Marokkanische Einsatzkräfte im Einsatz nach dem verheerenden Erdbeben
AP/Europa Press/Fernando Sanchez
Erdbeben in Marokko

Internationale Hilfe weiter nur limitiert

Das von einem schweren Erdbeben getroffene Marokko hat bisher viele internationale Hilfsangebote abgelehnt. Nur Rettungsteams weniger Länder wurden ins Land gelassen. Am Donnerstag wurde ein geplanter Hilfstransport aus Deutschland abgesagt. Im Erdbebengebiet wird derweil vor einem ganz anderen Problem gewarnt.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) musste seinen für Donnerstag geplanten Flug mit Hilfsgütern nach Marokko eigenen Angaben zufolge kurzfristig absagen. „Aus Gründen, auf die wir und auch unsere Partner der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung keinen Einfluss haben, wurden kurzfristig neue Regularien und Vorschriften bekanntgegeben, die den Start des Flugzeugs am heutigen Tag unmöglich machen“, erklärte das DRK.

Nähere Angaben zu den Gründen der Absage machte das DRK nicht. Die marokkanische Regierung steht unter wachsendem Druck, mehr internationale Hilfe anzunehmen. Bisher hat das nordafrikanische Land offiziell nur Unterstützung aus vier Ländern – Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – akzeptiert.

Rettungskräfte können eine Last sein

„Es ist wichtig, dass in Zeiten wie diesen Hilfe allein nach dem Maß der Not geleistet wird und humanitäre Arbeit von allen Seiten unterstützt wird“, sagte eine DRK-Sprecherin. In vielen Bergdörfern der Katastrophengebiete in Marokko mangelt es auch Tage nach dem schweren Erdbeben weiter an notwendigen Dingen zum Überleben.

Ansicht von Imi N’Tala nach dem schweren Erdbeben in Marokko
Reuters/Nacho Doce
Viele Bergdörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht

Eine mögliche Erklärung für die Zurückhaltung Marokkos gab Christoph Johnen vom DRK in der „Süddeutschen Zeitung“: „Viele Länder haben schlechte Erfahrungen mit internationaler Hilfe gemacht.“ Sie bringe für das betroffene Land immer auch eine Last mit sich. Manche Länder schickten zum Beispiel Hilfsgüter, die so nicht angefordert und auch nicht gebraucht würden. Deswegen sei es denkbar, dass sich Marokko auf Hilfskräfte an Ort und Stelle verlasse, die sich in der Region schon auskennen und die Bedürfnisse besser einschätzen können.

Differenzen mit Frankreich?

Nicht nur in Deutschland wundert man sich über die nicht angenommene Hilfe. Insbesondere Frankreich spekuliert darüber, ob Marokko die Hilfe aufgrund politischer Differenzen ablehnt. Der Maghreb-Experte Pierre Vermeren äußerte im französischen Fernsehen die Vermutung, dass Marokko damit seine Unabhängigkeit von Frankreich zeigen wolle. Von 1912 bis 1956 war Marokko französisches Protektorat, das Land wurde unter den Einfluss Frankreichs gestellt und den Bewohnerinnen und Bewohnern die französische Sprache auferlegt.

Zerstörte Gebäude in Amizmiz, einem Vorort von Marrakesch
AP/The Yomiuri Shimbun/Hidenori Nagai
100.000 Kinder sind laut UNICEF von der Katastrophe betroffen

Der französische Präsident Emmanuel Macron erntete Kritik für eine Videobotschaft, in der er sich „direkt an die Marokkanerinnen und Marokkaner“ wandte, um seine Solidarität zu bekunden. Diese wiederum machten ihrem Unmut teils in sozialen Netzwerken Luft und erklärten, solch eine Ansprache könne nur von Marokkos König Mohammed VI. selbst kommen.

Bis heute schwankt die Beziehung der beiden Länder zwischen historisch gewachsenen Differenzen und Verbundenheit. Mohammed VI. hielt sich während des Erdbebens in Paris auf. Er war laut der Zeitung „Le Parisien“ am 1. September aus medizinischen Gründen in die französische Hauptstadt gereist, wo er ein 1.600 Quadratmeter großes Stadthaus auf dem Champ-de-Mars am Fuße des Eiffelturms besitzt.

Verzweifelte Suche nach Überlebenden

Im Erdbebengebiet in Marokko ist die Zahl der bestätigten Todesfälle auf 2.946 gestiegen. Das teilte das Innenministerium des nordafrikanischen Landes mit. Fast alle Todesopfer seien bereits beigesetzt worden.

Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin glaubt nicht, dass politische Gründe hinter der Nichtannahme französischer Hilfe stecken. Marokko verfüge über einen guten Zivilschutz und sei in der Lage, der Situation selber Herr zu werden. „Das Land kann nur allein bestimmen, welche Hilfe und in welchem Zeitraum es sie braucht“, sagte die französische Außenministerin Catherine Colonna. Frankreich vertraue Marokko, „die Hilfe so zu organisieren, wie es am besten ist“.

Hilfsprogramm angekündigt

In Marokko wurde indes ein erstes Hilfsprogramm für die Menschen im Erdbebengebiet angekündigt. Wie das Büro des Königs am Donnerstag nach einer Sitzung unter Vorsitz von Mohammed VI. mitteilte, sollen damit die Bewohnerinnen und Bewohner von rund 50.000 ganz oder teilweise zerstörten Gebäuden unterstützt werden.

Sie sollen in provisorischen Unterkünften untergebracht werden, die vor Kälte und schlechtem Wetter schützen, oder in Aufnahmezentren, die „mit allen notwendigen Annehmlichkeiten ausgestattet sind“. Demnach wiesen die marokkanischen Behörden auch Soforthilfen von 30.000 Dirhams (rund 2.750 Euro) für von der Erdbebenkatastrophe betroffene Haushalte an. Dem Büro des Königs zufolge sollen für komplett eingestürzte Gebäude rund 12.800 Euro bewilligt werden und rund 7.300 Euro für den Wiederaufbau teilweise zerstörter Häuser.

Viele Bergdörfer abgeschnitten

Das genaue Ausmaß der Katastrophe war auch am Donnerstag noch nicht absehbar. Noch immer haben aber Helfer nicht alle Dörfer im schwer getroffenen Atlasgebirge erreichen können. Rettungskräfte werfen daher Hilfspakete aus Flugzeugen ab. Um die Lieferungen zu beschleunigen, organisieren zunehmend junge Freiwillige aus dem ganzen Land die Verteilung von Hilfsgütern für viele Berggemeinden, denen das Nötigste fehlt.

Nach Angaben des marokkanischen Innenministeriums wurden bisher 2.946 Tote und 5.674 Verletzte gezählt. Das genaue Ausmaß der Katastrophe war aber auch am Donnerstag nicht absehbar. Es wurde befürchtet, dass beim Vorrücken der Helfer in entlegene Bergdörfer weitere Opfer gefunden werden. Die Hoffnung, Überlebende zu finden, ist inzwischen verschwindend gering.

Grafik zum Erdbeben in Marokko
Grafik: APA/ORF; Quelle: USGS

Das Epizentrum des Bebens lag rund 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch in der Provinz Al-Haouz. Viele Dörfer in den umliegenden Bergen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Immer noch werden Tote aus den Trümmern geborgen. Die Zerstörungen seien gewaltig, die Menschen in Panik. Viele Familien haben Angst vor Nachbeben und harren mit ihren Kindern im Freien aus. Nach Informationen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) sind etwa 100.000 Kinder von der Katastrophe betroffen.

Warnung vor Menschenhändlern

Unterdessen warnte die marokkanische Nachrichtenseite Hespress vor der Gefahr des Menschenhandels mit jungen Mädchen, die zu Opfern des Erdbebens geworden sind. In sozialen Netzwerken kursierten Beiträge, in denen marokkanische Männer die Not auszunutzen versuchten und vorschlügen, minderjährige Erdbebenopfer zu heiraten, um sie „vor ihren Tragödien zu bewahren“, berichtete Hespress.

Derweil koordinieren laut dem britischen Sender BBC immer mehr junge Aktivisten die Verteilung von Hilfsgütern für die notleidenden Menschen in den schwer betroffenen und abgelegenen Bergdörfern des Landes. Milch, Windeln und Bettzeug würden in Menschenketten weitergereicht und in Lastwagen verladen, deren Ladung für die Dörfer im Atlasgebirge bestimmt sei, hieß es. In vielen Gebieten würden die Bedürftigen so schneller versorgt als über offizielle Hilfswege.

Die Bemühungen, die Straßen von Felsbrocken zu befreien, gingen wegen der andauernden Gefahr durch Steinschläge in einigen Gebieten nur langsam voran. Es seien zwar schon Mengen an Decken und Lebensmitteln in die Katastrophenregion geliefert worden, viele der isolierten Menschen bitten die Behörden und Helfer jedoch um Zelte zum Schutz vor der bitteren Kälte nachts.