Rauch in der Region Bergkarabach
AP/Defense Ministry of Azerbaijan
Streit um Bergkarabach

Aserbaidschan startete Militäreinsatz

Aserbaidschan hat am Dienstag einen Militäreinsatz in der Region Bergkarabach gestartet. Das Verteidigungsministerium des Landes sprach von einem Einsatz zur Bekämpfung von Terroristen. Von den Behörden des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Bergkarabach hieß es, dass nach Angaben örtlicher Behördenvertreter mehrere Städte unter Beschuss stünden. Es ist bereits von Toten die Rede.

Die in Armenien ansässige Vertretung Bergkarabachs sprach von einer „großangelegten Militäroffensive“. „Im Moment stehen (die Hauptstadt, Anm.) Stepanakert und andere Städte und Dörfer unter intensivem Beschuss“, teilte die Vertretung via Facebook mit. Berichtet wurde über Raketen- und Artilleriebeschuss. Die Angreifer würden versuchen, tief in das Gebiet vorzudringen, sie stießen aber auf „entschlossenen“ Widerstand, hieß es.

Armenien: „Einsatz mit Bodentruppen“

Der armenische Regierungschefs Nikol Paschinjan sagte in einer TV-Ansprache, die Führung in Baku habe einen „Einsatz mit Bodentruppen“ mit dem Ziel losgetreten, die „ethnische Säuberung“ der armenischen Bevölkerung in der Region zu betreiben. Die Führung in Baku habe eine „weitere breit angelegte Aggression“ gegen das Volk von Bergkarabach losgetreten. Paschinjan berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein.

Laut Angaben aus der Region soll der Militäreinsatz bereits Menschenleben gefordert haben: „Den bisherigen Informationen zufolge haben die aserbaidschanischen Angriffe mindestens zwei Tote, darunter ein Kind, und elf Verletzte, darunter acht Kinder, verursacht“, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik, Gegam Stepanjan, auf Twitter (X).

„Aufklärungsaktivitäten“ vorgeworfen

Das Verteidigungsministerium Aserbaidschans teilte mit, dass sich die Einsätze gegen armenische Kräfte richten würden. Begründet wurden die Einsätze mit dem „systematischen“ Beschuss durch von Armenien unterstützte Kräfte. Es würden Präzisionswaffen genutzt, um auf armenische Militärpositionen und von „Separatisten“ genutzte Einrichtungen abzuzielen, hieß es aus Baku.

Ihnen warf Baku vor, „Aufklärungsaktivitäten“ zu tätigen und Verteidigungspositionen zu verstärken. Auch forderte Baku den kompletten Abzug aller armenischen Kräfte aus Bergkarabach als Bedingung für einen Frieden in der Region. Armenien erklärte indes, keinerlei Soldaten dort zu haben – man sei in keine Kampfhandlungen verwickelt.

Baku: „Verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“

Ziel ist es laut Baku, „die Entwaffnung und den Abzug von Formationen der armenischen Streitkräfte aus unseren Territorien sicherzustellen und ihre militärische Infrastruktur zu neutralisieren“. Hochpräzisionswaffen würden nur gegen legitime militärische Ziele eingesetzt und nicht gegen Zivilisten. Man beabsichtige die „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Republik Aserbaidschan“.

Karte von Bergkarabach
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Hilfegesuch an UNO-Sicherheitsrat und Russland

Armenien forderte den UNO-Sicherheitsrat und Russland zu Maßnahmen zur Beendigung des Militäreinsatzes auf. Es seien „klare und eindeutige Schritte zur Beendigung der aserbaidschanischen Aggression“ nötig, hieß es in einer von armenischen Medien verbreiteten Mitteilung des Außenministeriums in Eriwan. Russische Soldaten sind seit 2020 in der Region stationiert, um ein damals am Ende eines mehrtägigen Kriegs geschlossenes Waffenstillstandsabkommen zu überwachen.

Moskau äußert „tiefe Besorgnis“

In einer ersten Reaktion aus Moskau hieß es, man stehe mit beiden Seiten in Kontakt. Man sei angesichts der „scharfen Eskalation tief besorgt“ – gefordert wurde ein Ende des „Blutvergießens“. Nach eigenen Angaben hat Baku Russland und die Türkei, die Schutztruppen bzw. Beobachter in der Konfliktregion stellen, über den „Anti-Terror-Einsatz“ informiert. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, Aserbaidschan habe die russischen Truppen in Bergkarabach nur wenige Minuten vor Beginn der Militäraktion gegen Separatisten gewarnt.

Die Europäische Union verurteilte den Militäreinsatz. Aserbaidschan wurde aufgefordert, seine militärischen Aktivitäten einzustellen, teilte EU-Chefdiplomat Josep Borrell in einer Erklärung mit. Der Dialog zwischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und den Karabach-Armeniern müsse dringend wieder aufgenommen werden. Die militärische Eskalation dürfe nicht als Vorwand dienen, um die Abwanderung der lokalen Bevölkerung zu erzwingen, hieß es weiter.

Baku meldete mehrere Tote nach Minenexplosionen

Vor Start des Militäreinsatzes waren aserbaidschanischen Angaben zufolge sechs Menschen bei Minenexplosionen getötet worden. Aserbaidschanische Sicherheitskräfte hatten mitgeteilt, zwei Zivilisten seien auf einer Straße in Richtung der Stadt Schuscha im aserbaidschanisch kontrollierten Teil Bergkarabachs durch eine von armenischen „Sabotagegruppen“ gelegte Mine getötet worden. Vier Polizisten seien später auf dem Weg zum Explosionsort bei einer weiteren Minenexplosion getötet worden.

Gegenseitige Vorwürfe

Armenien hatte sich zuletzt wegen des großen Aufmarschs aserbaidschanischer Truppen an seinen Grenzen besorgt gezeigt. Auf der anderen Seite in nannte das Außenministerium in Baku wiederum die Konzentration armenischer Truppen an der Grenze die größte Bedrohung für die Stabilität der Region. Baku erklärte am Dienstag, der Konflikt könne nur durch den vollständigen Abzug armenischer Truppen aus Bergkarabach beendet werden. Und die „separatistische Verwaltung“ in Bergkarabach müsse aufgelöst werden.

Das christlich-orthodoxe Armenien und das muslimische Aserbaidschan, beides im Südkaukasus gelegene Ex-Sowjetrepubliken, sind seit Langem verfeindet, wobei nach einem Krieg Anfang der 1990er Jahre um die zu Aserbaidschan gehörende, mehrheitlich aber von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach zunächst Armenien die Oberhand hatte.

In einem zweiten Krieg 2020 siegte das mit Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft hochgerüstete Aserbaidschan und eroberte Teile von Bergkarabach und eigenes Territorium zurück. In kürzeren Militäraktionen danach besetzte Baku auch etwa 150 Quadratkilometer armenisches Staatsgebiet.