Rettungseinsatz nach Erdbeben in Marokko
Reuters/Nacho Doce
Beben in Marokko

Verzweifelte Suche nach Vermissten

Nach dem heftigen Erdbeben in Marokko am Freitag haben die Betroffenen in der Stadt Marrakesch und in den umliegenden Gebieten die dritte Nacht in Folge in Furcht vor weiteren Nachbeben verbracht. Aus einigen Ländern treffen Suchteams ein, die Lage ist nach wie vor unübersichtlich. Fast 2.700 Menschen kamen ums Leben, Hunderte weitere werden noch vermisst. Die Suche nach ihnen gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit.

Soldaten und ausländische Hilfsteams begannen, mit Lastwagen und Hubschraubern in die entlegenen Bergdörfer vorzudringen. Militärfahrzeuge, beladen mit Bulldozern und logistischer Ausrüstung, versuchten in zerklüftetem Gelände Straßen von Erdrutschen zu befreien, damit auch Krankenwagen durchkommen, wie die Onlinezeitung Morocco World News berichtete.

Militärhubschrauber werfen Hilfspakete ab

Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender al-Arabija am Montag. Militärhubschrauber warfen am Montag Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.

„Die letzten Nächte in Marokko waren schrecklich. Hunderte Menschen schlafen auf der Straße oder liegen mit Decken in Parks, weil sie Angst haben, nach Hause zu gehen. Die Menschen sind erschöpft. Neben den enormen physischen Verwüstungen wiegt vor allem auch der emotionale Schaden, der von dem erlebten Grauen und der ausgestandenen Angst verursacht wurde, sehr schwer“, sagte Hlima Razkaoui, Generalsekretärin von CARE Marokko.

Schlimmstes Erdbeben seit Jahrzehnten

Expertinnen und Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen kann. Das Erdbeben der Stärke 6,8, das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko, hatte sich am späten Freitagabend ereignet. Nach bisherigen amtlichen Angaben kamen mindestens 2.681 Menschen ums Leben, zumindest 2.501 weitere Menschen wurden verletzt.

Zerstörung nach Erdbeben in Marokko
AP/Europa Press/Fernando Sanchez
Erdbeben kommen in Marokko selten vor, die betroffene Region war kaum vorbereitet

Eine kleine Ortschaft in der Provinz Chichaoua wurde nahezu vollständig zerstört, wie der staatliche marokkanische Fernsehsender TV 2M am Sonntag meldete. 65 Leichen seien gefunden und ein Massengrab eingerichtet worden. Es wurden Drohnen eingesetzt, um den Einsatzkräften bei der Suche nach Leichen zu helfen, wie die marokkanische Nachrichtenseite Hespress berichtete.

Allein in Chichaoua wurden 191 Todesfälle registriert. Die Helfer und Helferinnen kommen in den teils abgelegenen Bergregionen nur mit Mühe voran. Zudem bestand weiter die Gefahr von Nachbeben, wodurch beschädigte Gebäude vollends einstürzen könnten.

Unterstützung zunächst nur aus ausgewählten Ländern

Obwohl mehrere Länder, darunter auch Österreich, ihre Hilfe angeboten haben, will Marokko zunächst nur von vier Ländern Unterstützung annehmen. Wie das dortige Innenministerium am späten Sonntagabend erklärte, hätten die Behörden nach gründlicher Untersuchung „auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert“.

Such- und Rettungsteams aus Spanien und Großbritannien nahmen ihren Einsatz in den Erdbebengebieten auf. Sie unterstützen die örtlichen Einsatzkräfte, berichtete die marokkanische Nachrichtenagentur MAP am Montag. Neben den Bergungseinsätzen begann die Hilfe durch NGOs für die von den schweren Zerstörungen betroffene Bevölkerung anzulaufen. Auch humanitäre Hilfe und psychologische Unterstützung würden dringend benötigt, hieß es etwa von CARE International.

Grafik zum Erdbeben in Marokko
Grafik: APA/ORF; Quelle: USGS

Großbritannien schickte 60 Such- und Rettungsexperten samt Ausrüstung sowie vier Suchhunde nach Marokko, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen, wie der britische Botschafter Simon Martin auf Twitter (X) mitteilte. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden flog am Sonntag nach Marokko. 56 Mitglieder der militärischen Nothilfeeinheit UME hätten am Sonntag in Saragossa zusammen mit vier Suchhunden eine Transportmaschine vom Typ A400 bestiegen, teilte das Verteidigungsministerium auf Twitter mit.

Geld aus Frankreich, aber keine Rettungskräfte

Frankreich unterstütze den Einsatz von NGOs in dem Land mit fünf Millionen Euro, sagte Außenministerin Catherine Colonna am Montag in Paris dem Sender BFMTV. Die Hilfe solle marokkanischen, internationalen und auch französischen Hilfsorganisationen an Ort und Stelle zugutekommen. Auf das Angebot aus Frankreich, Rettungskräfte in die erdbebenerschütterte Region zu schicken, war Marokko nicht eingegangen. Das sorgte in Frankreich, wo zahlreiche Marokkaner leben, für Diskussionsstoff.

Dass Spannungen zwischen beiden Ländern dafür der Grund sein könnten, wies Colonna zurück. Marokko sei ein souveränes Land und habe sich zunächst für Hilfe aus anderen Ländern entschieden. Über 60 Länder hätten Unterstützung angeboten, und Frankreich stehe weiterhin mit kurz- und mittelfristiger Hilfe zur Verfügung, sagte die Ministerin.

Er glaube nicht, dass politische Gründe hinter der Nichtannahme französischer Hilfe steckten, sagte Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin dem Sender TF2. „Marokko und Frankreich sind zwei Bruderländer.“ Marokko verfüge über einen guten Zivilschutz und sei in der Lage, der Situation selber Herr zu werden.

Marokko: Weiter Suche nach Bebenopfern

In Marokko wird weiterhin nach Überlebenden des verheerenden Erdbebens gesucht. Einsatzkräfte aus Spanien, Katar, Großbritannien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beteiligen sich an der Suche.

Der französische Innenminister wollte unterdessen nicht bestätigen, dass sich Marokkos König Mohammed VI. während des Erdbebens in Frankreich aufhielt. Die Zeitung „Le Parisien“ hatte berichtet, dass sich der König aus medizinischen Gründen seit dem 1. September in Frankreich aufgehalten habe. Deutsche Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk schickten indes ihre bereitgestellten Mitarbeiter vorerst wieder nach Hause.

Hilfsangebote aus aller Welt

Auch Saudi-Arabien will Marokko unterstützen. König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman hätten die Einrichtung einer Luftbrücke zur Hilfslieferung nach Marokko angeordnet, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SPA am späten Sonntagabend. Die beiden arabischen Länder unterhalten traditionell freundschaftliche Beziehungen. Nach einem Bericht der englischsprachigen Zeitung „Arab News“ soll ein saudisches Such- und Rettungsteam die Rettungskräfte unterstützen.

Für die USA sagte Außenminister Antony Blinken am Sonntag, die Regierung habe die zuständigen Behörden mobilisiert, die nun einsatzbereit seien. „Und wir warten jetzt auf Nachricht der marokkanischen Regierung, um herauszufinden, wie und wo wir helfen können. Aber wir sind startklar“, sagte er im Gespräch mit dem Sender CNN. Das österreichische Außenministerium unterstrich am Sonntagnachmittag nochmals auf APA-Anfrage, helfen zu wollen.

Sonderhilfsfonds angekündigt

Die Regierung in Marokko kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete Hespress unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben.

Zerstörung nach Erdbeben in Marokko
Reuters/Ahmed El Jechtimi
In den entlegenen Gebieten des Atlasgebirges gestalten sich Einsätze für Hilfskräfte besonders schwierig

Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilliger Beiträge des Privatsektors zusammensetzen, hieß es. Zur medizinischen Versorgung der Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1.000 Ärzte und Ärztinnen sowie 1.500 Krankenpflegerinnen und -pfleger mobilisiert worden.

Mehrere Österreicher in Marokko

Laut dem österreichischen Außenministerium halten sich in Marokko aktuell rund 130 Personen aus Österreich (Stand Montagvormittag) auf. „Wir haben glücklicherweise weiterhin keine Infos dazu, dass jemand von ihnen verletzt wurde“, sagte eine Sprecherin. Das Außenministerium sei in ständigem Kontakt mit den Österreicherinnen und Österreichern, hieß es.

Man leiste für Betroffene Unterstützung bei der Suche nach Unterkünften und Transportmöglichkeiten. Das Ministerium verwies auch auf die Notfallnummer des Außenministeriums (+43 1 90115 4411), die rund um die Uhr erreichbar sei.

Der Generalsekretär des österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig, richtete am Sonntag einen Appell an alle hilfswilligen Menschen in Österreich. „Sehr viele Menschen aus Österreich und Deutschland melden sich bei uns und wollen helfen. Allerdings raten wir momentan davon ab, ins betroffene Gebiet zu reisen“, sagte er: „Die Gefahr ist zu groß, und Menschen von außen, die untergebracht und verköstigt werden müssen, stellen eine zusätzliche Belastung für Hilfsorganisationen dar.“

Zeltunterkünfte nach Erdbeben in Marokko
AP/Mosa’ab Elshamy
Notdürftige Zelte wurden für die Überlebenden errichtet

Geldspenden an professionelle NGOs und lokale Initiativen würden die Betroffenen in Marokko am besten unterstützen, hieß es. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) gab am Sonntag zudem rund eine Million Schweizer Franken (rund 1,05 Mio. Euro) frei. Erneute Spendenaufrufe kamen am Sonntag auch von der Caritas und dem Hilfswerk.

WHO: Über 300.000 Menschen betroffen

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mehr als 300.000 Menschen in der Stadt Marrakesch und umliegenden Gebieten vom Erdbeben betroffen. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Seither wurde das nordafrikanische Land von Nachbeben heimgesucht. Da Erdbeben in Nordafrika relativ selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten.

Kulturdenkmäler beschädigt

In Gebieten vom Atlasgebirge bis zur Altstadt von Marrakesch wurden Gebäude zerstört und historische Kulturdenkmäler beschädigt. So soll auch die berühmte Bergmoschee von Tinmal im Westen des Gebirges beschädigt sein, wie lokale Medien am Sonntag berichteten. Die Moschee stammt aus dem zwölften Jahrhundert und gilt als eine der wichtigsten historischen Stätten im Hohen Atlas.

Papst Franziskus drückte beim Angelus-Gebet am Sonntag Anteilnahme und Trauer aus. Franziskus betonte, dass er dem marokkanischen Volk nahe sei, er bete für die vielen Toten, für die Verletzten und ihre Angehörigen. „Ich danke den Rettungseinheiten und all jenen, die die Leiden der Menschen in Marokko lindern“, sagte der Papst auf dem Petersplatz. Er äußerte die Hoffnung, dass die Bevölkerung in diesem „tragischen Moment“ konkrete Hilfe erhalte.