Schüler mit Federpennal
ORF/Ákos Heves
Nach Aus für Erleichterungen

Höchststand bei Sitzenbleibern

Der Wegfall von pandemiebedingten Erleichterungen hat im Vorjahr zu einem Zehnjahreshöchststand bei Sitzenbleiberinnen und Sitzenbleibern an den Schulen geführt. Insgesamt wiederholten im Schuljahr 2022/23 rund 25.100 Schülerinnen und Schüler eine Schulstufe, zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von NEOS durch ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek.

In den Jahren davor waren es zwischen 17.600 und 21.700, bevor die Zahl der Klassenwiederholungen 2020/21 auf 11.900 absackte. Der Grund für den damaligen Rückgang: 2019/20 und 2020/21 galten wegen der Beeinträchtigung des Unterrichts durch Lockdowns, Distanzunterricht und weitere Auflagen deutliche Erleichterungen.

Mit einem einzigen Fünfer im Zeugnis durfte man automatisch ins nächste Schuljahr aufsteigen. Ausgeschlossen war das nur, wenn das betreffende Fach schon im Vorjahr negativ beurteilt wurde. Sogar bei zwei oder mehr Fünfern konnte die Lehrerkonferenz einen Aufstieg zulassen (auch in diesem Fall aber nur, wenn diese Fächer im Jahr davor positiv abgeschlossen wurden). Weitere Folge: Auch wer grundsätzlich nicht aufsteigen durfte, dann aber alle Nachprüfungen bis auf eine schaffte, durfte automatisch in die nächste Klasse.

Zweimaliger Anstieg als „Nachzieheffekt“

Diese Regeln sorgten dafür, dass vor allem im Schuljahr 2020/21 deutlich weniger Schülerinnen und Schüler eine Klasse wiederholen mussten. Im Jahr darauf stieg die Zahl der Sitzenbleiber auf 19.100 und zuletzt auf 25.100. Naheliegendste Erklärung für das zweimalige starke Ansteigen nach dem zuvor erfolgten Einbruch: Jene Kinder und Jugendlichen, die aufgrund der liberaleren Regeln aufsteigen durften, scheiterten in den Jahren darauf, holten das Sitzenbleiben also quasi nach.

Anteil in BMS am höchsten

2022/23 mussten immerhin 2,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Klasse wiederholen. Am niedrigsten war die Quote an den Volksschulen (0,6 Prozent), am höchsten an diversen berufsbildenden mittleren Schulen mit Werten von über neun Prozent. Trotz der vergleichsweise niedrigen Quote gab es an Volksschulen aber immerhin mehr als 1.900 Sitzenbleiber.

Grafik zum Anstieg der Sitzengebliebenen
Grafik: APA/ORF; Quelle: BMBWF

Im Bundesländervergleich wiederholten 2022/23 (über alle Schularten gerechnet) anteilsmäßig in Wien (3,5 Prozent) die meisten Schüler. Am wenigsten waren es in Kärnten und in Tirol (je 1,8 Prozent) und der Steiermark (1,9 Prozent).

Stress und Stigma

Das Wiederholen von Schulklassen ist im heimischen Schulsystem stark verankert, auch wenn das Stigma, das damit in der breiten Öffentlichkeit verbunden wurde, in den letzten Jahrzehnten deutlich schwächer wurde. Für die Betroffenen bedeutet es, sich in eine neue Klassengemeinschaft einfinden zu müssen – abgesehen vom Stress, den die meistens vorangehende Nachprüfung für Schüler und Eltern mit sich bringt.

Immer wieder gibt es Debatten über Sinn und Unsinn des Wiederholens – gerade auch, was den Lernfortschritt und die generelle Entwicklung betroffener Kinder und Jugendlicher betrifft. Einige Länder wie Finnland kennen ein Sitzenbleiben praktisch nicht – und wenn, kann es nur mit Zustimmung der Eltern erfolgen.

NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre forderte von Minister Polaschek mehr Ressourcen für frühe Lernhilfe: „Das Ziel im Schulsystem muss sein, dass Schülerinnen und Schüler während des Schuljahrs bei Lernschwierigkeiten unterstützt werden, und nicht erst im Nachhinein durch eine aufwendige Klassenwiederholung.“ Diese koste „Lebenszeit und Lernfreude“ und sei „auch für den Staat die teuerste aller Fördermaßnahmen“.