Ölbohrung in Alaska
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Ölbohrungen in Alaska

Biden zwischen den Stühlen

Im Frühjahr hat US-Präsident Joe Biden mit der Genehmigung des Ölbohrprojekts „Willow“ in Alaska viel Kritik abbekommen – nun scheint seine Regierung um Imagepolitur bemüht: Mehrere Öl- und Gaspachtverträge in dem US-Bundesstaat wurden aufgekündigt, zudem werden Ölbohrungen vielerorts verboten. Umweltschutzorganisationen geht das nicht weit genug, zugleich warnen Politik und Industrie vor den Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

„Alaska beherbergt viele der atemberaubendsten Naturwunder und kulturell bedeutenden Gebiete Amerikas“, hieß es in einer Erklärung des US-Präsidenten vom Mittwoch. „Da die Klimakrise die Arktis mehr als doppelt so schnell erwärmt wie den Rest der Welt, haben wir die Verantwortung, diese wertvolle Region (…) zu schützen“, so Biden. Die Region ist ein wichtiger Lebensraum für Eis- und Grizzlybären, für Karibus sowie Hunderttausende Zugvögel.

Konkret verkündete die US-Regierung, dass sie Bohrungen auf 5,3 Millionen Hektar Fläche in der bundeseigenen National Petroleum Reserve Alaska (NPRA) verbieten und die sieben verbleibenden Öl- und Gaspachtverträge im Naturschutzgebiet Arctic National Wildlife Refuge, die noch unter dem früheren Präsidenten Donald Trump genehmigt worden waren, kündigen werde.

Kein Stopp für „Willow“-Projekt

Die neuen Vorschriften würden das gewährleisten, was die Regierung als „maximalen Schutz“ für fast die Hälfte der Erdölreserven bezeichnete – das riesige Acht-Milliarden-Dollar-Ölbohrprojekt „Willow“ in derselben Gegend, das Präsident Biden in diesem Jahr genehmigte, würde aber nicht gestoppt, berichten US-Medien.

Proteste gegen das Willow-Project in Washington
AP/Patrick Semansky
Protest gegen das umstrittene Ölbohrprojekt „Willow“

„Willow“ spaltet die USA nach wie vor: US-Präsident Biden hatte während des Wahlkampfs zur Präsidentschaftswahl 2020 versprochen, während seiner zweiten Amtszeit keine neuen Öl- und Gasförderungen auf bundeseigenem Land zuzulassen. Abgeordnete aus Alaska und andere Befürworterinnen und Befürworter des „Willow“-Projekts hatten jedoch auf eine Genehmigung der Regierung gedrängt. Das Milliardenprojekt bringe Tausende Jobs und trage zur Energieunabhängigkeit der USA bei, hieß es zur Begründung.

Beobachter: Biden will Kritiker besänftigen

Trotz heftiger Kritik von Umweltschützern und Umweltschützerinnen hatte das US-Innenministerium im März dem Energiekonzern ConocoPhillips grünes Licht für Ölbohrungen an drei Standorten im NPRA gegeben. Beobachterinnen und Beobachtern zufolge könnte das neue Verbot auch darauf abzielen, die starke Kritik am „Willow“-Projekt zu entschärfen.

Bereits bei der Genehmigung des „Willow“-Projekts hatte die US-Regierung einige neue Schutzmaßnahmen in der Arktis versprochen. „Die am Mittwoch angekündigten Maßnahmen gehen jedoch deutlich weiter, indem sie die Pachtverträge für Schutzgebiete aufkündigen und die Verpachtung neuer Öl- und Gasflächen auf 4,3 Mio. Hektar der Erdölreserve ausdrücklich verbieten“, schreibt die „New York Times“ („NYT“). Die betroffene Fläche macht rund 40 Prozent der NPRA aus. Weitere rund eine Million Hektar würden dem Blatt zufolge strengen Schutzmaßnahmen unterliegen.

Joe Biden
AP/Jacquelyn Martin
Biden hatte in seinem Wahlkampf 2020 mehr Klimaschutz versprochen

Ruf nach dauerhaftem Schutz

„Biden war überrascht, wie wütend gemeinnützige Umweltorganisationen über ‚Willow‘ waren“, wird der Historiker Douglas Brinkley von der „NYT“ zitiert. Der US-Präsident versuche demnach nun wieder deren Gunst zurückzugewinnen.

Junge Menschen seien nach den Worten von Deirdre Shelly, die sich für die Umweltschutzbewegung „Sunrise Movement“ engagiert, immer noch über „Willow“ verärgert – die neuen Maßnahmen der US-Regierung würden ihnen nicht weit genug gehen. Lob gab es von Shelly dennoch: Derartige Schritte seien genau das, was Junge sowie Anhängerinnen und Anhänger der Klimaschutzbewegung sich „vom Präsidenten erwarten“. Die Organisation „Friends of the Earth“ bezeichnete die Ankündigungen als „halbe Sache“.

„Wir wissen, dass unser heiliges Land nur vorübergehend vor der Öl- und Gasförderung geschützt ist“, sagte Bernadette Demientieff von der indigenen Gruppe „Gwich’in“. „Wir fordern die Regierung und unsere Kongressführer dringend auf, das Öl- und Gasprogramm aufzuheben und das Arktische Schutzgebiet dauerhaft zu schützen.“

Karibuherde im Arctic National Wildlife Refuge in Alaska
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Die Region ist ein wichtiger Lebensraum für Karibus, Eis- und Grizzlybären sowie Zugvögel

Republikaner: „Krieg gegen Alaska“

Bidens Entscheidung bringe ein „gewisses politisches Risiko“ mit sich, schreibt „NYT“-Journalistin Lisa Friedmann mit Verweis auf ansteigende Ölpreise und Aussagen der Republikaner aber auch. Die beiden republikanischen Senatoren des Bundesstaates – Dan Sullivan und Lisa Murkowski – kritisierten die Entscheidung des Weißen Hauses und erklärten, Biden würde die Energiesicherheit der USA untergraben.

Sullivan sprach von einem „Krieg gegen Alaska“. Der republikanische Gouverneur Mike Dunleavy drohte mit einer Klage. Der Staat am Polarkreis gilt als Hochburg der Republikaner, die Bidens Bemühungen zum Klimaschutz kritisch sehen.

Demokratische Abgeordnete äußert Kritik

Doch auch bei den Demokraten scheint es Unstimmigkeiten zu geben. Die demokratische Abgeordnete Mary Peltola äußerte sich enttäuscht. Indigene Gruppen des Bundesstaats sind auf die Bohrungen wirtschaftlich angewiesen: Es geht um Einnahmen und Jobs.

„Diese Aktion wirkt sich direkt auf den Lebensunterhalt und die wirtschaftliche Zukunft unserer Stammesmitglieder aus. Unsere Stimmen, unser Erbe und unsere Verbindung zu diesem Land können nicht zum Schweigen gebracht oder übersehen werden“, wird Morrie Lemen von der indigenen Gruppe „Inupiat Community of the Arctic Slope“ in der „Financial Times“ zitiert.

Innenministerin Deb Haaland, die für ihre Rolle bei der Genehmigung des „Willow“-Projekts kritisiert wurde, sagte am Mittwoch zu den neuen Ankündigungen, dass „niemand das Recht haben wird, in einer der sensibelsten Landschaften der Erde nach Öl zu bohren“. Ein Gesetz von 2017, das Alaskas Kongressdelegation durchgesetzt hatte, schreibt allerdings einen weiteren Pachtverkauf bis Ende 2024 vor. Derzeit gebe es laut Verwaltungsbeamten die Absicht, das Gesetz einzuhalten.

Rechtliches Nachspiel erwartet

Erwartet wird indes, dass die Fossilindustrie Bidens Vorhaben rechtlich anfechtet: Die Ankündigung stelle einen „besorgniserregenden Präzedenzfall für die Zukunft des Öl- und Erdgasleasings auf Bundesgebieten dar“, sagte Holly Hopkins, Vizepräsidentin des American Petroleum Institute, das Öl- und Gasunternehmen vertritt. Sie warf der Biden-Regierung vor, „gemischte Signale“ in Bezug auf Bohrungen in den Vereinigten Staaten zu senden.

Der einzig übrig gebliebene Pächter Alaska Industrial Development and Export Authority – eine staatliche Gesellschaft – bezeichnete die Entscheidung als rechtswidrig und kündigte eine Anfechtung vor Gericht an, schreibt die „Washington Post“.

Trump wollte Ölförderung in Schutzgebiet vorantreiben

Über die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in geschützten Gebieten Alaskas wurde jahrzehntelang debattiert. Trumps Regierung hatte den Weg für Bohrungen im Naturschutzgebiet 2017 mit einer Gesetzesänderung freigemacht – ein Schritt, der Umweltschützerinnen und Umweltschützer empörte. Biden setzte die von der Trump-Regierung gewährten Pachtverträge mit Amtsantritt aus und beauftragte das Innenministerium mit neuerlichen Umweltprüfungen.

In den letzten 60 Jahren hat sich Alaska mehr als doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Vereinigten Staaten. Die arktischen Ökosysteme sind in Aufruhr, das Meereis verschwindet, der Meeresspiegel steigt, und der Boden taut auf. Biden versprach, die Emissionen der USA bis 2030 etwa zu halbieren, fossile Brennstoffe durch Solar-, Wind- und andere erneuerbare Energien zu ersetzen und den Schutz für öffentliches Land und Gewässer zu verbessern.