Leeres Klassenzimmer
ORF/Ákos Heves
Lehrkräftemangel

Quereinstieg verschärft „Rumoren“ in System

Das Schuljahr hat laut Lehrervertretung wegen des Lehrkräftemangels holprig begonnen, vielerorts halten sich Schulen mit Lehramtsstudierenden und Sonderverträgen über Wasser. Dass ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek auf Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger setzt, verschärft bestehendes „Rumoren“, insbesondere bei Lehramtsstudierenden. Gegenüber ORF.at kritisieren sie eine „Degradierung“ ihrer Ausbildung und Probleme mit der Verwaltung.

Bis 2030 gehen geschätzt 30 Prozent der Lehrkräfte in Österreich in Pension, in den nächsten fünf Jahren müssen laut Polaschek 20.000 Stellen nachbesetzt werden. Heuer sei der Schulstart „sehr holprig“ verlaufen, so der Vorsitzende der ARGE Lehrer in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD), Paul Kimberger, gegenüber der APA. Die Schulen hielten sich über Wasser, indem sich Lehramtsstudierende die Führung einer Klasse aufteilten und nebenbei versuchten, ihre Ausbildung weiterzumachen, so auch Wiens oberster Lehrervertreter Thomas Krebs (FCG).

Damit in diesem Schuljahr tatsächlich „jede Stunde“ gehalten werden kann, soll neben Lehramtsstudierenden dank einer Dienstrechtsnovelle verstärkt auf Quereinsteiger gesetzt werden. Bisher gab es laut Bildungsministerium jährlich rund 300, heuer hat sich die Zahl verdoppelt. Etwa in Oberösterreich gab es im Vorjahr 17 Quereinsteigende, heuer sind es laut Bildungsdirektion 55.

„Im ersten Moment denkt man sich schon: Puh, werde ich das schaffen? Kann ich den Schülern überhaupt genügen? Aber viel wichtiger als der Inhalt sind im Endeffekt die Methoden, wie steh ich in der Klasse, wie vermittle ich das“, so eine Quereinsteigerin, die ursprünglich Skandinavistik und Globalgeschichte studiert hat und in der Gastronomie tätig war – mehr dazu in noe.ORF.at.

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Um dem Ausfall von Unterrichtsstunden vorzubeugen, wurden heuer verstärkt Quereinsteiger angeworben

Experte: Bei Zusatzausbildung fehlt „Grundlegendes“

Bildungswissenschaftliche Methoden sind für Quereinsteiger keine Voraussetzung für das Unterrichten, sondern ein 180 ECTS umfassendes Bachelorstudium, drei Jahre Berufserfahrung sowie ein Zulassungsverfahren. „In der klassischen Lehramtsausbildung gibt es drei Säulen. Eine davon ist die der bildungswissenschaftlichen Grundlagen, die ist etwas kleiner, aber sehr wichtig. Im Quereinstieg ist diese Säule nicht existent“, erklärt Bildungsexperte Marko Lüftenegger von der Uni Wien.

Zwar findet zu Beginn ein zweiwöchiger Pädagogikkurs statt und innerhalb von acht Jahren muss eine Pädagogikausbildung im Ausmaß von 60 ECTS berufsbegleitend an einer Hochschule absolviert werden. Faktisch könnten sich die neuen Lehrkräfte aber „ohne derartige Kompetenzen in den Klassenraum stellen“. In der Zusatzausbildung für Quereinsteigende fehle „Grundlegendes“, etwa Wissen um die Entwicklung von Jugendlichen und insbesondere zur Pubertät.

Infografik zur Ausbildung von Lehrkräften bei Lehramtsstudium und Quereinstieg
ORF/Bildungsministerium

Man müsse sich die Frage stellen, was das Ziel von Schule sei, so der Experte. Wenn es um Vorbereitung auf das Leben gehe, könne man dem Quereinstiegsmodell Positives abgewinnen. „Da könnte ich mir vorstellen, dass man viel Sinn darin sieht, wenn die Lehrkräfte lebensnahe Beispiele in den Unterricht bringen, weil sie ja unterschiedliche Berufserfahrungen haben.“ Es sei aber auch wichtig zu wissen, wie man Schülerinnen und Schüler motiviere. „Jugendliche sind keine Maschinen, die nach fixen Regeln mit Wissen gefüllt werden, und Lernen passiert auch nicht im luftleeren Raum.“

Fachabschluss „rentiert sich mehr“

Dass die Pädagogikausbildung bei Quereinsteigerinnen und -einsteigern erst später erfolgt, sorgt für Kritik bei Lehramtsstudierenden. Sie würden oft sechs Jahre oder mehr in ihre Ausbildung investieren, um die erforderlichen pädagogischen Fähigkeiten zu erwerben, kritisierte die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH) in einer Aussendung. Die Initiative „Klasse Job“ suggeriere, dass eine Ausbildung nicht vonnöten sei – mehr dazu in tirol.ORF.at.

„Es wirkt wie eine Degradierung unserer Profession“, so eine 26-jährige Junglehrerin aus Niederösterreich gegenüber ORF.at. „Es wird vermittelt: Das kann eh jeder.“ Aktuell würde es sich für sie mehr rentieren, „den pädagogischen Teil des Studiums aus dem Lebenslauf zu streichen und mit einem bloßen Fachabschluss quer einzusteigen.“ So verdiene man beispielsweise im letzten der vier Bachelorjahre laut Regelvertrag 85 Prozent, Quereinsteiger mit dreijährigem Bachelor, aber ohne Pädagogikausbildung verdienten jedoch 95 Prozent.

Man dürfe die pädagogische Ausbildung „nicht zu gering erachten“, betont AHS-Gewerkschaftschef Herbert Weiß gegenüber ORF.at. Gleichzeitig könne man es sich in der jetzigen Lage auch nicht leisten, Quereinsteiger später einsteigen und vorher die Ausbildung machen zu lassen. „Dass man das Quereinstiegsmodell jetzt mehr promotet, ist verständlich – man braucht diese Leute.“

Kritik an Verwaltung und Arbeitsbedingungen

Für Unmut sorgt aber auch die Verwaltung vonseiten der Bildungsdirektionen. Oft wisse man am letzten Tag der Ferien nicht, ob man am nächsten Tag einen Job haben werde, so die 26-jährige Lehrerin. Auf befristete Verträge warte man oft mehrere Monate, auf unbefristete Jahre, „man hantelt sich von Jahr zu Jahr durch“. Generell würden die Verwaltungsprozesse viel zu lange dauern, durch lange Wartezeiten verliere man auch Interessenten an die Privatwirtschaft, so auch Kimberger von der GÖD.

Experte zu Quereinsteigern im Lehrberuf

Eckehard Quin, neuer Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, der zweitgrößten Teilorganisation des ÖGB, spricht zum Lehrermangel und den Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern die aushelfen.

Der Lehrkräftemangel liege „zum Großteil nicht an fehlendem Interesse am Beruf“, sondern „an der finanziellen Unsicherheit für Junglehrerinnen und Junglehrer mit Kettenverträgen und den teilweise psychisch und physisch belastenden Arbeitsbedingungen, durch die sowohl Quereinsteigende als auch ausgebildete Lehrkräfte verheizt werden“, so die 26-jährige Lehrerin. Dass der frühe Einstieg in den Lehrbetrieb mitunter finanziell nachteilig sei, kritisiert auch die Vorsitzende der ÖH an der Universität Wien, Nora Hasan – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Ich würde mir wünschen, dass die Politik mehr hinter uns steht“, so eine Lehramtsstudentin aus Tirol, die an einer Volksschule unterrichtet. „Ich mache meinen Job gerne. Aber wenn jemand, der keine pädagogische Ausbildung besitzt, fast gleich viel oder mehr verdient, dann ist das ein Schlag ins Gesicht.“ Zudem brauche man mehr Unterstützung, oftmals sei sie „Mama, Psychologin und Ärztin in einem“. Es brauche auch eine Reform des Studiums. Vor allem für den Unterricht an Volksschulen sei der Master zu wissenschaftlich ausgelegt.

Eine junge Lehrerin hilft einer Schülerin
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Quereinsteigende sollen dank „einschlägiger Berufserfahrung“ neue Perspektiven in den Unterricht bringen

Beruf wieder „attraktiver machen“

Um den Junglehrern die Vereinbarkeit von Beruf und Studium zu erleichtern, hat Polaschek im Jänner im Wissenschaftsausschuss des Nationalrats bei der Ausbildung „die größte Änderung der vergangenen zehn Jahre“ und eine Verkürzung des Bachelors für Primar- und Sekundarstufe angekündigt. Die Änderungen wurden allerdings noch nicht im Parlament beschlossen, der für Frühjahr angekündigte Gesetzesentwurf liegt noch nicht vor.

Als kurzfristige Maßnahme gegen den Lehrkräftemangel sei eine Kürzung der Ausbildung wohl nicht effizient, so Bildungsexperte Lüftenegger. Eine solche Umstellung sei aufwendig, und bis sie greife, dauere es Jahre. „Sinnvoller wäre es meiner Meinung nach, den Beruf an sich attraktiver zu machen, wieder positiv zu besetzen und den Lehrpersonen im System Unterstützung zukommen zu lassen, damit sie dort auch gerne bleiben.“ Dazu gehöre etwa ein besser begleiteter Berufseinstieg.

Selbst wenn der Peak der Pensionierungen bald erreicht werde, stelle sich die Frage, wie viele Personen man verliere, die sich derzeit im System befinden. „Hier hört man viel Rumoren. Ich kann mir vorstellen, dass das Problem weiter geht, wenn die Attraktivität des Berufs weiter sinkt.“ In dieselbe Kerbe schlägt Gewerkschafter Weiß. „Aus meiner Sicht wäre es ein ganz wichtiger Schritt, dass wir die Leute, die jetzt im System sind, möglichst lange halten, und das kann nur gehen, wenn man die Bedingungen verbessert und die Bürokratie zurückschraubt.“