UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
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„Welt gerät aus Fugen“

UNO-Chef ruft zu Reformen auf

Angesichts zunehmender globaler Spannungen hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres vor einer Aufspaltung der Welt gewarnt. „Unsere Welt gerät aus den Fugen“, sagte Guterres am Dienstag zu Beginn der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York. Der Portugiese forderte eine Reform der internationalen Institutionen. Breiten Raum in der Debatte nahm Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ein.

Ohne eine Reform der Institutionen – auch des UNO-Sicherheitsrates – könnten Probleme und Interessen nicht wirksam angegangen werden, sagte Guterres. Der Status quo sei keine Lösung: „Es geht um Reform oder das Zerbrechen“, so Guterres. Der UNO-Generalsekretär ortete tiefe Gräben zwischen den größten Wirtschafts- und Militärmächten, zwischen Ost und West sowie zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern.

„Wir nähern uns immer mehr einem großen Bruch der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie der Handelsbeziehungen“, warnte er. „Die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Und wir scheinen nicht in der Lage zu sein, zusammenzukommen, um darauf zu reagieren.“

Appell für gemeinsame Lösungen

Die Vereinten Nationen sind aufgrund der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland, der Rivalität zwischen den USA und China sowie der Ungleichheiten zwischen reichen und armen Gesellschaften zunehmend besorgt – eine Fragmentierung würde die Weltgemeinschaft dysfunktional und Zusammenarbeit weitgehend unmöglich machen.

UNO Hauptquartier in New York
Reuters/Mike Segar
UNO-Generalsekretär Guterres warb in seiner Rede für Reformen der internationalen Institutionen

Guterres appellierte an die Staats- und Regierungsspitzen, gemeinsam Lösungen zu finden, internationale Strukturen müssten erneuert werden und die gegenwärtige Welt widerspiegeln. „Kompromiss ist zu einem Schimpfwort geworden“, sagte der 74-Jährige. Es brauche jedoch Staatskunst statt Stillstand – und einen „globalen Kompromiss“.

Biden: UNO-Sicherheitsrat reformieren

Im Rahmen der UNO-Vollversammlung werden insgesamt 140 Staats- und Regierungsspitzen Reden halten. Am Dienstag zu Wort kam US-Präsident Joe Biden, der die internationale Gemeinschaft zum Zusammenstehen aufrief. „Keine Nation kann die Herausforderungen von heute allein bewältigen.“ Er machte deutlich, dass die „Geschichte nicht unsere Zukunft diktieren“ müsse und erinnerte an seinen jüngsten Besuch in Vietnam – einstiger Kriegsgegner der USA.

Guterres für Reform des Sicherheitsrates

UNO-Generalsekretär Guterres sprach sich bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York für eine Reform des Sicherheitsrates aus.

Biden warb in seiner Rede dafür, wirtschaftlich schwächeren Ländern mehr Mitsprache und Gewicht in internationalen Institutionen zu geben. Erneut sprach er sich für eine Reform des Sicherheitsrates und die Aufnahme von mehr ständigen und nicht ständigen Mitgliedern aus. „Wir müssen in der Lage sein, die Blockade zu durchbrechen, die allzu oft den Fortschritt behindert und den Konsens im Rat blockiert“, mahnte er. „Wir brauchen mehr Stimmen und mehr Perspektiven am Tisch.“

UNO-Generalversammlung in New York hat begonnen

In New York hat die diesjährige Generalversammlung der UNO begonnen. Der Krieg in der Ukraine, andere Konflikte weltweit, natürlich die Klimakrise und die Bekämpfung der Armut werden die Debatte bestimmen – wie auch eine Reform der UNO selbst.

Die USA arbeiteten in allen Bereichen daran, internationale Organisationen reaktionsfähiger, effektiver und diverser zu machen. Das gelte auch für Reformen bei der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation. Die G-20-Staaten hätten außerdem gerade erst beschlossen, die Afrikanische Union (AU) in ihre Runde aufzunehmen.

Schallenberg unterstützt Reformforderung

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen an der Vollversammlung teilnimmt, begrüßte Bidens Vorstoß nach einer Reform des Sicherheitsrates. Der Außenminister ortete eine „gewisse Dynamik“ in dieser Frage.

„Russland glaubt, dass die Welt müde wird“

Biden rief die Staatengemeinschaft zur Solidarität mit der Ukraine auf – zu ihrem eigenen Schutz: „Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher?“, sagte Biden. Russland allein trage die Verantwortung für den Krieg und Russland allein habe die Macht, ihn sofort zu beenden.

US-Präsident Joe Biden
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Der US-Präsident rief die Staatengemeinschaft zur Solidarität mit der Ukraine auf

„Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln“, mahnte er. Wenn internationale Grundprinzipien aufgegeben würden, „um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedsstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?“, sagte Biden.

Verschleppte Kinder: Selenskyj spricht von „Genozid“

Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Invasion nahm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich an der UNO-Vollversammlung teil. In seiner Rede warf er Russland vor, mit dessen Aggression auch viele andere Staaten zu bedrohen. Moskau greife die Ukraine nicht nur militärisch an, sondern nutze auch andere Instrumente als Waffen – „und diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres“, sagte Selenskyj.

„Russland setzt Lebensmittelpreise als Waffe ein“, mahnte er. „Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien.“ Ebenso nutze Moskau Energie als Waffe, um Regierungen anderer Länder zu schwächen.

Selenskyj mahnte, Moskaus Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen sei nicht das Angsteinflößendste an dem Krieg. Und es gehe bei dem Konflikt längst nicht nur um die Ukraine. Wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder warf er Russland Völkermord vor. „Diesen Kindern wird in Russland beigebracht, die Ukraine zu hassen, und alle Verbindungen zu ihren Familien werden zerbrochen“, sagte Selenskyj in New York. „Das ist eindeutig ein Genozid.“

Lula ruft zu Dialog auf

Der brasilianische Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva rief indes zu einer Beendigung des russischen Angriffskrieges durch „Dialog“ auf. Er bemängelte in seiner Rede, es sei „viel in Waffen und wenig in Entwicklung investiert worden“. Es müsse „Arbeit geleistet werden, um Raum für Verhandlungen zu schaffen“. Keine Lösung werde dauerhaft sein, „wenn sie nicht auf Dialog beruht“. Der brasilianische Präsident hat bisher weder militärische Unterstützung für Kiew auf den Weg gebracht noch Sanktionen gegen Moskau unterstützt.