Proteste in Sweida, Syrien
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Syrien

Proteste fordern Assad heraus

Nach zwölf Jahren Bürgerkrieg sitzt der syrische Machthaber Baschar al-Assad nach wie vor fest im Sattel – trotz eines von Repression, Korruption und einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale geprägten Regimes. Der Unmut in der Bevölkerung wächst aber und wird an manchen Orten stärker sichtbar. Seit vier Wochen demonstrieren Menschen in der südsyrischen Stadt Suwaida gegen das Regime. Assad schweigt bisher. Seine bisherige Taktik, Minderheiten als „Beschützer“ für den eigenen Machterhalt hinter sich zu versammeln, hat aber Risse bekommen.

In Suwaida dominieren die Drusen. Die religiöse Minderheit stand bisher eher auf der Seite Assads. „Sie waren dem Regime gegenüber großteils loyal aufgrund ihrer Angst vor Dschihadisten“, erklärte der Syrien-Experte Thomas Schmidinger von der Universität Wien gegenüber ORF.at. Assad gab sich als säkularer Beschützer religiöser Minderheiten, die von islamistischen Milizen wie dem Islamischen Staat (IS) bedroht worden waren. Die Angst sei nun nicht mehr so gravierend, der IS sei deutlich schwächer geworden, so der Politologe.

Stärker geworden ist allerdings die wirtschaftliche Not. Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren gab es eine drastische Verschlechterung der Versorgungslage. Das verheerende Erdbeben verschlimmerte die Lage. Schmidinger: „Der Mittelstand existiert nicht mehr, die Reserven sind aufgebraucht.“ Nur einige Wenige, die eng mit dem Regime verbunden seien, profitierten von der Kriegsökonomie. Nun entlud sich der Frust über die Lebensbedingungen dennoch nach außen.

Proteste in Sweida, Syrien
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Seit vier Wochen protestiert die drusische Bevölkerung in Suwaida gegen das Regime

Ende von Treibstoffsubventionen als Auslöser

Auslöser für die Proteste in dem unter westlichen Sanktionen stehenden Land war die Abschaffung der staatlichen Subventionen für Treibstoff. Die Preise für Benzin verdreifachten sich. Taxi- und Busfahrer legten ihre Arbeit nieder, Geschäfte blieben geschlossen, die Lebensmittelpreise stiegen in kürzester Zeit drastisch. Die Inflation liegt im vierten Jahr bei rund 100 Prozent.

90 Prozent der Bevölkerung, rund zwölf Millionen Menschen, leben laut UNO unterhalb der Armutsgrenze und haben Schwierigkeiten, sich Lebensmittel zu leisten. Die Währung ist extrem abgewertet. Wurde zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges ein US-Dollar noch für rund 50 syrische Pfund gehandelt, müssen jetzt dafür 15.000 Pfund bezahlt werden.

Inzwischen wurden die Rufe nach einem Sturz Assads und seines Regimes lauter. Der Machthaber und sein System werden für die schwierige wirtschaftliche Lage verantwortlich gemacht. Assads Gefolgsleute kontrollieren den Schwarzmarkt, viele sind an dem lukrativen Drogengeschäft beteiligt. Das Aufputschmittel Captagon zählt mittlerweile zu einer der wichtigsten Devisenquellen Syriens. Die Ölförderung ist weitgehend eingebrochen – nicht zuletzt auch deswegen, weil die wichtigsten Ölvorkommen in Deir al-Sor nicht unter Kontrolle des Regimes stehen.

Schmidinger: Regime braucht neue Taktik

„Die Proteste werden für das Regime dann ein Problem, wenn die alte Taktik, Minderheiten durch Angst vor Islamisten bei der Stange zu halten, nicht mehr funktioniert“, erklärte der Politologe. „Wenn die Angst für Loyalität nicht mehr reicht, hat das Regime ein Problem.“ Assad werde sich eine andere Taktik und für bestimmte Gruppen Zugeständnisse überlegen müssen, wie etwa ein Mindestmaß an einer Föderalisierung Syriens.

Mehrere tausend Menschen gehen seit Mitte August in Suwaida auf die Straße. Erst am Freitag fand eine Kundgebung mit laut Schätzungen 3.500 bis 4.000 Teilnehmenden in der Provinzhauptstadt statt. Für Schmidinger ist es nicht überraschend, dass die Proteste gerade hier sichtbar werden: „Es gibt hier intakte Sozialstrukturen, eine nicht völlig zerstörte Gesellschaft, weil es ruhiger war als anderswo.“ Das sei notwendig für zivile Proteste.

Bashar al-Assad
AP
Assad sicherte sich bisher die Loyalität religiöser Minderheiten durch deren Angst vor Islamisten

Assad-Bilder zerstört

In der 100.000-Einwohner-Stadt Suwaida wurden Straßen blockiert, Assad-Bilder sowie eine Statue von Assads Vater Hafis zerstört und das Büro der regierenden Baath-Partei geschlossen. Die Demonstrationen zeichnen ein Bild der Schwäche Assads im Süden Syriens. „Wir werden keinen Angriff auf die Demonstrationen zulassen“, gab sich ein Sprecher einer von Drusen gebildeten lokalen Miliz kämpferisch.

Von der Stadt Suwaida breiteten sich die Proteste auf die ganze Provinz aus, und in dem unter Regierungskontrolle stehenden Daraa, wo die Proteste 2011 ihren Ausgang nahmen, sowie in den von Alawiten dominierten Küstenregionen und in Vororten von Damaskus gingen Menschen ebenfalls vereinzelt auf die Straße. Hier reagierten die Sicherheitskräfte im Gegensatz zu Suwaida mit Verhaftungen, verzichteten aber auf eine brutalere Reaktion.

Protest von Alawiten „größere Gefahr für Regime“

Vor allem die Küstenregionen, Siedlungsgebiet der Alawiten, könnten für Assad gefährlich werden, denn auf ihre Gefolgschaft stützt sich sein Regime. Geheimdienst und Militär sind vor allem mit Alawiten besetzt. Schmidinger sieht bei Protesten von Alawiten eine „größere Gefahr für das Regime“. Es sei aber schwierig einzuschätzen, wie verbreitet die Unzufriedenheit bei den Alawiten ist.

Als „bedeutsam“ stufte auch der auf Syrien spezialisierte Politologe Steven Heydemann im Interview mit „The New Arab“ den Widerstand ein, der in den Hochburgen des Regimes aufkeime. „Die Unterstützung für das Regime in den vom Regime kontrollierten Gebieten einschließlich der loyalistischen Hochburgen an der Küste ist erodiert.“

Hintergrund sei vor allem die mangelnde Reaktion des Regimes auf die wirtschaftliche Krise. Heydemann sieht die Schwäche des Regimes als „ein Produkt der Wirtschaftskrise und seines Versagens, die räuberischen und korrupten Praktiken einzudämmen, die die Krise verschärfen und die Wut der einfachen Syrer anheizen“.

Unklarer Ausgang der Proteste

Derzeit setze das Regime darauf, die Proteste auslaufen zu lassen. Aber ewig werde Assad nicht zusehen. Da spielten auch machtpolitische Überlegungen eine Rolle, so Schmidinger. Der Politologe Heydemann erwartet für Suwaida eine „Teile-und-herrsche-Strategie“ unter den religiösen Führern, die an den Protesten beteiligt sind.

Einer von ihnen bekräftigte bereits seine Loyalität gegenüber dem Regime. Der syrische Machthaber könne es sich nicht gleichzeitig mit zu vielen Teilen der Gesellschaft verscherzen, argumentierte Schmidinger: „Er wird wohl versuchen, die drusischen Führer wieder ruhig zu stellen.“

Konflikt im Norden spielt Assad in die Hände

So schwach das Regime derzeit im Süden wirkt, spielen Assad aktuelle Entwicklungen im kurdisch dominierten Nordosten Syriens in die Hände. Schlagzeilen machten in den vergangenen Wochen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den von Kurdenmilizen angeführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und Kämpfern lokaler arabischer Milizen, die Dutzende Tote forderten.

Grafik zur Gebietsaufteilung in Syrien
Grafik: APA/ORF; Quelle: ISW/ZEIT

Es gehe dabei nicht um Kämpfe zwischen Kurden und Arabern, betonte Schmidinger, vielmehr handle es sich um SDF-interne Konflikte. Auslöser war die Festnahme des Vorsitzenden des Militärrats von Deir al-Sor, Ahmed Chubeil, auch bekannt als Raschid Abu Chaula, und weiterer Stammesmitglieder Ende August. In Deir al-Sor liegen die größten syrischen Ölvorkommen.

Loyalitäten fraglich

Chubeil werden Kontakte mit der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten vorgeworfen sowie die Verwicklung in kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel. Der SDF-Kommandant war selbst früher IS-Mitglied und wechselte dann zu den SDF und damit auf die andere Seite. Denn die SDF wurden in den vergangenen Jahren mit Hunderten US-Soldaten von den USA unterstützt – mit dem Ziel, in dieser Region gegen den IS zu kämpfen.

Dabei wurden Gebiete erobert, die die SDF mit Überläufern von arabischen Stämmen unter Kontrolle halten konnten, erklärte Schmidinger: „Die arabischen Stammesführer wechselten ihre Loyalitäten zwischen Regime, IS und SDF – wie etwa Chaula.“ Deren Loyalität sei aber immer fraglich gewesen. Die ohnehin schon durch die ständigen Drohnenangriffe durch die Türkei betroffenen Gebiete wurden nun mit den Kämpfen der SDF gegen arabische Milizen Schauplatz weiterer Konflikte.

Arabische Milizen bei Deir ez-Zor
IMAGO/Rami Alsayed
Nach der Festnahme eines SDF-Kommandeurs gab es Auseinandersetzungen zwischen Kämpfern der SDF und arabischer Milizen

USA um Deeskalation bemüht

Das Regime versuche, diese Destabilisierung für eigene Interessen zu nützen, so Schmidinger, genauso wie die Verbündeten der syrischen Regierung – Iran und Russland. Denn gegen die von den USA unterstützten Kräfte der SDF können die Truppen des Assad-Regimes Beobachtern zufolge wenig ausrichten. Zudem fehlen dem Regime finanzielle Mittel, um die arabischen Stämme mehr auf seine Seite zu ziehen.

Die USA waren um Deeskalation bemüht. Die schlimmsten Kämpfe scheinen vorbei zu sein, doch die Sorge vor einer weiteren Spaltung der SDF und ihrer Verbündeten ist trotz gegenteiliger Beteuerungen der SDF groß. Angeheizt wird der Konflikt auch durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der kürzlich die kurdisch geführte Verwaltung im Nordosten Syriens als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellte. Die syrischen Kurdenführer machten laut einem Bericht der Nachrichtenplattform Al-Monitor selbst „externe Kräfte“, gemeint sind der Iran, die Türkei und Russland, für die Kämpfe verantwortlich. Schmidinger: „Zu Ende ist der Konflikt noch nicht.“