Plenarsitzung im Landtag von Thüringen
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Mit AfD zum Ziel

Empörung nach „Tabubruch“ in Thüringen

Im deutschen Bundesland Thüringen steht seit Donnerstag politisch kein Stein mehr auf dem anderen. Bei der Landtagssitzung überstimmten CDU und FDP gemeinsam mit der rechtspopulistischen AfD die rot-rot-grüne Minderheitsregierung, um ein Gesetz durchzubringen. Seither gehen die Wogen hoch: Die „Brandmauer“ der CDU gegen rechts sei nun eingestürzt.

Mühsam war es vor drei Jahren für den Thüringer Landtag, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Bei der vorausgehenden Wahl verlor die bis dahin regierende rot-rot-grüne Koalition aus Linken, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ihre Mehrheit, auch die Oppositionsparteien brachten keine Mehrheit zusammen. Damals verweigerten CDU und FDP noch eine Kooperation mit der Thüringer AfD.

Nur wenige Tage war schließlich der FDP-Mann Thomas Kemmerich Thüringens Ministerpräsident, danach übernahm wieder Bodo Ramelow (Die Linke). Er regiert seither eine Minderheitskoalition mit Unterstützung der CDU.

Doch am Donnerstag machten die Konservativen der rot-rot-grünen Landesregierung einen Strich durch die Rechnung. Die CDU versammelte die Stimmen von AfD, FDP und einigen Fraktionslosen hinter sich und setzte eine Senkung der Grunderwerbsteuer durch. Die Steuer ist mit 6,5 Prozent in Deutschland überdurchschnittlich hoch und soll nun auf fünf Prozent sinken. Beschlossen wurde die Senkung mit 46 zu 42 Stimmen.

Höcke am rechtesten Rand

Dass ausgerechnet mit der Thüringer AfD paktiert wurde, ließ die Wogen hochgehen. Die Partei von Björn Höcke ist einer der radikalsten Verbände der AfD. Der Verfassungsschutz stuft ihn als erwiesen rechtsextrem ein und beobachtet ihn. Mit einer Klage gegen die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes vor dem Kölner Verwaltungsgericht ist die AfD vorerst gescheitert.

Der Fraktionsvorsitzende der AfD Thüringen, Bjoern Hoecke
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Höcke wird als rechtsextrem eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet

2015 hatte Höcke den „Flügel“ gegründet, eine Rechtsaußen-Strömung innerhalb der Partei mit engen Kontakten zu Neonazis. Formal wurde der „Flügel“ wieder aufgelöst, der Verfassungsschutz geht aber davon aus, dass die Ideologie in der Thüringer Landespartei weiterlebt und noch an Gewicht gewonnen hat. Die Normalisierung einer Partei mit womöglich verfassungsfeindlichen Tendenzen ist die Hauptsorge von Kritikern.

FDP spielt Ball weiter

Und die gibt es nun nach der Abstimmung zuhauf. Ministerpräsident Ramelow sagte im Deutschlandfunk, es sei in seinem langen parlamentarischen Leben der schwärzeste Tag gewesen. Die CDU müsse sich fragen, ob es ihr auf Inhalte ankomme oder ob sie am Ende die Türe öffne, damit die AfD von einer bürgerlichen Mehrheit sprechen könne. Von SPD und Grünen kam harsche Kritik, von einem Tabubruch und einer eingestürzten Brandmauer war mehrmals die Rede.

Auch FDP-Politiker gingen auf Distanz zu den Liberalen in Thüringen, die ebenfalls mit CDU und AfD für die Steuersenkung stimmten. Dafür gebe es „keinerlei Unterstützung der Bundespartei“, sagte die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem „Spiegel“.

FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Augsburger Allgemeinen“, der Gesetzesbeschluss mit den Stimmen der AfD sei „kein gutes Signal“. Er wies allerdings eine Mitverantwortung seiner Partei zurück. „Es war ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion“, sagte Lindner. „Deshalb ist das jetzt die Verantwortung der CDU.“

CDU sieht keinen „Pakt mit dem Teufel“

Die CDU verteidigte hingegen ihr Vorgehen in Thüringen. Es sei infam, der CDU eine Nähe zur AfD zu unterstellen, sagte CDU-Vizechefin Karin Prien im Deutschlandfunk. Es habe im Erfurter Landtag keinerlei Absprachen mit der AfD gegeben. Die CDU müsse in der Lage sein, konstruktive Oppositionsarbeit zu leisten – ohne sich dafür gleich Vorwürfe anhören zu müssen. Ähnlich hatte sich zuvor auch CDU-Vorsitzende Friedrich Merz geäußert.

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Die Linke)
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Ramelow sprach vom schwärzesten Tag seine Politkarriere

Thüringens CDU-Landes- und -Fraktionschef Mario Voigt bekräftigte, es sei bei der Steuersenkung um Inhalte und Familienpolitik gegangen. „Wir arbeiten nicht zusammen mit dieser rechtsextremen Gruppe um Björn Höcke“, sagte Voigt in den ARD-„Tagesthemen“. Vorwürfe von Ramelow, die CDU sei bei der Abstimmung einen „Pakt mit dem Teufel“ eingegangen, bezeichnete Voigt als „absoluten Unsinn“.

Die Minderheitsregierung habe „hat mehrere Beschlüsse in diesem Parlament nur mit den Stimmen der AfD hinbekommen und hat dadurch die Mehrheit erhalten. Und das zeigt, dass diese Doppelstandards nicht funktionieren“, so Voigt.

Vorbote für Bund?

Die SPD ging davon aus, dass die Abstimmung von Beginn an mit den Stimmen der AfD geplant worden sei, und sah das als Vorboten für den Bund. „Friedrich Merz hat immer wieder gesagt, es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Heute hat man sich gemeinsam auf den Weg gemacht“, so der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in der ARD.

Der Kochef der AfD, Tino Chrupalla, sah am Freitag in der Abstimmung einen normalen demokratischen Prozess. „Wer Brandmauern aufbaut, (…) der ist Gefangener seiner eigenen Ideologie“, sagte er. „Wir Ostdeutschen zum Beispiel wissen, wie man mit Mauern umgeht. Wir werden sie einreißen. Und das war erst der Anfang.“

In aktuellen Umfragen stehen Union und AfD derzeit an der Spitze. In dem am Freitag veröffentlichten neuen ZDF-Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen legt die AfD um einen Prozentpunkt auf 21 Prozent zu, nach Senderangaben ein Höchstwert. Stärkste Kraft ist weiter die Union CDU/CSU mit unverändert 26 Prozent, die SPD kommt auf 17 Prozent, die Grünen auf 16. Die FDP liegt bei sechs, die Linke auf fünf. Die nächste Bundestagswahl dürfte im Herbst 2025 stattfinden.