Martin Selmayr
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„Blutgeld“-Sager

EU-Vertreter Selmayr ins Ministerium zitiert

Der EU-Vertreter in Wien, Martin Selmayr, ist nach scharfer Kritik an Österreichs Umgang mit russischem Gas ins Außenministerium zitiert worden. Er hatte gesagt, Österreich schicke „Blutgeld mit der Gasrechnung nach Russland“. Die FPÖ ist empört, die Grünen hingegen stoßen sich nicht daran. Die EU-Kommission bedauerte unterdessen die „unangemessenen Aussagen“ Selmayrs.

Eine Sprecherin von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bestätigte der APA am Donnerstag, dass Selmayr ins Außenministerium zitiert wurde. Anlass für Schallenbergs Büro waren Aussagen, die Selmayr am Mittwoch bei einer Diskussionsveranstaltung der Kunstmesse viennacontemporary machte: „Oh mein Gott, 55 Prozent des österreichischen Gases kommen weiterhin aus Russland.“

Österreich finanziere derart den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin, und niemand sei auf der Wiener Ringstraße, um dagegen zu protestieren. „Das verwundert mich, denn Blutgeld wird jeden Tag mit der Gasrechnung nach Russland geschickt“, so Selmayr. Er verstehe zwar die Energieprobleme, Österreich sei jedoch ein reiches Land und könne wie auch andere Staaten ohne russisches Gas auskommen, erläuterte er.

Brüssel bedauert

Der EU-Kommission gingen diese Äußerungen sichtlich zu weit: „Die Kommission distanziert sich von den bedauerlichen und unangemessenen Aussagen des Leiters der Repräsentanz in Österreich“, hieß es Donnerstagabend in einer Stellungnahme der stellvertretenden Chefsprecherin der EU-Behörde, Dana Spinant. Die Kommission habe Selmayr aufgefordert, „unverzüglich in Brüssel über den Vorfall Bericht zu erstatten“, hieß es in der Stellungnahme der EU-Kommission weiter.

EU-Vertreter Selmayr ins Ministerium zitiert

Der Leiter der EU-Vertretung in Wien, Martin Selmayr, ist von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ins Außenministerium zitiert worden. Selmayr hat bei einer Veranstaltung Österreich kritisiert und die Zahlungen für russisches Gas als „Blutgeld“ bezeichnet.

Unterschiedliche Reaktionen aus Koalition

Als „unseriös und kontraproduktiv“ sowie „völlig einseitig“ hatte zuvor Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Äußerungen Selmayrs kritisiert. „Es ist bedauerlich, dass offenbar auch einem EU-Beamten gewisse Fakten nicht vertraut zu sein scheinen." Während Österreich seine Abhängigkeit von russischem Gas nachweislich reduziert und wichtige Vorkehrungen zur Versorgungssicherheit der Bevölkerung getroffen habe, würden innerhalb der EU die Mengen russischen Flüssiggases um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigen, so Edtstadler.

Der grüne Koalitionspartner hingegen sieht die Aussagen Selmayrs anders. Er habe „das auch schon so bezeichnet“, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in einem Puls24-Interview. „Es war einfach ein Fehlverhalten, Putin den roten Teppich in Wien auszurollen“, das habe er schon 2014 gesagt, so Kogler. Andere hätten „den Karren in den Dreck gezogen, und wir ziehen ihn wieder raus“. Er gebe aber Selmayr in der Sache recht, er selber habe eine „ähnliche Sprache“ gewählt, sei aber auch kein Diplomat, so Kogler.

FPÖ fordert Abberufung

Empört auf die Aussagen Selmayrs hatte die FPÖ zuvor reagiert. „Das Mindeste ist, dass ÖVP-Kanzler (Karl, Anm.) Nehammer von der Kommission sofort die Abberufung Selmayrs fordert!“, schrieb FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung. "Ein freiheitlicher Volkskanzler Herbert Kickl würde jedenfalls wissen, was jetzt umgehend zu tun sei: „Das One-Way-Ticket nach Brüssel könnte sich Selmayr heute noch online buchen!“

Selmayr habe nicht nur „keine Ahnung von den Sorgen und Nöten der österreichischen Bevölkerung, er verhöhnt sie mit derartigen Aussagen auch noch“. Das Wort „Blutgeld“ passe vielmehr „zu den Abermilliarden Euro, die über die zynische Europäische Friedensfazilität zum Kauf von Waffen in die Ukraine gepumpt werden“.

Kurze Zeit später hieß es aus dem Außenministerium, dass Selmayr ins Ministerium zitiert werde. „Dieses Gespräch wird unmittelbar nach der Rückkehr Selmayrs nach Österreich stattfinden“, sagte eine Sprecherin.

Auf und Ab beim russischen Gas

Zustimmung zur Kritik Selmayrs kam auch von NEOS: „Österreich sponsert täglich Putins Krieg mit seiner hohen Abhängigkeit von russischem Gas. Das ist ein Fakt, den man einfach nicht schönreden kann, sondern den man auch ganz klar benennen kann und kritisieren muss“, schrieb NEOS-Energiesprecherin Karin Doppelbauer in einer Aussendung. Das sei „eine sicherheitspolitische Frage, denn diese hohe Abhängigkeit macht uns erpressbar“, so Doppelbauer. Ein Ausstieg wäre möglich, wenn die Regierung Gasversorger per Gesetz dazu verpflichten würde, stufenweise kein russisches Gas mehr zu beziehen.

Österreich bezog zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 79 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Der Anteil sank bis zum Oktober des Vorjahres auf 17 Prozent. In den vergangenen Monaten lagen die Werte jedoch wieder deutlich höher. Im Juli waren es laut dem Klimaschutzministerium 66 Prozent.

Der Jurist Selmayr ist seit November 2019 Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien. Zuvor war er Kabinettschef des ehemaligen Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker, und später Generalsekretär der Kommission.