Überwachungskamera zeigt eine Explosion in Stepanakert, Aserbaidschan
Reuters
Bergkarabach

Tote nach Angriff Aserbaidschans gemeldet

Aserbaidschan hat am Dienstag einen Militäreinsatz in der Region Bergkarabach gestartet. Das Verteidigungsministerium des Landes sprach von einem Einsatz zur Bekämpfung von Terroristen. Von den Behörden des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Bergkarabach hieß es, dass nach Angaben örtlicher Behördenvertreter mehrere Städte unter Beschuss stünden. Es ist bereits von Toten die Rede.

„Mit Stand 20.00 Uhr (18.00 MESZ, Anm.) gibt es 25 Opfer, darunter zwei Zivilisten, als Folge des umfassenden Terrorangriffs durch Aserbaidschan“, teilte der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Arzach (bis 2017 Republik Bergkarabach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend via Twitter (X) mit.

Darüber hinaus seien in der Konfliktregion im Südkaukasus bisher mindestens 138 Menschen verletzt worden, darunter 29 Zivilisten, teilte Stepanjan mit. Aus sechs Orten seien Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden. Die aserbaidschanischen Behörden beschuldigten ihrerseits die armenischen Streitkräfte, einen Zivilisten getötet zu haben. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Örtliche Behörden: Städte und Dörfer unter Beschuss

Die in Armenien ansässige Vertretung Bergkarabachs sprach von einer „großangelegten Militäroffensive“. „Im Moment stehen (die Hauptstadt, Anm.) Stepanakert und andere Städte und Dörfer unter intensivem Beschuss“, teilte die Vertretung via Facebook mit. Berichtet wurde über Raketen- und Artilleriebeschuss. Die Angreifer würden versuchen, tief in das Gebiet vorzudringen, sie stießen aber auf „entschlossenen“ Widerstand, hieß es.

Tote bei Angriffen in Bergkarabach

Mehrere Städte in Bergkarabach sind nach Angaben örtlicher Behördenvertreter von Aserbaidschan angegriffen worden. Laut Behördenangaben wurden mehrere Zivilisten getötet oder verletzt. Aserbaidschan sprach von „Anti-Terror-Einsätzen“.

Armenien: „Einsatz mit Bodentruppen“

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan sagte in einer TV-Ansprache, die Führung in Baku habe einen „Einsatz mit Bodentruppen“ mit dem Ziel losgetreten, die „ethnische Säuberung“ der armenischen Bevölkerung in der Region zu betreiben. Die Führung in Baku habe eine „weitere breit angelegte Aggression“ gegen das Volk von Bergkarabach losgetreten. Paschinjan berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein.

Karte von Bergkarabach
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Das Verteidigungsministerium Aserbaidschans teilte mit, dass sich die Einsätze gegen armenische Kräfte richten würden. Begründet wurden die Einsätze mit dem „systematischen“ Beschuss durch von Armenien unterstützte Kräfte. Es würden Präzisionswaffen genutzt, um auf armenische Militärpositionen und von „Separatisten“ genutzte Einrichtungen abzuzielen, hieß es aus Baku.

Aserbaidschan will Kapitulation

Die „illegalen“ armenischen Militärverbände müssten die „weiße Fahne“ hissen, alle Waffen seien zu übergeben und das „illegale Regime“ müsse aufgelöst werden, hieß es aus der aserbaidschanischen Präsidialverwaltung. Die „Anti-Terror-Maßnahmen“ würden „bis zum Ende“ fortgesetzt. Aserbaidschan schlug Gespräche „mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs“ in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor.

Den armenischen Kräften warf Baku vor, „Aufklärungsaktivitäten“ zu tätigen und Verteidigungspositionen zu verstärken. Auch forderte Baku den kompletten Abzug aller armenischen Kräfte aus Bergkarabach als Bedingung für Frieden in der Region. Armenien erklärte indes, keinerlei Soldaten dort zu haben – man sei in keine Kampfhandlungen verwickelt.

Baku: „Verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“

Ziel ist es laut Baku, „die Entwaffnung und den Abzug von Formationen der armenischen Streitkräfte aus unseren Territorien sicherzustellen und ihre militärische Infrastruktur zu neutralisieren“. Hochpräzisionswaffen würden nur gegen legitime militärische Ziele eingesetzt und nicht gegen Zivilisten. Man beabsichtige die „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Republik Aserbaidschan“.

Die Behörden in Bergkarabach riefen zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Bergkarabach fordere die aserbaidschanische Seite auf, das Feuer sofort einzustellen und Verhandlungen aufzunehmen, erklärte das Außenministerium der abtrünnigen Region via Telegram.

Hilfegesuch an UNO-Sicherheitsrat und Russland

Armenien forderte den UNO-Sicherheitsrat und Russland zu Maßnahmen zur Beendigung des Militäreinsatzes auf. Es seien „klare und eindeutige Schritte zur Beendigung der aserbaidschanischen Aggression“ nötig, hieß es in einer von armenischen Medien verbreiteten Mitteilung des Außenministeriums in Eriwan. Russische Soldaten sind seit 2020 in der Region stationiert, um ein damals am Ende eines mehrtägigen Kriegs geschlossenes Waffenstillstandsabkommen zu überwachen.

Moskau äußert „tiefe Besorgnis“

In einer ersten Reaktion aus Moskau hieß es, man stehe mit beiden Seiten in Kontakt. Man sei angesichts der „scharfen Eskalation tief besorgt“ – gefordert wurde ein Ende des „Blutvergießens“. Nach eigenen Angaben hat Baku Russland und die Türkei, die Schutztruppen bzw. Beobachter in der Konfliktregion stellen, über den „Anti-Terror-Einsatz“ informiert. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, Aserbaidschan habe die russischen Truppen in Bergkarabach nur wenige Minuten vor Beginn der Militäraktion gegen Separatisten gewarnt.

Erdogan stellt sich hinter Baku

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich hinter Baku. Die Türkei unterstütze die Schritte zum „Schutz der regionalen Integrität Aserbaidschans“, sagte Erdogan am Dienstag zu Beginn der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York. Später fügte er hinzu, er hoffe auf ein schnelles Ende der „Entwicklungen in der Region“.

Die Europäische Union verurteilte den Militäreinsatz. Aserbaidschan wurde aufgefordert, seine militärischen Aktivitäten einzustellen, teilte EU-Chefdiplomat Josep Borrell in einer Erklärung mit. Der Dialog zwischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und den Karabach-Armeniern müsse dringend wieder aufgenommen werden. Die militärische Eskalation dürfe nicht als Vorwand dienen, um die Abwanderung der lokalen Bevölkerung zu erzwingen, hieß es weiter.

Proteste gegen Regierung in Eriwan

Unterdessen begannen als Reaktion auf den aserbaidschanischen Beschuss in Armeniens Hauptstadt Eriwan Proteste. Die Demonstrierenden forderten von Regierungschef Paschinjan ein entschiedeneres Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Bergkarabachs.

Auf Videos in sozialen Netzwerken ist eine aufgebrachte Menschenmenge zu sehen. Berichten örtlicher Medien zufolge versuchten Demonstrierende, in das von Polizisten umstellte Parlamentsgebäude einzudringen. Es seien auch Steine und Flaschen auf Polizisten geworfen worden.

Gegenseitige Vorwürfe

Armenien hatte sich zuletzt wegen des großen Aufmarschs aserbaidschanischer Truppen an seinen Grenzen besorgt gezeigt. Auf der anderen Seite in nannte das Außenministerium in Baku wiederum die Konzentration armenischer Truppen an der Grenze die größte Bedrohung für die Stabilität der Region. Baku erklärte am Dienstag, der Konflikt könne nur durch den vollständigen Abzug armenischer Truppen aus Bergkarabach beendet werden. Und die „separatistische Verwaltung“ in Bergkarabach müsse aufgelöst werden.

Das christlich-orthodoxe Armenien und das muslimische Aserbaidschan, beides im Südkaukasus gelegene Ex-Sowjetrepubliken, sind seit Langem verfeindet, wobei nach einem Krieg Anfang der 1990er Jahre um die zu Aserbaidschan gehörende, mehrheitlich aber von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach zunächst Armenien die Oberhand hatte.

In einem zweiten Krieg 2020 siegte das mit Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft hochgerüstete Aserbaidschan und eroberte Teile von Bergkarabach und eigenes Territorium zurück. In kürzeren Militäraktionen danach besetzte Baku auch etwa 150 Quadratkilometer armenisches Staatsgebiet.