Wandsworth-Gefängnis in London
APA/AFP/Justin Tallis
Großbritannien

Intensive Suche nach flüchtigem Häftling

In Großbritannien sorgt derzeit eine spektakuläre Flucht für Aufregung – aus dem Londoner Wandsworth-Gefängnis ist ein ehemaliger Soldat entkommen, der unter Terrorverdacht steht. Seit gut zwei Tagen fehlt vom 21-Jährigen jede Spur. Mittels einer „riesigen Operation“ wird laut Scotland Yard nach ihm gesucht – mittlerweile landesweit. Am Freitag wurde ein riesiger Park in London durchkämmt.

Vor seinem Ausbruch hatte der Verdächtige im Londoner Gefängnis auf seinen Prozess gewartet. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, gefälschte Bomben auf einem Militärstützpunkt hinterlassen zu haben. Die Flucht dürfte spektakulär verlaufen sein: So wird vermutet, dass der 21-Jährige Mittwochfrüh durch die Gefängnisküche entkam, indem er sich an der Unterseite eines Lebensmittellieferwagens festband.

Die Sicherheitsvorkehrungen an Häfen wie Dover und dem Eurotunnel wurden verschärft. Der BBC zufolge wurde dort der Kofferraum jedes einzelnen Autos durchsucht. Der Verdächtige befinde sich vermutlich noch in der Hauptstadtgegend, hieß es – genau dort wurde am Freitag auf Hochtouren nach ihm gesucht. Seit den Nachtstunden war etwa der zehn Quadratkilometer große Richmond Park, der größte der königlichen Parks in London, durchsucht worden – ohne Erfolg.

Erneute Bitte um Hinweise

Einmal mehr wurde am Freitag die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Sichtungen von Transportern, die dem ähnelten, an dem sich der Flüchtige festgeschnallt haben soll, und Berichte über alle „merkwürdigen Aktivitäten“, die in der Umgebung vor sich gingen, würden der Polizei helfen, so Scotland-Yard-Chef Mark Rowley. Bereits zuletzt gab die Polizei Ratschläge zum Umgang mit dem Flüchtigen.

Wandsworth-Gefängnis in London
APA/AFP/Justin Tallis
Szene im Wandsworth-Gefängnis einen Tag nach dem Ausbruch eines terrorverdächtigen Häftlings

„Wir haben weder Informationen, die darauf hindeuten, noch Grund zur Annahme, dass er eine Bedrohung für die breitere Öffentlichkeit darstellt“, erklärte der Leiter der Anti-Terrorismus-Einheit der Londoner Polizei. Dennoch wurden Bürger und Bürgerinnen davor gewarnt, sich dem Verdächtigen zu nähern. Vielmehr sollte umgehend die Polizei gerufen werden, sollte jemand ihn sehen.

Flucht „eindeutig im Voraus geplant“

Die Strafvollzugsbehörde arbeitet mit der Polizei zusammen, um „dringend zu untersuchen“, wie es zu dem Ausbruch kommen konnte. Auch hier gibt es mittlerweile einen Verdacht zum Hergang: So werde geprüft, ob Gefängniswärter dem 21-Jährigen bei der Flucht halfen. Diese sei „eindeutig im Voraus geplant“ gewesen, sagte Scotland-Yard-Chef Rowley dem privaten Radiosender LBC am Freitag.

Es sei „äußerst besorgniserregend“, dass der Verdächtige flüchtig sei. „Hat ihm jemand im Gefängnis geholfen? Andere Gefangene? Wachpersonal? Hat er Hilfe von Menschen außerhalb der Mauern bekommen? Oder war es einfach alles sein eigenes Tun?“, fragte Rowley auf Sendung.

Der Terrorverdächtige war wegen zweier Vorfälle am Luftwaffenstützpunkt im zentralenglischen Stafford in der U-Haft gelandet. Er wurde beschuldigt, „versucht zu haben, Informationen zu erlangen, die einer Person nützlich sein könnten, die einen terroristischen Akt begeht oder vorbereitet“. Außerdem wurde dem Ex-Soldaten vorgeworfen, einen falschen Bombenalarm ausgelöst zu haben, indem er ein entsprechendes verdächtiges Objekt am Luftwaffenstützpunkt platzierte.

Schlaglicht auf britischen Justizvollzug

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Lage im britischen Justizvollzug. Viele der Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt. Hinzu kommen Personalmangel, ein hoher Krankenstand und eine starke Fluktuation. Auch eine große Zahl der Gebäude, die teils noch aus dem 19. Jahrhundert stammen, gilt als nicht mehr zeitgemäß.

Das Gefängnis in Wandsworth war bereits Schauplatz eines der bekanntesten Häftlingsausbrüche des Landes: Im Jahr 1965 floh der legendäre britische Posträuber Ronnie Biggs aus der Strafvollzugsanstalt. In den folgenden 35 Jahren tauchte er in Belgien, Frankreich, Australien und Brasilien unter. 2001 bereitete Biggs selbst seiner Flucht ein Ende und stellte sich in Großbritannien den Behörden.

Im Gefängnis Wandsworth war schon der wegen seiner Homosexualität verfolgte Schriftsteller Oscar Wilde eingesperrt. Einer der bekanntesten Häftlinge der jüngsten Zeit in Wandsworth war das ehemalige deutsche Tennis-Ass Boris Becker. Er war wegen mehrerer Vergehen in einem Insolvenzverfahren verurteilt worden. Im vergangenen Jahr wurde Becker entlassen.