Handy mit mehreren Kommunikations-Apps
ORF/Dominique Hammer
Regeln für Messenger

Zaghaftes Sägen an WhatsApps Monopol

Mit weit über zwei Milliarden Benutzerinnen und Benutzern führt für viele kein Weg an WhatsApp vorbei: Verwandte und Kollegen sind oft überhaupt nur darüber erreichbar. Wer komplett auf Alternativen wie Signal umsteigen will, verliert den Kontakt. Um diese Vormachtstellung zu beenden, schreibt die EU ab 2024 vor, derartige Apps miteinander kompatibel zu machen. Doch das ist mit vielen Hürden verbunden – und könnte erst recht an der Marktmacht von WhatsApp und der Konzernmutter Meta scheitern, fürchten Fachleute.

Wer etwa von WhatsApp auf einen anderen Messenger, egal ob Telegram oder Signal, umsteigen will, steht oft vor einer größeren Hürde, als die Telefonnummer zu wechseln. Bisherige Kontakte werden nur zum Teil bereit sein, auf eine andere App umzusteigen – und so verliert man entweder den Anschluss zu diesen Menschen oder lässt einfach beide Apps installiert.

Das ist nicht nur ziemlich unpraktisch, sondern zementiert auch die Macht der Netzriesen: WhatsApp-Konkurrenz wie Signal hat nur einen Bruchteil der Userinnen und User – der Anreiz, derartige kleinere Apps zu installieren, ist damit geringer, will man möglichst viele Menschen erreichen können. Das macht die ohnehin schon großen Konzerne noch größer – und rief schließlich die EU auf den Plan, um die Marktmacht einzuschränken.

Texten über Konzerngrenzen hinweg

In dem schon umständlich klingenden Digital Markets Act (DMA) wirbt die EU mit einem noch sperrigeren Wort: Interoperabilität. Konkret soll diese ermöglichen, dass Messenger untereinander kompatibel sind, also man auch mit anderen Apps etwa WhatsApp-Freunde kontaktieren kann. Zugänglich müssen all jene Plattformen sein, die die EU als unüberwindbar groß – als „Gatekeeper“ – im Netz einstuft. Dazu zählt momentan WhatsApp, doch auch Apples iMessage wird dahingehend geprüft.

„Gatekeeper“

Für die EU-Kommission gibt es derzeit sechs „Gatekeeper“-Konzerne und deren Dienste: Neben der Google-Mutter Alphabet, Apple und der Facebook- und Instagram-Mutter Meta sind das Microsoft, Amazon und der TikTok-Betreiber ByteDance.

In der Theorie heißt das, dass ab nächstem März WhatsApp mit anderen Apps kompatibel sein muss. In der Praxis ergeben sich aber einige Hürden, denn zu Ende gedachte Lösungen gibt es bisher nicht – und: Es liegt im Ermessen der beanstandeten Netzriesen, eine solche anzubieten, wie auch der Kryptografieexperte Paul Rösler von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg im Gespräch mit ORF.at sagt.

Das heißt: WhatsApp selbst muss seine Dienste zur Verfügung stellen – ohne genaue Vorgaben zu haben, wie dieser Zugang funktionieren soll. Die EU schreibt vor, dass die Sicherheit, also etwa verschlüsselte Chats, aufrecht bleiben muss. Auf Anfrage von ORF.at bei der EU-Kommission verweist man aber lediglich auf geltende Fristen, die konkrete Umsetzung obliege den jeweiligen Unternehmen.

Zwei Ansätze, aber nur einer „ökonomisch“

Rösler erklärt, dass es für diese forcierte Zusammenarbeit zwei Ansätze gibt: Einerseits könne man einen gemeinsamen Standard entwickeln, der offen und für alle zugänglich ist. Für riesige Dienste wie WhatsApp sei es aber „das Ökonomischste und Sinnvollste“, so Rösler, einfach Zugang auf die eigenen Server zu gewähren und passende Dokumentation zu veröffentlichen. Damit seien auch die Anforderungen der EU erfüllt. Dass WhatsApp diesen Kurs einschlagen dürfte, legen unbestätigte Informationen aus aktuellen Vorabversionen des Messengers nahe.

Doch diese scheinbare Öffnung könnte gleichzeitig als Abschreckung dienen. Rösler verweist hier auf Microsoft, das für seine Office-Software zwar nach viel Kritik die Details hinter Dateiformaten wie .docx und .xlsx offengelegt hatte. Doch wie diese genau funktionieren, wurde in Dokumenten mit Tausenden Seiten festgehalten – Kritiker warfen Microsoft vor, dass mit dieser Flut an Information nur der Softwaregigant selbst umgehen könne, nicht aber andere Hersteller, für die die Umsetzung zum Hürdenlauf wurde.

Umgelegt auf WhatsApp und andere Messenger hieße das, „für WhatsApp ist das einfach“, andere App-Anbieter müssten aber damit „eventuell etwas implementieren, das deutlich komplexer ist“, so Rösler.

Andere Apps müssen erst vorpreschen

Und überhaupt muss erst einmal ein Unternehmen den Zugang zu WhatsApp anfordern, heißt es in den neuen EU-Regeln – und erst dann muss Meta reagieren. Das in Europa oft als WhatsApp-Alternative beworbene Signal dürfte das aber dem Vernehmen nach gar nicht erst tun, zumindest vorerst. Ob es daran liegt, dass es den Mehraufwand für die Umsetzung als Non-Profit nicht stemmen kann, oder daran, dass man sich im Sinne der oft datenschutzorientierten Userbasis lieber von der Facebook-Mutter Meta fernhält, ist unklar.

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Bevor eine App mit WhatsApp interagieren kann, muss ein entsprechender Antrag gestellt werden

Sicherheitsbedenken, wie sie im Vorfeld auch von Aktivistinnen und Aktivisten befürchtet wurden, lässt der DMA in den Augen des Kryptografieexperten Rösler nicht zu. Dass Software komplexer werde, stimme freilich – „jede Zeile Code ist Angriffsfläche“, so Rösler. Gleichzeitig würde man etwa durch das Löschen von dann überflüssigen Apps auch Sicherheitsrisiken – und Datenschutzbedenken – minimieren.

Jan Penfrat von der europäischen Datenschutz-NGO EDRi sieht Meta in der Pflicht und fordert eine offene Lösung, die allen zugutekäme. Meta habe sich „von Anfang an sein System zentralisiert“ gebaut. Der nachträgliche Umbau sei „viel aufwendiger“, wenn man bereits zwei Milliarden Nutzer habe. Andererseits habe niemand „Meta gezwungen“, ein zentralisiertes System aufzubauen, das sei aus rein kommerziellen Gründen erfolgt – das wohl anvisierte Ziel, eine Monopolstellung bei Messengern zu erlangen, sei damit zwar geglückt, jetzt bedeute die späte Öffnung jedoch einen „Riesenaufwand“.

Sichtbare Ergebnisse werden auf sich warten lassen

Auch hier räumt die EU den Großkonzernen aber Spielraum ein und gibt die Möglichkeit, die Öffnung für andere Dienste aufzuschieben, wenn das die Umstände erfordern sollten. Bis die ersten Messenger-Apps untereinander kompatibel sind, könnte auch noch ein ganzes Jahr vergehen, so Rösler, denn vor allem abseits von Details auf der rein technischen Ebene könnte der Prozess noch ordentlich aufgehalten werden.

Solange größere Dienste wie Signal nicht auf den Zug aufspringen und die von der EU vorgesehene Interoperabilität von WhatsApp und möglicherweise auch Apple einfordern, ist das aber alles ein verhältnismäßig kleiner erster Schritt. Kleine Messenger-Apps wie Matrix und Wire spielen alle derzeit bestenfalls eine Nebenrolle auf dem Markt. Erst, wenn auch die größeren Player darauf anspringen, könnte sich die marktbeherrschende Position von WhatsApp dauerhaft ändern.