Kind vor einem Zelt nach Erbeben in Marokko
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UNICEF zu Marokko

100.000 Kinder von Beben betroffen

Von dem schweren Erdbeben in Marokko sind nach ersten Informationen des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) etwa 100.000 Kinder betroffen. Man kenne zwar noch nicht die genaue Zahl der getöteten und verletzten Kinder, erklärte die Organisation am Dienstag in einer Mitteilung. Kinder machten aber nach jüngsten Schätzungen von 2022 fast ein Drittel der Bevölkerung des Landes aus.

In jeder Notsituation gehörten Kinder immer zu den am meisten gefährdeten Personen, teilte UNICEF weiter mit. Etliche Kinder und Familien seien durch das Beben obdachlos geworden und benötigten dringend Unterstützung mit dem Lebensnotwendigsten. Dann gelte es, für die Betroffenen Unterkünfte, sauberes Trinkwasser, medizinische Hilfe und ausreichend Nahrungsmittel sicherzustellen.

Das genaue Ausmaß des Bebens ist weiter nicht vollständig bekannt. Tausende von Häusern wurden laut Behörden zerstört, zahllose Menschen verbrachten eine weitere Nacht im Freien. Nach Angaben der Regierung des nordafrikanischen Landes stieg die Zahl der bestätigten Toten am Dienstagnachmittag auf 2.901, unter ihnen auch viele Kinder. Laut Innenministerium wurden außerdem bisher 5.530 Verletzte gezählt.

Verzweifelte Suche nach Vermissten in Marokko

In Marokko wird vier Tage nach dem verheerenden Erdbeben weiterhin nach Vermissten gesucht. Doch die Überlebenschancen der Menschen in den Trümmern sinken rapide.

Krankenhäuser und Schulen zerstört

Es sei damit zu rechnen, dass Nachbeben auch in den kommenden Tagen und Wochen andauern und Kinder und Familien gefährden, so UNICEF. Schulen, Krankenhäuser und andere medizinische und pädagogische Einrichtungen seien durch das Beben beschädigt oder zerstört worden, was die Kinder zusätzlich belaste.

Laut UNICEF brauche es auch Kinderschutzdienste einschließlich psychosozialer Unterstützung, um Kindern und Eltern zu helfen, ihre belastenden Erfahrungen zu verarbeiten. „Für die langfristige Genesung der Kinder ist es auch entscheidend, dass sie wieder in die Schule gehen können.“

Schwierig erreichbare Bergdörfer

Mehr als 70 Stunden nach dem verheerenden Erdbeben schwindet bei den Hilfskräften indes die Hoffnung, noch Überlebende in den Trümmern zu finden: Unterstützt von internationalen Rettungsteams setzten Einsatzkräfte und Freiwillige dennoch am Dienstag die Suche in dem schwer zugänglichen Gebiet fort. Nach Angaben von AFP-Korrespondenten waren spanische Rettungskräfte in den beiden vom Erdbeben betroffenen Orten Talat Njakub und Amizmiz südlich von Marrakesch im Einsatz.

Noch immer versuchen die Hilfskräfte in entlegene Bergdörfer vorzudringen. Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Muren befreit werden, damit Krankenwagen durchkommen, wie die Onlinezeitung Morocco World News berichtete.

In den schwer zugänglichen Gebieten arbeiten die Einsatzkräfte bei der Suche nach Überlebenden am Rande der Erschöpfung. Teils mit bloßen Händen müssen sie sich bei großer Hitze durch Schutt und Trümmerhaufen vorkämpfen. Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender al-Arabija. Militärhubschrauber warfen Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.

Ein Mann mit Suchhund versucht in Talat N’Yacoub in den Trümmern überlebende des Erdbebens in Marokko zu finden
APA/AFP/Fadel Senna
Ein Mann mit Suchhund versucht in Talat N’Yaaqoub in der stark betroffenen Provinz Al Haouz Überlebende zu finden

Großbritannien ist mit 60 Such- und Rettungsexperten sowie vier Suchhunden in Marokko, um die Einsätze zu unterstützen, teilte der britische Botschafter Simon Martin auf Twitter (X) mit. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden beteiligt sich an den Bergungsarbeiten.

ORF-Korrespondent El-Gawhary zur Lage in Marokko

Nach dem Erdbeben in Marokko am Freitag wurden bereits mehr als 2.800 Menschen tot geborgen. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary meldet sich aus Marokko und berichtet über die Lage vor Ort.

Keine Hilfskräfte aus Österreich, Deutschland, Frankreich

Obwohl auch andere Länder, darunter Österreich und Deutschland, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten Unterstützung an. Deutschland bot Marokko schon zum zweiten Mal seine Hilfe an, doch die Regierung in Rabat zeigte bisher kein Interesse. „Bislang sind diese Hilfsangebote nicht abgerufen worden“, sagte der Sprecher des deutschen Außenministeriums.

Menschen durchsuchen Trümmer nach Überlebenden
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Immer noch wird nach Überlebenden gesucht

Auf die Frage, ob der Verzicht auf deutsche Unterstützung womöglich politische Gründe haben könnte, antwortete er: „Ich glaube, politische Gründe kann man hier ausschließen für unseren Fall.“ Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut. Der Streit über die Westsahara hatte die deutsch-marokkanischen Beziehungen aber 2021 in eine tiefe Krise gestürzt.

„Hilfe so organisieren, wie es am besten ist“

Die französische Außenministerin Catherine Colonna wies ebenfalls Spekulationen über diplomatische Spannungen mit Blick auf die Erdbebenhilfe für Marokko zurück. „Marokko hat keine Hilfsangebote ausgeschlagen“, sagte Colonna am Montag dem Sender BFM. „Das Land kann nur allein bestimmen, welche Hilfe in welchem Zeitraum es braucht“, fügte sie hinzu. Frankreich vertraue Marokko, „die Hilfe so zu organisieren, wie es am besten ist“.

Erdbeben in Marokko seit 1923, nach Erdbebenstärke laut Richterskala. Zum Abspielen der Animation blauen Abspielknopf drücken oder blauen Kreis über die Zeitleiste bewegen.

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko waren zuletzt angespannt, seit Frankreich engeren Kontakt zu Algerien sucht. Algerien und Marokko unterhalten seit August 2021 keine diplomatischen Beziehungen mehr. Dennoch hat auch Algerien bereits ein Hilfsangebot an Marokko gesandt.

EU stellt eine Million zur Verfügung

Die Europäische Union stellte unterdessen eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereit. Das Geld soll dabei helfen, die dringendsten Bedürfnisse der am stärksten betroffenen Menschen zu decken, hieß es. Zudem stehe die Kommission mit den EU-Staaten in Kontakt, um Einsatzteams zu mobilisieren, falls Marokko darum bittet. Auch Saudi-Arabien will Marokko unterstützen. Die beiden arabischen Länder unterhalten traditionell freundschaftliche Beziehungen. Die Hilfe der USA schlug Marokko ebenfalls aus.

Rettungstrupps durchsuchen Trümmer nach Überlebenden
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Hunderte Wohnhäuser wurden zerstört

Das marokkanische Innenministerium hatte sich am Sonntag bei allen Ländern bedankt, die ihre Hilfe angeboten hatten, dabei aber betont, dass es zunächst den „Bedarf an Ort und Stelle“ bewerten und eine „gute Koordination“ sicherstellen wolle. Marokko werde auf weitere Hilfsangebote zurückkommen, „wenn sich der Bedarf ändern sollte“, fügte das Innenministerium hinzu.

Grafik zum Erdbeben in Marokko
Grafik: APA/ORF; Quelle: USGS

Sonderhilfsfonds angekündigt

Die Regierung in Marokko kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete die marokkanische Website Hespress unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben.

Zerstörung nach Erdbeben in Marokko
Reuters/Ahmed El Jechtimi
In den entlegenen Gebieten des Atlasgebirges gestalten sich Einsätze für Hilfskräfte besonders schwierig

Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilliger Beiträge des Privatsektors zusammensetzen, hieß es. Zur medizinischen Versorgung der Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1.000 Ärzte und Ärztinnen sowie 1.500 Krankenpflegerinnen und -pfleger mobilisiert worden.

Hajek: Überlebende müssen versorgt werden

Für die Einsatzkräfte ist es ein Wettlauf gegen die Zeit: Expertinnen und Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch höchstens ohne Wasser auskommen kann. In diesem Zeitfenster nach einem Erdbeben bestünden „gute Chancen, Lebende zu finden und zu retten“, sagte Walter Hajek vom Österreichischen Roten Kreuz am Montag im Ö1-Mittagsjournal.

Nach dem Erdbeben in Marokko steht eine Frau vor Trümmern in Talat N’Yaaqoub
Reuters/Hannah Mckay
Viele im Land stehen vor den Trümmern ihrer Existenz

Das erste Erdbeben der Stärke 6,8, das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko, hatte sich am späten Freitagabend ereignet. Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Seither wurde das nordafrikanische Land von Nachbeben heimgesucht. Da Erdbeben in Nordafrika relativ selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Expertinnen und Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten.

In Gebieten vom Atlasgebirge bis zur Altstadt von Marrakesch wurden Gebäude zerstört und historische Kulturdenkmäler beschädigt. So soll auch die berühmte Bergmoschee von Tinmal im Westen des Gebirges beschädigt sein, wie lokale Medien am Sonntag berichteten.

Dutzende Personen aus Österreich im Land

Laut dem österreichischen Außenministerium halten sich in Marokko aktuell rund 130 Personen aus Österreich (Stand Montagvormittag) auf. „Wir haben glücklicherweise weiterhin keine Infos dazu, dass jemand von ihnen verletzt wurde“, sagte eine Sprecherin. Das Außenministerium sei in ständigem Kontakt mit den Österreicherinnen und Österreichern, hieß es.

Man leiste für Betroffene Unterstützung bei der Suche nach Unterkünften und Transportmöglichkeiten. Das Ministerium verwies auch auf die Notfallnummer des Außenministeriums (+43 1 90115 4411), die rund um die Uhr erreichbar sei.