untergraben, sondern auch Gerichte mit Einwänden überfordern dürfte. Zuletzt gab Dutton an, ein weiteres Referendum über die Anerkennung indigener Völker abhalten zu wollen, falls das „Voice“-Referendum scheitern sollte. Er würde aber kein in der Verfassung verankertes Gremium unterstützen.

Der australische Oppositionsführer Peter Dutton
IMAGO/AAP/Lukas Coch
Oppositionsführer Peter Dutton

Akademikerin Langton warnt vor „noch mehr Schaden“

Die indigene Aktivistin und Akademikerin Marcia Langton sagte zuletzt, dass ein „Nein“ beim Referendum „ein Mandat“ wäre, „das uns noch mehr Schaden zufügt“ – außerdem warnte sie vor Rückschlägen bei der Versöhnung. Langton hatte im Auftrag der Vorgängerregierung bereits im Jahr 2021 an einem Bericht gearbeitet, der als Grundlage für die Bestrebungen dient. Vorwürfe, wonach die Nation durch ein Konsultationsgremium gespalten würde, wies sie zurück. Immerhin obliege die Ausgestaltung des Gremiums dem Parlament, sagte sie.

„Die Debatte wird sich so radikal ändern, wenn die Nein-Fraktion gewinnt, dass unsere Interessenvertretung als wirkungslos angesehen wird, und daher wird die Art und Weise, wie wir uns im öffentlichen Raum engagieren, ganz, ganz anders sein“, sagte Langton dem National Press Club am Mittwoch. Zugleich warnte sie vor den – bereits stattfindenden – Misshandlungen von Befürwortern, „einschließlich Morddrohungen und täglich veröffentlichter Beleidigungen und Beschimpfungen“. Von persönlichen Beschimpfungen und Drohungen erzählte auch der Unterstützer der „Voice“-Kampagne Thomas Mayo im BBC-Interview.

Factchecker beobachten Rassendiskussionen im Netz

Laut Factcheckern und Beobachtern, auf die sich die BBC beruft, würden Debatten im Netz von Rassendiskussionen dominiert. „Rasse ist ein Hauptvektor für Missbrauch, Trolling, Desinformation und Verschwörungstheorien – die Debatten der ‚Nein‘-Fraktion auf Twitter seien voll davon“, sagte der Experte für digitale Medien, Timothy Graham, der BBC. Er analysierte im Zusammenhang mit dem Referendum mehr als 250.000 Postings.

Das FactCheck-Team der australischen Associated Press, das Inhalte auf Facebook, Instagram und TikTok beobachtet, stellte Ähnliches fest. Der offizielle Wahlkampf habe erst begonnen, aber die Menge an Fehlinformationen würde schon jetzt jene der australischen Wahlen im Vorjahr übertreffen, sagte Redakteur Ben James. Viele der Behauptungen enthielten rassistische Untertöne oder beleidigende Sprache. Wenngleich nicht alle Anti-„Voice“-Behauptungen von Anhängern der „Nein“-Fraktion stammten, würde viele der Inhalte die Narrative, die der Kampagne zugrunde liegen, widerspiegeln.

Sorge um psychische Gesundheit

Bedenken gibt es nicht zuletzt dahingehend, was die Debatten rund um das Referendum für die psychische Gesundheit der indigenen Bevölkerung bedeuten. Fachleute geben an, dass sie einen deutlichen Anstieg der Berichte über Hassreden und Missbrauch im Internet verzeichnen. Das genaue Ausmaß ließe sich aber erst nach dem Referendum beziffern, sagte Marjorie Anderson, die für eine Krisenhotline für australische Indigene tätig ist.