Blick auf die slowakische und ukrainische Flagge durch ein Fenster des Präsidentenpalastes
IMAGO/Vaclav Salek
Westen vs. Russland

Wahl bringt Slowakei an Scheideweg

Nach Monaten politischer Instabilität finden am 30. September in der Slowakei vorgezogene Parlamentswahlen statt. Für Aufmerksamkeit sorgt diese Wahl nicht nur im Inland. Denn der Ausgang der Wahl könnte sich auf die gesamte EU, NATO und deren Ukraine-Politik auswirken, will doch der frühere Premier Robert Fico von der sozialdemokratischen Slovenska Socialna Demokracia (Smer) aus prorussischen und antiwestlichen Tönen politisches Kapital schlagen. Seine Partei führt derzeit in den Umfragen.

Nicht Russland, sondern die Ukraine und der Westen seien schuld an dem Krieg in der Ukraine, ist Ficos Narrativ zum Ukraine-Krieg. Er kritisierte im Wahlkampf die westlichen Sanktionen gegen Russland und kündigte an, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu stoppen. Dabei war die Slowakei das erste Land, das der Ukraine Luftabwehrraketen und Kampfjets lieferte.

Mit diesen Aussagen fordert der Ex-Premier die Einheit der EU und der NATO in Bezug auf die Ukraine-Politik heraus. Bisher stellte sich nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gegen die Ukraine-Position von EU und NATO. Die Wahl werde nicht nur darüber entscheiden, wer das 5,4-Millionen-Einwohner-Land regiert, sondern auch, ob der Widerstand gegen die Hilfe für die Ukraine, der sich derzeit auf die politischen Ränder in Europa beschränke, in der breiten Masse durchsetzen könne, analysiert die „New York Times“ („NYT“).

Prorussisches vs. proeuropäisches Lager

In der Slowakei stehen zwei Lager einander gegenüber. Auf der einen Seite sind nationalistische Gruppierungen zu finden, unterstützt von Ficos Smer, die dem Westen die Schuld am Krieg geben, weil die Sicherheitsinteressen Russlands missachtet worden seien. Auf der anderen Seite steht die liberale Partei Progresivne Slovensko (PS) unter dem Vorsitz von Michal Simecka, derzeit an zweiter Stelle in den Umfragen, die amtierende interimistische Beamtenregierung und einige kleinere Parteien. Sie verurteilen den Einmarsch Russlands in die Ukraine als Bruch des Völkerrechts.

Robert Fico
Reuters/Radovan Stoklasa
Robert Fico will mit prorussischer und nationalistischer Rhetorik wieder an die Macht kommen

Umfragen zufolge dürfte das nationalistische Lager stärker geworden sein. 51 Prozent der Slowaken und Slowakinnen halten den Westen oder die Ukraine für den Krieg in der Ukraine verantwortlich, geht aus einer im Frühjahr durch die NGO GlOBSEC durchgeführten Umfrage hervor. Auch die Zustimmung, der Ukraine finanzielle Hilfe zur Verfügung zu stellen, ist laut Eurobarometer vom Juni mit 54 Prozent in der Slowakei wesentlich geringer als im EU-Schnitt mit 75 Prozent. Einer Umfrage der Tageszeitung „Dennik N“ zufolge hätten 30 Prozent der Slowaken und Slowakinnen keine Einwände, wieder in den russischen Einflussbereich zu kommen.

Fico verspricht Ordnung und Autorität

In dieses politische Vakuum setzte sich Fico mit seiner nationalistischen und populistischen Rhetorik. Sein Angebot von Autorität und dem Versprechen nach Ordnung sowie der prorussische Kurs fallen in der Slowakei nach den Jahren der Instabilität auf fruchtbaren Boden. Zwischen 2020 und 2023 waren proeuropäische Regierungen an der Macht. Diese Zeit war allerdings geprägt von häufigen Wechseln von Regierungsmitgliedern, Chaos und Uneinigkeit. Seit Mai wird die Slowakei nun interimistisch von einer Beamtenregierung geführt.

Wahlkampf in Slowakei wird aggressiver

In der Slowakei wird Ende September vorzeitig ein neues Parlament gewählt. Der Wahlkampf ist in den letzten Wochen aggressiver geworden und gipfelte zuletzt in einer Prügelei auf offener Straße zwischen einem ehemaligen Premierminister und einem ehemaligen Innenminister.

Fico hatte 2018 in seiner dritten Amtszeit vorzeitig abtreten müssen – als Folge der Ermordung des Investigativjournalisten Jan Kuciak. Dieser hatte über Korruption und illegale Machenschaften in Verbindung mit Ficos Smer-Partei recherchiert. Von den Konsequenzen ist inzwischen wenig zu bemerken. Der damalige Polizeipräsident Tibor Gaspar musste 2018 ebenfalls gehen, ist für die bevorstehende Wahl aber ein wichtiger Smer-Kandidat obwohl er im August wegen des Vorwurfs einer Korruptionsstraftat noch vorübergehend festgenommen worden war.

Russland will „Europa spalten“

Russland profitiert von dieser Stimmungslage und trug Beobachtern zufolge auch seinen Anteil dazu bei. „Die Slowakei ist eine große Erfolgsgeschichte für seine (Russlands, Anm.) Propaganda. Es hat hart und sehr erfolgreich daran gearbeitet, mein Land als Keil zu missbrauchen, um Europa zu spalten“, sagte der ehemalige slowakische Außenminister Rastislav Kacer gegenüber der „NYT“.

Unterstützung erhielten diese Bemühungen etwa durch die verbreitete antiamerikanische Nachrichtenseite Hlavne Spravy und die Bikergruppe Brat za Brata (Bruder für Bruder), die der vom Kreml unterstützten Motorradgang der Nachtwölfe nahesteht. Mitglieder der Brat za Brata versuchen Medienberichten zufolge immer wieder, Kritiker Russlands gezielt einzuschüchtern. Zudem setzt Smer weniger auf die traditionellen Massenmedien, sondern verbreitet seine Botschaften vor allem via Facebook, Instagram und Internetmedien, wo Verschwörungstheorien und prorussische Sichtweisen dominieren.

Slowakei als möglicher „Unruhestifter“

Offen ist allerdings, wie Fico seine im Wahlkampf getätigten Aussagen und Ankündigungen in Bezug auf die Ukraine im Fall eines Wahlsiegs tatsächlich umsetzen würde. Schon während seiner letzten drei Amtszeiten habe Fico einige Wahlkampfaussagen zurückgenommen, analysiert die Slowakei-Expertin Alena Kudzko für den Thinktank Carnegie Europe. Es bestehe die Möglichkeit, dass Fico einen pragmatischen Kurs verfolge und sich in der Außenpolitik dem europäischen Mainstream anschließe, solange seine innenpolitischen Interessen gewahrt blieben.

Was bleibt, ist, dass „die slowakische Regierung zu einem Unruhestifter werden könnte, der bereit ist, sein Veto einzulegen, Diskussionen in die Länge zu ziehen und außenpolitische Entscheidungen (…) tiefgreifend zu behindern (…)“. Das sei vor allem ein Thema, wenn die künftige Regierungskoalition auf die Stimmen nationalistischer und rechter Parteien angewiesen sein sollte.

Außenpolitik könnte als Verhandlungsmasse herhalten für mehr Spielraum für Reformen der Justiz, Medien und zivilgesellschaftlichen Institutionen, so Kudzko. Außenpolitische Entscheidungen der EU erfordern meist Einstimmigkeit. Dadurch haben auch kleine Länder wie die Slowakei einen machtpolitischen Hebel innerhalb der EU.

der slowakische Politiker Michal Simecka
Reuters/Radovan Stoklasa
Die liberale PS unter Führung von Michal Simecka steht an zweiter Stelle in den Umfragen

Wahlkampf hinterlässt Spuren

Die Chancen für Fico, mit seiner Partei bei der Wahl Erster zu werden, sind groß. Doch wie auch seine politischen Herausforderer, die in Umfragen als zweitstärkste Partei gereihte liberale PS, würde er Koalitionspartner brauchen.

Welche Koalition sich für die Regierung auch immer durchsetzen wird, der Wahlkampf wird auch nach der Wahl noch seine Spuren hinterlassen. Die skeptische Stimmung gegenüber dem Westen, die offene Haltung gegenüber Russland und die Polarisierung in Bezug auf Migration und Minderheitenrechte in der Bevölkerung wurden durch den monatelangen Wahlkampf noch mehr gefestigt.