Allein in Darna werden bis zu 20.000 Tote befürchtet. „Ich befürchte, dass die Stadt aufgrund der großen Zahl von Leichen unter den Trümmern und im Wasser von einer Epidemie befallen wird“, sagte der Bürgermeister. „Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern. Ausgehend von den zerstörten Bezirken in der Stadt Darna können es 18.000 bis 20.000 Tote sein“, sagte Ghaiti dem arabischen Fernsehsender al-Arabija. Lutfi al-Misrati, Leiter eines Suchteams, sagte gegenüber al-Jazeera: „Wir benötigen Säcke für die Leichen.“
Das Sturmtief „Daniel“ hatte am Sonntag das nordafrikanische Land erfasst. Nahe Darna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der rund 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen zählenden Stadt wurden ins Meer gespült. Ganze Straßenzüge sind in meterhohem Schlamm versunken.
WMO: Großteil der Toten vermeidbar
Die Mehrzahl der Todesopfer bei den Überschwemmungen in Libyen hätten nach Ansicht der UNO unterdessen vermieden werden können. Dafür wären ein funktionierendes Warnsystem vor der drohenden Katastrophe sowie ein besseres Krisenmanagement notwendig gewesen, erklärte am Donnerstag die UNO-Weltwetterorganisation (WMO).
Wenn es in dem von jahrelangem Bürgerkrieg zerrütteten Land eine bessere Koordination gegeben hätte, dann hätten Warnungen ausgegeben und die Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden können, sagte WMO-Vertreter Petteri Taalas vor Journalisten. „Und wir hätten die meisten der menschlichen Opfer vermeiden können.“
Dramatische Lage in Darna
Alleine in der Stadt Darna in Libyen werden nach der schweren Flutkatastrophe bis zu 20.000 Tote befürchtet. Die Hoffnung auf Überlebende schwindet.
UNO will mit lokalen Behörden kooperieren
Zahlreiche Hilfsorganisationen kündigten mittlerweile ihre Hilfe an: Ein Notfallteam von Ärzte ohne Grenzen etwa soll am Donnerstag in Darna ankommen. Es bestehe aus Logistikern und medizinischem Personal, gab die Organisation auf Twitter (X) bekannt. Man bringe zudem Notfallausrüstung zur Behandlung von Verletzten und Leichensäcke für Libyens Roten Halbmond. Auch das Österreichische Rote Kreuz gab 150.000 Euro als Soforthilfe für die Krisenregionen in Nordafrika frei.
Derweil hat die Europäische Union ihr Katastrophenschutzverfahren aktiviert und koordiniert Hilfsangebote aus verschiedenen EU-Ländern. Auch die Vereinten Nationen haben ein Team im Land. Ein Sprecher des UNO-Generalsekretärs Antonio Guterres in New York sagte, man arbeite mit lokalen, nationalen und internationalen Partnern zusammen, „um den Menschen in den betroffenen Gebieten dringend benötigte humanitäre Hilfe zukommen zu lassen“. Libyen hatte ein internationales Hilfeersuchen gestellt.
Um die Verbreitung von Seuchen zu verhindern, gab die UNO am Donnerstag eine Soforthilfe in Höhe von zehn Millionen Dollar (9,3 Mio. Euro) frei.
Zehntausende Menschen obdachlos
Bilder aus dem Bürgerkriegsland mit rund sieben Millionen Einwohnern zeigen das Ausmaß der Schäden. Allein in Darna sind mehr als 30.000 Menschen obdachlos geworden, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) auf Twitter mitteilte. Rund 10.000 Menschen gelten als vermisst. Videos in sozialen Netzwerken zeigten Fahrzeugkolonnen, die Tote abtransportierten, auf anderen Aufnahmen trieben Leichen im Meer.
Extremwetter
Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen, klar ist laut Weltklimarat aber: Durch die Klimakrise werden Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen, Stürme und Hitze häufiger und intensiver. Das heißt: Niederschläge und Stürme werden stärker, Hitzewellen heißer und Dürren trockener.
Neben Darna sind auch andere Städte wie al-Baida, al-Mardsch, Susah und Schahat betroffen. „Wir brauchen einfach Leute, die die Situation verstehen – logistische Hilfe, Hunde, die Menschen riechen können und sie aus dem Boden holen. Wir brauchen einfach humanitäre Hilfe, Leute, die wirklich wissen, was sie tun“, sagte ein libyscher Arzt, der in einer Klinik nahe Darna arbeitet, dem britischen Sender BBC. „Daniel“, der zuvor auch in Griechenland gewütet hatte, erfasste Libyen am Sonntag.
Sorge um Geflüchtete
Die Sorge gelte auch den Hunderttausenden von Flüchtlingen und anderen Migranten aus mehr als 40 Ländern, für die Libyen das Sprungbrett nach Europa sei, berichtete die englischsprachige Zeitung „Arab News“ mit Sitz in Saudi-Arabien. Auch unter diesen Menschen dürfte es Opfer geben, die von den Überschwemmungen mitgerissen wurden, hieß es.
Derzeit kämpfen in Libyen zwei verfeindete Regierungen um die Macht. Im vom Unwetter betroffenen Osten befindet sich die Regierung von General Chalifa Haftar, im Westen gibt es die international anerkannte Regierung unter Premier Abdel Hamid Dbaiba. Zudem ringen in dem ölreichen Staat zahlreiche Milizen um Einfluss. Der Konflikt wird durch ausländische Mächte zusätzlich befeuert. Alle diplomatischen Bemühungen, den bis heute andauernden Bürgerkrieg friedlich beizulegen, scheiterten bisher. Die Regierung in Tripolis schickte trotz der politischen Situation Hilfskonvois nach Darna.