In den Katastrophengebieten läuft die Suche nach Vermissten auf Hochtouren. Während die Menschen die dritte Nacht in Folge aus Angst vor weiteren Nachbeben in den Straßen von Marrakesch und anderen Orten verbrachten, wollten Soldaten mit Unterstützung ausländischer Hilfsteams in entlegene Bergdörfer vordringen. Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Muren befreit werden, damit Krankenwagen durchkommen, wie die Onlinezeitung Morocco World News berichtete.
Militärhubschrauber werfen Hilfspakete ab
Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender al-Arabija am Montag. Militärhubschrauber warfen am Montag Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.
Großbritannien ist mit 60 Such- und Rettungsexperten sowie vier Suchhunden in Marokko, um die Einsätze zu unterstützen, teilte der britische Botschafter Simon Martin auf Twitter (X) mit. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden beteiligt sich an den Bergungsarbeiten.
Keine Hilfskräfte aus Österreich, Deutschland, Frankreich
Obwohl auch andere Länder, darunter Österreich und Deutschland, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten Unterstützung an. Deutschland bot Marokko schon zum zweiten Mal seine Hilfe an, doch die Regierung in Rabat zeigte bisher kein Interesse. „Bislang sind diese Hilfsangebote nicht abgerufen worden“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes.
Auf die Frage, ob der Verzicht auf deutsche Unterstützung womöglich politische Gründe haben könnte, antwortete er: „Ich glaube, politische Gründe kann man hier ausschließen für unseren Fall.“ Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut. Der Streit über die Westsahara hatte die deutsch-marokkanischen Beziehungen aber 2021 in eine tiefe Krise gestürzt.
Hilfsorganisationen bitten um Spenden
Am Höhepunkt zog Marokko seine Botschafterin für mehrere Monate aus Berlin ab. Im Sommer 2022 näherten sich die beiden Staaten einander wieder an. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock reiste im August vergangenen Jahres in die Hauptstadt Rabat.
„Hilfe so organisieren, wie es am besten ist“
Die französische Außenministerin Catherine Colonna wies ebenfalls Spekulationen über diplomatische Spannungen mit Blick auf die Erdbebenhilfe für Marokko zurück. „Marokko hat keine Hilfsangebote ausgeschlagen“, sagte Colonna am Montag dem Sender BFM. „Das Land kann nur allein bestimmen, welche Hilfe in welchem Zeitraum es braucht“, fügte sie hinzu. Frankreich vertraue Marokko, „die Hilfe so zu organisieren, wie es am besten ist“.
„Wir stehen der marokkanischen Regierung weiter zur Verfügung“, sagte Colonna und kündigte eine Finanzhilfe in Höhe von fünf Millionen Euro an. Frankreich und Marokko stünden auf allen Ebenen in Kontakt. „Lassen wir die Spannungen einmal beiseite. Menschen leiden und brauchen Hilfe“, sagte Colonna. Nach Informationen der Zeitung „Le Monde“ befand sich der marokkanische König Mohammed VI. zum Zeitpunkt des Erdbebens in Frankreich. Er besitze in Paris eine Luxusvilla nahe dem Eiffelturm.
Die Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko waren zuletzt angespannt, seit Frankreich engeren Kontakt zu Algerien sucht. Marokko hat seit Monaten keinen Botschafter mehr in Paris. In Frankreich leben sehr viele Menschen mit marokkanischen Wurzeln. Sämtliche französische Telefonanbieter bieten derzeit Gratisanrufe und Gratis-SMS nach Marokko an.
ORF-Korrespondent El-Gawhary zur Lage in Marokko
ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary meldet sich aus Marokko. Er berichtet über die Lage nach dem verheerenden Erdbeben am Freitag.
EU stellt eine Million zur Verfügung
Die Europäische Union stellte unterdessen eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereit. Das Geld soll dabei helfen, die dringendsten Bedürfnisse der am stärksten betroffenen Menschen zu decken, hieß es. Zudem stehe die Kommission mit den EU-Staaten in Kontakt, um Einsatzteams zu mobilisieren, falls Marokko darum bittet. Auch Saudi-Arabien will Marokko unterstützen. Die beiden arabischen Länder unterhalten traditionell freundschaftliche Beziehungen. Die Hilfe der USA schlug Marokko ebenfalls aus.
Das marokkanische Innenministerium hatte sich am Sonntag bei allen Ländern bedankt, die ihre Hilfe angeboten hatten, dabei aber betont, dass es zunächst den „Bedarf an Ort und Stelle“ bewerten und eine „gute Koordination“ sicherstellen wolle. Marokko werde auf weitere Hilfsangebote zurückkommen, „wenn sich der Bedarf ändern sollte“, fügte das Innenministerium hinzu.
Sonderhilfsfonds angekündigt
Die Regierung in Marokko kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete die marokkanische Website Hespress unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben.
Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilliger Beiträge des Privatsektors zusammensetzen, hieß es. Zur medizinischen Versorgung der Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1.000 Ärzte und Ärztinnen sowie 1.500 Krankenpflegerinnen und -pfleger mobilisiert worden.
Hajek: Überlebende müssen versorgt werden
Für die Einsatzkräfte ist es ein Wettlauf gegen die Zeit: Expertinnen und Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch höchstens ohne Wasser auskommen kann. In diesem Zeitfenster nach einem Erdbeben bestünden „gute Chancen, Lebende zu finden und zu retten“, sagte Walter Hajek vom Österreichischen Roten Kreuz im Ö1-Mittagsjournal.
Auch darüber hinaus würden Suchmaßnahmen sehr oft weitergeführt. „Es obliegt dann der lokalen Zivilschutzbehörde, diese Entscheidung zu treffen“, so Hajek. Die Helferinnen und Helfer stünden aktuell vor einer doppelten Belastung: Neben der Suche und Rettung von Verschütteten gelte es, die Überlebenden zu versorgen und zu betreuen, „viele 10.000 Menschen“, so der Experte.
Schlimmstes Erdbeben seit Jahrzehnten
Das erste Erdbeben der Stärke 6,8, das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko, hatte sich am späten Freitagabend ereignet. Nach bisherigen amtlichen Angaben kamen mindestens 2.862 Menschen ums Leben, zumindest 2.562 weitere Menschen wurden verletzt. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mehr als 300.000 Menschen in der Stadt Marrakesch und umliegenden Gebieten vom Erdbeben betroffen.
Marokko: Weiter Suche nach Vermissten
Nach dem heftigen Erdbeben in Marokko am Freitag ist die Lage nach wie vor unübersichtlich. Die Suche nach Vermissten gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit.
Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Seither wurde das nordafrikanische Land von Nachbeben heimgesucht. Da Erdbeben in Nordafrika relativ selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Expertinnen und Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten.
Kulturdenkmäler beschädigt
In Gebieten vom Atlasgebirge bis zur Altstadt von Marrakesch wurden Gebäude zerstört und historische Kulturdenkmäler beschädigt. So soll auch die berühmte Bergmoschee von Tinmal im Westen des Gebirges beschädigt sein, wie lokale Medien am Sonntag berichteten. Die Moschee stammt aus dem zwölften Jahrhundert und gilt als eine der wichtigsten historischen Stätten im Hohen Atlas.
Laut dem österreichischen Außenministerium halten sich in Marokko aktuell rund 130 Personen aus Österreich (Stand Montagvormittag) auf. „Wir haben glücklicherweise weiterhin keine Infos dazu, dass jemand von ihnen verletzt wurde“, sagte eine Sprecherin. Das Außenministerium sei in ständigem Kontakt mit den Österreicherinnen und Österreichern, hieß es.
Man leiste für Betroffene Unterstützung bei der Suche nach Unterkünften und Transportmöglichkeiten. Das Ministerium verwies auch auf die Notfallnummer des Außenministeriums (+43 1 90115 4411), die rund um die Uhr erreichbar sei.