Auch Tage nach der weitläufigen Zerstörung der Stadt seien viele internationale Hilfsorganisationen weiterhin nicht am Unglücksort angekommen, wie das Onlineportal Middleeastmonitor (MEMO) am Freitag berichtete. Es wurde bisher größtenteils regionalen Hilfsorganisationen und Bürgerinnen und Bürgern der Stadt überlassen, „die Rettungsmaßnahmen zu leiten, medizinische Hilfe zu leisten und Nahrungsmittel und Trinkwasser zu verteilen“.
Mit der Räumung der Stadt wolle man Platz zur Bergung der Opfer des Wirbelsturms schaffen, wie die türkische Agentur Anadolu Ajansi aus einer Erklärung des Innenministeriums der international nicht anerkannten ostlibyschen Regierung zitierte.
„Finden ständig weitere Leichen“
Infolge der Flutkatastrophe ist in der Stadt die gesamte Versorgung zusammengebrochen. „Das Telefonnetz, die Elektrizitätsversorgung und die Straßen in der gesamten Region sind unterspült und nicht befahrbar“, sagte Thomas Claes, Libyen-Direktor der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Tausende Menschen weiter vermisst
In den von der Unwetter- und Flutkatastrophe betroffenen Gebieten Libyens bleibt die humanitäre Lage nach Angaben der Hilfskräfte weiter „katastrophal“. In Darna gibt es kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Tausende Menschen werden in der Hafenstadt vermisst.
Die Fluten haben Zufahrtsstraßen weggeschwemmt, wichtige Brücken sind unter Schlammmassen begraben. Eine zusätzliche Herausforderung für die Rettungskräfte sind schließlich auch Relikte des seit Jahren im Land tobenden Bürgerkrieges. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (ICRC) verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die Gefahr durch Blindgänger und verlassene Munitionslager.
Weiter nicht alle betroffenen Gebiete erreicht
Auch Claes bestätigte Angaben, wonach Rettungsteams und Versorgungskonvois aus den benachbarten Städten weiterhin kaum nach Darna kämen. In Darna seien die Helferinnen und Helfer dann vor allem damit beschäftigt, die vielen Leichen zu bergen: „Sie finden ständig weitere Tote, die vom Meer an den Strand gespült werden oder zwischen Trümmern in der Stadt entdeckt werden.“
Wie der libysche Rote Halbmond am Donnerstagabend erklärte, sei die Zahl der Todesopfer in Darna zuletzt auf 11.300 gestiegen. Bei den Zahlen handle es sich allerdings um Schätzungen. Da weiterhin nicht alle Stadtgebiete erreicht worden seien, wird gleichzeitig mit einem deutlichen Anstieg der genannten Zahlen gerechnet.
„Katastrophe spielt sich immer noch ab“
Die Katastrophe spiele sich immer noch ab, sagte dazu Libyens ICRC-Sprecher Baschir Omar. Angesichts der unübersichtlichen Lage sei es weiter zu früh, um verlässliche Angaben zu Toten und Verletzten zu machen.
Das gilt offenbar auch für andere, vom Sturm „Daniel“ zu Wochenbeginn getroffenen Gebiete im Osten Libyens. Auch Teile der Städte Bengasi, Susah, al-Baida und al-Mardsch wurden beim Durchzug von „Daniel“, der zuvor bereits in Griechenland eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatte, unter Wasser gesetzt. Insgesamt sind fünf libysche Provinzen betroffen, wobei in manchen Orten noch immer Menschen auf Rettung warten.
Stadt zu einem Drittel zerstört
Dazu kamen zuletzt Befürchtungen, wonach ein weiterer Staudamm östlich von Bengasi einbrechen könnte. Die in Bengasi sitzende ostlibysche Regierung habe laut dpa-Angaben zuletzt zwar versichert, dass die Lage an den beiden Dämmen al-Katra und Wadi Dschasa unter Kontrolle sei. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es aber nicht.
In Darna hatte nach dem Sturm „Daniel“ der Kollaps zweier Staudämme, die mutmaßlich über Jahre nicht gewartet wurden, zu den schweren Überschwemmungen geführt. Die Auswertung von neuen Satellitenbildern legt nun nahe, dass rund ein Drittel der Stadt nahezu vollständig zerstört wurde. „Ganze Wohnviertel sind von der Karte verschwunden“, so UNO-Nothilfeoordinator Martin Griffiths.
„Die Bedingungen sind schwierig, da Darna durch die Überschwemmungen in zwei Teile, Ost und West, geteilt wurde“, teilte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mit. „Es ist dringend eine Koordination der Hilfe nötig.“ Es gebe jede Menge Freiwillige, „aber es ist zu viel, es wird chaotisch“.
IOM schätzt Zahl der Obdachlosen auf 30.000
Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seien in Darna 30.000 Menschen obdachlos geworden. So wie andere Organisationen legt auch IOM eine chaotische Situation nahe. Unklar sei, ob bzw. wie viele der rund 10.000 Vermissten bereits tot oder lebend gefunden worden seien.
Angesichts der Lage in den Überschwemmungsgebieten in Libyen, aber auch im Erdbebengebiet von Marokko warnen humanitäre Organisation unterdessen davor, Todesopfer überhastet in Massengräbern zu bestatten. Es sei auch wichtig, an die Angehörigen zu denken.
Es gibt nach Expertenangaben keine Hinweise darauf, dass nicht beerdigte Todesopfer zur Verbreitung von Epidemien beitragen, sagte die Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Harris, am Freitag in Genf.
„Lokale Behörden und Gemeinden können unter enormem Druck stehen, die Toten schnell zu beerdigen“, so Bilal Sabluh vom ICRC. Dessen Angaben zufolge habe ICRC Tausende Leichensäcke und ausgebildete Experten in Region geschickt – es gelte, die Bevölkerung bei dieser schwierigen Aufgabe bestmöglich zu unterstützen.