Beschädigte Gebäude in Marrakesch
IMAGO/Agencia EFE/Javier Picazo
Erdbeben in Marokko

Betroffene Gebiete nur schwer zu erreichen

Nach dem schweren Erdbeben in Marokko ist die offizielle Zahl der Todesopfer im Laufe des Samstags auf über 2.000 angestiegen. Doch es werden noch mehr Tote befürchtet, auch weil manche besonders stark betroffene Gebiete nach dem Beben nur schwer erreichbar sind. Aus dem Ausland kamen inzwischen zahlreiche Hilfsangebote – eine offizielle Hilfsanforderung aus Marokko steht aber noch aus.

Mindestens 2.012 Menschen seien bei dem Erdbeben ums Leben gekommen, hieß es in der Nacht auf Sonntag im marokkanischen Fernsehen unter Berufung auf eine Erklärung des Innenministeriums. Die Zahl der Verletzten sei auf 2.059 gestiegen, darunter 1.404 Menschen, die sich in einem kritischen Zustand befinden, hieß es weiter. Marokko rief am Abend eine dreitägige Staatstrauer aus. Laut der Erklärung, die von der staatlichen Nachrichtenagentur MAP verbreitet wurde, hatte König Mohammed VI. zuvor eine Krisensitzung geleitet.

Besonders die Lage in den ländlichen Regionen blieb auch im Laufe des Samstags noch vielfach unklar. Das Beben mit einer Stärke von 6,8, das das Land Freitag kurz vor Mitternacht erschütterte, hatte sein Epizentrum im Atlasgebirge rund 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch. Zwar ist die gebirgige Gegend nur dünn besiedelt, doch die Lage in den Bergen erschwert den Rettungskräften das Vordringen. Umso mehr, als viele Straßen durch das Beben schwer beschädigt sein dürften.

Streitkräfte zur Hilfe entsandt

Es wurde befürchtet, dass die offizielle Zahl der Opfer weiter steigt, wenn die Einsatzkräfte entlegene Regionen erreichen. Die marokkanische Nachrichtenseite Hespress berichtete unter Berufung auf das Innenministerium, die Streitkräfte und der Zivilschutz setzten alle Mittel ein, um Hilfe zu leisten und die Schäden zu begutachten. Die meisten Schäden gebe es außerhalb der Städte. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren mehr als 300.000 Menschen von den starken Beben im ganzen Land betroffen.

Eine Grafik zeigt das Epizentrum des Erdbebens in Marokko
Grafik: APA/ORF; Quelle: USGS

Laut dem marokkanische Königshaus entsandte die Armee Rettungsteams, um die betroffenen Gebiete mit sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Zelten und Decken zu versorgen. Die Gesundheitsbehörden riefen die Bevölkerung zu Blutspenden auf.

Warten auf internationales Hilfegesuch

Internationale Helferinnen und Helfer warteten nach eigenen Angaben hingegen auch Samstagabend noch auf eine offizielle Anforderung für einen Einsatz. „Wir haben hier noch kein Hilfeersuchen von Marokko“, sagte etwa die Sprecherin des Technischen Hilfswerks (TWH) in Deutschland. Sobald es komme, könne das Team aber rasch starten.

Einsatzkräfte suchen in Moulay Brahim (Marokko) nach Überlebenden des Erdbebens
APA/AFP/Fadel Senna
Einsatzkräfte suchen unter den Trümmern nach Überlebenden

Ähnlich hieß es am Samstag auch aus vielen weiteren europäischen Ländern, die Marokko ihre Hilfe angeboten hatten. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen nahmen nach eigenen Angaben ebenfalls Kontakt zu den marokkanischen Behörden auf, um Teams in das Katastrophengebiet zu entsenden.

Österreich will „jederzeit helfen“

Samstagabend drückte Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Angehörigen der Bebenopfer sein Beileid aus. „Gemeinsam mit vielen anderen Staaten ist auch Österreich solidarisch und wird jede mögliche Unterstützung bieten“, versprach der Präsident auf Twitter (X).

Zuvor hatten bereits Bundeskanzler Karl Nehammer, Innenminister Gerhard Karner sowie Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (alle ÖVP) in einem gemeinsamen Statement ihre Betroffenheit über das Beben zum Ausdruck gebracht und Hilfe angeboten. „Innen- und Verteidigungsministerium treffen derzeit alle Vorkehrungen, um zu unterstützen, sobald eine entsprechende Anforderung kommt“, wurde Nehammer zitiert. Laut Verteidigungsministerin Tanner steht das Katastrophenhilfeelement des Bundesheeres, die Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU), jederzeit für einen Hilfseinsatz in Marokko bereit.

Keine Informationen über betroffene Österrreicher

Zugleich teilte das Außenministerium mit, dass Informationen über Betroffene aus Österreich derzeit nicht vorlägen. Aktuell seien rund 60 Personen reiseregistriert, hieß es. Ein Mitarbeiter der österreichischen Botschaft in Rabat habe sich auf dem Weg in das besonders betroffene Krisengebiet Marrakesch gemacht.

Laut Ministerium befinden sich aktuell rund 215 Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher in Marokko. „Sie wurden noch in der Nacht per SMS und E-Mail kontaktiert und werden aktuell von der Botschaft durchgerufen“, sagte eine Sprecherin.

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary über das Erdbeben

In diesem Zusammenhang verwies das Ministerium auch auf den Bereitschaftsdienst (+43 1 90115 4411), der rund um die Uhr erreichbar sei. Der Flughafen in Marrakesch funktioniere derzeit normal, und es gebe genügend Flüge, um zurück nach Österreich zu kommen, so das Außenministerium.

Algerien bietet Öffnung von Luftraum an

Hilfsangebote an Marokko kamen neben EU-Ländern unter anderem auch aus der Türkei, die selbst erst vor einem halben Jahr von einem verheerenden Beben erschüttert worden war. Israel kündigte ebenfalls an, humanitäre Hilfe zu leisten und Suchtrupps zu schicken.

Trotz diplomatischer Spannungen rund um die Westsahara bot Algerien seinem Nachbarland an, den Luftraum wieder zu öffnen. So soll der seit 2021 gesperrte Luftraum für Flüge von Verwundeten und Verletzten und zum Transport humanitärer Hilfe „im Falle einer Anfrage des Königreichs Marokkos“ wieder geöffnet werden.

Aufruf zu Spenden

Das Rote Kreuz rief am Samstag zu Spenden auf. „Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird erst in den nächsten Stunden und Tagen klar sichtbar werden. Erste Hilfsmaßnahmen laufen bereits. Der Marokkanische Rote Halbmond unterstützt vor allem mit Erster Hilfe, psychosozialer Unterstützung und mit Evakuierungs- und Transportunterstützung der Behörden“, wurde Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer in einer Aussendung zitiert.

Bewohner von Moulay Brahim (Marokko) sitzen nach dem Erdbeben auf der Straße
AP/Mosa’ab Elshamy
Viele Menschen verloren durch das Beben ihre Häuser

Spendenaufrufe kamen ebenfalls von den beiden NGOs Care Österreich und Jugend Eine Welt. „Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft“, sagte Care-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager.

Menschen in Panik

Laut Augenzeugenberichten löste das Erdbeben in Marrakesch, Agadir und anderen Städten bei Bewohnern Panik aus. Wie die Zeitung „Le Matin“ berichtete, war das Beben auch in Rabat und Casablanca zu spüren. Bilder und Videos aus sozialen Netzwerken zeigen zerstörte Gebäude in Städten und auf den Straßen sitzende Menschen.

Auch Teile des UNESCO-Welterbes in der Altstadt von Marrakesch wurden beschädigt. Der Regionalleiter des marokkanischen Kulturministeriums, Hassan Hernan, bestätigte der dpa, dass die Gebäude der Medina von Marrakesch teilweise beschädigt worden seien. Einige der historischen Gebäude wiesen Risse auf. „Das Bild wird erst in 48 Stunden vollständig sein, aber sicher ist, dass der Schaden an wichtigen historischen Stätten in der Altstadt bisher gering ist“, sagte Hernan.

Vom Erdbeben zerstörte Häuser in Moulay Brahim (Marokko)
APA/AFP/Fadel Senna
Viele Häuser hielten dem Beben nicht stand

Die Medina – die Altstadt –, die für ihre engen Gassen und vielen Händler bekannt ist, ist normalerweise ein beliebtes Ziel von Touristen. Nach dem Beben soll sie voller Trümmer gewesen sein. Aufnahmen im marokkanischen Fernsehen zeigten außerdem große Risse und eingestürzte Teile in einem Abschnitt der mittelalterlichen Stadtmauer.

Erdbeben in Nordafrika relativ selten

Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen Instituts für Geophysik, sagte, dass die Nachbeben weniger stark seien. Das Beben sei in einem Umkreis von 400 Kilometern zu spüren gewesen, sagte er der marokkanischen Nachrichtenagentur MAP. Das Beben war Berichten zufolge auch in Portugal und Algerien zu spüren.

Es sei das erste Mal seit einem Jahrhundert, dass ein derart starkes Erdbeben in Marokko registriert worden sei. Erdbeben in Nordafrika sind relativ selten. 1960 hatte sich laut dem Sender al-Arabija in der Nähe von Agadir ein Beben der Stärke 5,8 ereignet, bei dem Tausende Menschen ums Leben kamen.