Rollstuhlfahrer auf einer Rampe
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UNO-Behindertenrechtskonvention

Scharfe Kritik an Österreich

Der UNO-Fachausschuss sieht bei den Bemühungen Österreichs zur Umsetzung der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen deutlich Luft nach oben. Scharfe Kritik wird in dem nun vorliegenden schriftlichen Bericht an den Bundesländern geübt. Das heimische Bildungssystem kommt gar nicht gut weg.

Zehn Jahre nach der ersten Kontrolle ist Österreich Ende August wieder auf dem Prüfstand gestanden. Die UNO beschäftigte sich ausführlich mit der Frage, inwieweit die bindende Behindertenrechtskonvention (BRK) hierzulande von Bund und Ländern umgesetzt wird. Der Bericht samt Empfehlungen ist am Dienstag veröffentlicht worden und bestätigt die Vermutung, dass Österreich die Konvention mangelhaft umsetzt.

Zwar lassen sich im Bericht auch lobende Worte finden. So werden etwa das Erwachsenenschutzrecht, das Inklusionspaket von 2017 und das neue Barrierefreiheitsgesetz begrüßt. Außerdem erinnerte der Ausschuss an den aktualisierten Nationalen Aktionsplan und die neue deutsche Übersetzung der Konvention, die auch in Einfacher Sprache verfügbar ist. Doch die Minus-Liste ist weitaus länger.

Bewusstsein über Konvention „unzureichend“

So stellten die Fachleute mit „großer Sorge“ fest, dass die Bundesländer der Behindertenrechtskonvention „kaum Beachtung schenken“. Der Bund müsse die Länder darauf aufmerksam machen, dass auch sie ihre Verpflichtungen einhalten müssen. Laut UNO scheint das Bewusstsein über die Grundsätze und Rechte der ratifizierten Konvention in den Ländern „unzureichend“ entwickelt zu sein.

Insbesondere die Tatsache, dass Bund und Länder unterschiedliche Ansätze bei der Umsetzung der Konvention verfolgen, stößt auf Irritation. Man müsse die rechtlichen Maßnahmen unbedingt ändern und aktualisieren. Auch sollten Vorschriften erlassen werden, damit die Empfehlungen des Ausschusses auch tatsächlich umgesetzt werden.

Mangelnde Teilhabe von Frauen und Kindern

Der Bericht geht im weiteren Verlauf ausführlicher auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein und inwieweit diese in Österreich umgesetzt werden. So sieht der UNO-Fachausschuss Fortschritte, was die Antidiskriminierungsgesetze betrifft. Allerdings entstünden in der Praxis zum Beispiel Probleme beim Schlichtungsverfahren. Es wird empfohlen, das Behindertengleichstellungsgesetz zu stärken, indem der Umfang der Rechtsbehelfe in allen Bereichen ausgeweitet wird.

Besorgt zeigt sich der Ausschuss auch über die Lage von Frauen und Mädchen mit Behinderung. Ihren Stimmen wird kaum Gehör verschafft, zudem seien die Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt enden wollend. Es gebe auch kaum Daten über die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Die Republik müsse Diskriminierungen verhindern und sicherstellen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen einen Zugang zu Präventions- und Schutzmechanismen gegen Gewalt haben, erinnerte der Ausschuss schon an seine bisherigen Empfehlungen.

Mädchen mit Trisomie 21 in einer Computerklasse
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Im Bildungsbereich ortete der UNO-Ausschuss Rückschritte in Sachen Inklusion

Bund und Länder werden außerdem aufgefordert, die getrennte Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen zu beenden. Der Ausschuss zeigte sich nämlich besorgt „über die enge Verbindung von getrennter Erziehung und Heimunterbringung aufgrund der häufigen Ausgestaltung von Sonderschulen als Internatsschulen“. Zudem fehlten hierzulande die nötigen Unterstützungsmaßnahmen, um aktiv am öffentlichen Diskurs teilnehmen zu können.

Rückschritte im Bildungsbereich

Das Bildungsthema nimmt überhaupt viel Platz im Bericht ein. Der Ausschuss zeigt sich über die Rückschritte in der Inklusiven Bildung „zutiefst besorgt“. Mit dem Bildungsreformgesetz 2017 habe sich Österreich zum Teil gegen eine inklusive Bildung ausgesprochen. Im inklusiven Kindergarten- und Volksschulbereich gebe es „gravierende Kapazitätsengpässe“.

Durch eine mangelnde Finanzierung und Ressourcen würden „immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in segregierten Schulen eingeschult“. Deshalb empfiehlt das Gremium, den Ausbau des „segregierten Schulsystems unverzüglich zu beenden“ und die Ressourcen, einschließlich der Finanzierung, auf ein inklusives Schulsystem umzustellen.

Darüber hinaus sollte eine landesweite Strategie für inklusive Bildung, die alle Bildungsebenen umfasst, entwickelt werden. Für Kinder mit Behinderungen sollte es einen einklagbaren Rechtsanspruch auf den Besuch einer inklusiven Bildungseinrichtungen geben. Zudem müsse die Österreichische Gebärdensprache im Bildungssystem anerkannt werden.

Barrierefreiheit weiterhin nicht gegeben

Der Ausschuss stößt sich in seinem Bericht auch an einer Passage im Strafgesetzbuch. Konkret geht es darum, dass „eine ernste Gefahr […], daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“, als ein Grund für den Schwangerschaftsabbruch anerkennt werden. Es wird empfohlen, die „zulässigen Gründe ohne Bezugnahme auf die Beeinträchtigungen des Kindes zu definieren“, so der Bericht.

Eine Frau schiebt eine Rollstuhlfahrerin auf dem Gehsteig
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Menschen mit Behinderungen sind täglich mit Hürden konfrontiert – auch in Österreich

Erneut rückte die mangelnde Barrierefreiheit in den Fokus der Prüfung. Es gebe einen Rückschritt bei den Standards für den Bau von barrierefreien Wohnungen, so die Fachleute. Dadurch entstünden neben den bisherigen Hindernissen neue Herausforderungen für ein unabhängiges Leben für Menschen mit Behinderungen. Auch dass im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel verbindliche Fristen für einen barrierefreien Zugang fehlen, sieht der Ausschuss mit Besorgnis.

Kritisch wird angemerkt, dass Menschen mit Behinderungen im Bereich des Katastrophenschutzes kaum einbezogen werden. Deshalb fehle es an inklusiven und barrierefreien Maßnahmen, etwa was die Kommunikation an die Bevölkerung betrifft. Österreich müsse alles tun, damit auch Menschen mit Behinderungen Zugang zu Warnsystemen, Unterkünften und Transportmitteln haben. Im nationalen Aktionsplan ist die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen vorgesehen. Als Frist zur Umsetzung hat man sich 2022 bis 2030 vorgegeben.

Viele Baustellen warten auf Fertigstellung

Mit Bezug auf den BRK-Artikel, wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden darf, nimmt der Ausschuss das Verbot von Netzbetten zwar zur Kenntnis. Allerdings verweisen die Fachleute auf jene Praktiken, die weiterhin rechtlich zulässig sind, etwa die Isolation sowie die körperliche und chemische Fixierung, die insbesondere bei Menschen mit psychosozialen oder geistigen Behinderungen zum Einsatz kommen. Im Gegensatz ortet der Ausschuss „unzureichende“ Unterstützungsmaßnahmen für diese Personen.

Zudem fordert der Ausschuss ein gesetzliches Verbot von medizinisch nicht notwendigen Behandlungen an den Geschlechtsmerkmalen von intergeschlechtliche Kindern. Schon vor drei Jahren forderte die UNO Österreich auf, diese Eingriffe an Kindern zu verbieten. Derzeit sind die Behandlungen ohne Einwilligung der Betroffenen möglich. 2021 wurde eine entsprechende ÖVP-Grünen-Entschließung zwar mehrheitlich beschlossen, Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sicherte den Schutz zu, umgesetzt wurde bisher allerdings nichts.

Angemerkt wird auch, dass es an Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern mangelt. Das betrifft sowohl Behördengänge als auch die Gerichte. Österreich müsse sicherstellen, dass Personen mit Behinderungen durch den Mangel nicht in ihren Rechten benachteiligt werden. Nachholbedarf gibt es auch bei der Flüchtlingsbetreuung, so die Fachleute. Kritisiert wird außerdem, dass die Prostitutionsgesetze in den Ländern eine abschreckende Wirkung für die Sexualbegleitung von Menschen mit Behinderungen hätten.

„Schonfrist ist vorbei“

Tobias Buchner vom Unabhängigen Monitoringsusschuss, der die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Österreich kontrolliert, sieht sich in der Kritik durch den UNO-Bericht klar bestätigt. In den Handlungsempfehlungen werde „unüblich scharfe“ Kritik an den Bemühungen Österreichs geübt, sagte er.

Die Schärfe und die Präzision der Empfehlungen, was Österreich jetzt tun muss, „hat uns überrascht, auch wenn wir das natürlich begrüßen“. Gegenüber den Handlungsempfehlungen von 2013 zeige der aktuelle Bericht eine „ganz andere Tonalität“. Das Dokument sei wesentlich detaillierter und etwa doppelt so lang wie 2013, auch würden „wesentlich detaillierter Maßnahmen angeführt, was zu tun ist“.

Weiter Versäumnisse im Behindertenbereich

Nach der im August erfolgten Staatenprüfung zur Umsetzung der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehen NGOs sowie die Volksanwaltschaft Bund, Länder und Gemeinden gefordert, Versäumnisse aufzuholen.

„Der Fachausschuss hat sich auf Basis der Berichte, unter anderem vom Monitoringausschuss, einen klaren Überblick verschafft und hat sich hier sehr, sehr konkrete Schritte überlegt, die aus unserer Ansicht nach auch ins Schwarze treffen“, sagte Buchner. Während 2013 auch noch „einige lobende Kommentare“ dabei gewesen seien, „so ist hier die Message: ‚Die Schonfrist ist vorbei‘“.

Rasche Umsetzung gefordert

Die Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen ÖZIV forderte in einer Stellungnahme „mehr Tempo“ bei der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention. Die Handlungsempfehlungen des Fachausschusses würden „die großen Versäumnisse“ Österreichs aufzeigen, sagte Präsident Rudolf Kravanja. Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrates, sieht den „enormen Handlungsbedarf“ bestätigt. Die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei auch 15 Jahre nach deren Ratifizierung noch immer nicht vollumfänglich umgesetzt.

Der Verein VertretungsNetz, der im August ebenfalls bei der Prüfung in Genf dabei war, sprach von einem „beschämenden Fazit“ und sieht einen „klaren Auftrag“ an die österreichische Politik. Die Organisation, die sich für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung einsetzt, verwies darauf, dass im Abschlussbericht die „Passivität der Länder“ besonders hervorgehoben worden sei.

Grüne spielen Ball an Länder

Die Grünen betonten in einer Aussendung, dass einige wichtige Projekte in den vergangenen Jahren bereits umgesetzt worden seien. So etwa im Bereich des inklusiven Arbeitsmarktes. Jugendliche mit einer Behinderung unter 25 Jahren sollen nämlich nicht mehr automatisch für arbeitsunfähig erklärt werden können. Viel zu tun gebe es beim Thema inklusive Bildung. „In den Sonderschulen stecken derzeit enorme Ressourcen und viel großartige Expertise“, die in die Regelschulen und inklusiven Klassen überführt werden müssten, so Bildungssprecherin Sibylle Hamann. Die Grüne Nationalratsabgeordnete Bedrana Ribo forderte indes die Bundesländer dazu auf, „ihre Hausaufgaben zu machen“.

NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler sprach in einer Aussendung von einem „vernichtenden Zeugnis“, das aber nicht überraschend sei. „Wenn eine Bundesregierung immer nur schön und viel redet, aber nichts tut, ändert sich eben nichts, zumindest nicht zum Besseren.“ „Ganz besonders schlimm“ sei, dass es im Bereich Bildung nicht nur Stillstand, „sondern sogar Rückschritte gibt“, so Fiedler.