G-20-Logo in Indien
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Gipfel in Indien

G-20 in der Sinnkrise

Am Wochenende treffen sich die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs in Neu-Delhi zum jährlichen G-20-Gipfel. Neben der möglichen Aufnahme der Afrikanischen Union in die Gruppe geht es vor allem um Themen mit hohem Konfliktpotenzial: Klimaschutz und der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zentrale Figuren aber bleiben fern: Kreml-Chef Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping signalisieren mit ihrer Abwesenheit, dass die G-20 ein vernachlässigbares Forum ist. Auch ist unklar, ob es überhaupt eine gemeinsame Abschlusserklärung geben wird.

Die Gruppe der 20 – 19 der stärksten Volkswirtschaften und die EU – repräsentiert mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung. Ihre gemeinsamen Erklärungen sind rechtlich zwar nicht bindend, sandten aber politisch immer eine starke Signalwirkung aus. Längst schon geht sie über ihren ursprünglichen Zweck, die Abstimmung in Finanz- und Wirtschaftsfragen, hinaus und behandelt globale Themen. Auch heuer wird der Ukraine-Krieg behandelt werden, doch im Gegensatz zum vorigen Gipfel in Bali wird mit noch weniger Konsenspotenzial gerechnet.

In Bali hatte es der Westen noch als Erfolg feiern können, dass Russland weitgehend isoliert blieb. Damals hatte sich Moskau offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, einen Satz in die Abschlusserklärung aufzunehmen: „Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste.“ Russlands Position wurde damals mit den Worten abgebildet: „Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen.“

Auf solche Formulierungen dürften sich China und Russland jetzt nicht mehr einlassen. Dass sie auch nicht mehr durch die beiden Präsidenten Xi und Putin an Ort und Stelle vertreten sind, lässt zudem tief blicken.

Russland in besserer Position

Moskau wird erneut durch Außenminister Sergej Lawrow vertreten sein, Putin wird sich dieses Mal auch nicht per Video hinzuschalten lassen. Beim letzten Gipfel wurde viel Kritik an Lawrow gerichtet, er reiste früher ab. Heuer wähnt sich Moskau in einer besseren Ausgangsposition, weil das russlandfreundliche Indien den Ukraine-Krieg nicht zum Hauptthema machen will. Auch ist unwahrscheinlich, dass Indiens Premier Narendra Modi den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Video zuschalten wird.

G-20-Gipfel startet

Der diesjährige Gipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20) könnte nach Einschätzung der EU ohne gemeinsame Abschlusserklärung enden. Es sei schwierig vorherzusagen, ob es möglich sein werde, sich zu verständigen.

Bei den G-20 sei eine „Ukrainisierung“ der Agenda diesmal gescheitert, so Lawrow im Vorfeld. Der Westen versuche mit seiner „destruktiven Politik“ immer wieder, die Tagesordnungen von Gipfeln zu bestimmen. Nicht zuletzt deshalb wachse das Interesse an anderen internationalen Formaten.

Russland warf dem Westen auch vor, Druck auf Indien auszuüben. Der Westen versuche in dem Abschlussdokument, seine „einseitige Herangehensweise bei der Lage um die Ukraine“ aufzuzwingen, so das russische Außenministerium am Freitag.

„Geringere Priorität“ für Xi

Peking schickt seinerseits Regierungschef Li Qiang, einen Grund für Xis Fernbleiben wurde nicht genannt. Es könnte an den handels- und geopolitischen Spannungen mit den USA und Gastgeber Indien liegen, die zuletzt wieder angeheizt wurden. China veröffentlichte vor einer Woche eine neue Landkarte, die den indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh und ein Plateau in der Himalaya-Region als chinesisches Territorium kennzeichnet. Sogar ein Stück Russlands ist darauf als chinesisch vermerkt.

Jedenfalls ist Xis demonstrative Abwesenheit ein Zeichen, dass die G-20 nicht sein bevorzugtes Diskussionsforum ist. Dass Xi dem Treffen in Neu-Delhi im Gegensatz zum BRICS-Gipfel im August fernbleibt, verdeutliche, dass er eine „Alternative schaffen will zur liberalen internationalen Ordnung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges von den USA dominiert wird“, so Steve Tsang, Direktor des Soas China Institute an der Universität London, gegenüber der AFP. Xi könne die G-20 „nicht dominieren, also wird ihr eine geringere Priorität eingeräumt“.

Ringen um Erklärung

Die westlichen Staaten wollen ihrerseits nicht hinter die Erklärung von Bali zurückfallen. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, man wolle ein Bekenntnis zur „territorialen Integrität aller Staaten“ im Abschlussdokument verankern. Damit will man zumindest die Möglichkeit für eine gemeinsame Erklärung schaffen.

Die Chancen stehen aber nicht zum Besten. Schon im Vorfeld dämpfte etwa EU-Ratspräsident Charles Michel die Erwartungen. Ein Grund sei, dass es für einige Staaten in diesem Jahr schwieriger zu sein scheine, einer klaren Verurteilung Russlands für den Angriffskrieg gegen die Ukraine zuzustimmen, so Michel. Für Indien aber wäre es ein Debakel, wenn gar keine Erklärung zustande käme.

Klimaschutz im Hintergrund

Abseits des Ukraine-Krieges sind auch die weiteren Themen auf der Agenda umstritten, allen voran beim Klimaschutz. Vor allem die EU hat sich in den vergangenen Jahren darum bemüht, die G-20 zu einer Vorreiterin zu machen, doch das Thema gerät auch heuer ins Hintertreffen.

Schon die bisherigen Ziele aufrechtzuerhalten wird schwierig werden. Modi rief seine Gipfelgäste dazu auf, die Entwicklungsländer bei der Bekämpfung der Klimakrise mit mehr Geld und durch den Austausch von Technologien zu unterstützen. „Ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen müssen mit Maßnahmen zur Klimafinanzierung und zum Technologietransfer einhergehen“, schrieb Modi in einem Gastbeitrag für mehrere indische und internationale Zeitungen.

Ein Durchbruch zeichnet sich aber nicht ab. Bei einem Treffen im Juli hatten sich die G-20-Energieministerinnen und -minister nicht auf einen Fahrplan für den Ausstieg aus fossilen Energien einigen können.

G-20 will wachsen

Konsens scheint hingegen bei der Erweiterung der G-20 zu bestehen: Die Afrikanische Union soll neues Mitglied werden. So sollen die Länder der Südhalbkugel ein deutlich stärkeres Gewicht erhalten – das ist auch ein erklärtes Ziel Modis. Die Organisation war zuvor bereits regelmäßig als Gast dabei. Es gebe Einigkeit darüber, der Afrikanischen Union den Beitritt zu ermöglichen, sagte Michel.