Ukrainischer Präsident Wolodomir Selenski
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Selenskyj vor UNO

Russland auch Gefahr für andere Staaten

Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag an der UNO-Vollversammlung in New York teilgenommen. In seiner Rede warf er Moskau vor, es bedrohe mit seiner Aggression auch viele andere Staaten. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und US-Präsident Joe Biden mahnten indes Reformen der internationalen Organisationen ein.

„Es geht nicht nur um die Ukraine“, sagte Selenskyj vor den Teilnehmenden aus den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Moskau greife die Ukraine nicht nur militärisch an, sondern nutze auch andere Instrumente als Waffen – „und diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres“, sagte Selenskyj.

„Russland setzt Lebensmittelpreise als Waffe ein“, mahnte er. „Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien.“ Ebenso nutze Moskau Energie als Waffe, um Regierungen anderer Länder zu schwächen.

Verschleppung ukrainischer Kinder „Genozid“

Selenskyj mahnte, Moskaus Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen sei nicht das Angsteinflößendste an dem Krieg. Und es gehe bei dem Konflikt längst nicht nur um die Ukraine. Wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder warf er Russland Völkermord vor. „Diesen Kindern wird in Russland beigebracht, die Ukraine zu hassen, und alle Verbindungen zu ihren Familien werden zerbrochen“, sagte Selenskyj in New York. „Das ist eindeutig ein Genozid.“

Selenskyj: „Es geht nicht nur um die Ukraine“

Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an der UNO-Vollversammlung teilgenommen. In seiner Rede warf er Moskau vor, es bedrohe mit seiner Aggression auch viele andere Staaten. „Es geht nicht nur um die Ukraine“, sagte er.

Biden: „Russland glaubt, dass die Welt müde wird“

US-Präsident Biden hatte die Staatengemeinschaft zuvor zur Solidarität mit der Ukraine aufgerufen – zu ihrem eigenen Schutz: „Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher?“, sagte Biden. Russland allein trage die Verantwortung für den Krieg und Russland allein habe die Macht, ihn sofort zu beenden.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Kevin Lamarque
Der US-Präsident rief die Staatengemeinschaft zur Solidarität mit der Ukraine auf

„Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln“, mahnte er. Wenn internationale Grundprinzipien aufgegeben würden, „um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedsstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?“, sagte Biden.

Der brasilianische Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva rief indes zu einer Beendigung des russischen Angriffskrieges durch „Dialog“ auf. Er bemängelte in seiner Rede, es sei „viel in Waffen und wenig in Entwicklung investiert worden“. Es müsse „Arbeit geleistet werden, um Raum für Verhandlungen zu schaffen“.

Rufe nach Reform von internationalen Organisationen

Zu Beginn der Generaldebatte warnte UNO-Generalsekretär Guterres vor einer Aufspaltung der Welt. Ohne eine Reform der Institutionen – auch des UNO-Sicherheitsrates – könnten Probleme und Interessen nicht wirksam angegangen werden, sagte Guterres. Der Status quo sei keine Lösung: „Es geht um Reform oder das Zerbrechen“, so Guterres. Der UNO-Generalsekretär ortete tiefe Gräben zwischen den größten Wirtschafts- und Militärmächten, zwischen Ost und West sowie zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern.

Guterres: „Unsere Welt gerät aus den Fugen“

Angesichts zunehmender globaler Spannungen hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zu Beginn der UNO-Generaldebatte vor einer Aufspaltung der Welt gewarnt.

„Wir nähern uns immer mehr einem großen Bruch der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie der Handelsbeziehungen“, warnte er. „Die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Und wir scheinen nicht in der Lage zu sein, zusammenzukommen, um darauf zu reagieren.“

Appell für gemeinsame Lösungen

Die Vereinten Nationen sind aufgrund der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland, der Rivalität zwischen den USA und China sowie der Ungleichheiten zwischen reichen und armen Gesellschaften zunehmend besorgt – eine Fragmentierung würde die Weltgemeinschaft dysfunktional und Zusammenarbeit weitgehend unmöglich machen.

Guterres appellierte an die Staats- und Regierungsspitzen, gemeinsam Lösungen zu finden, internationale Strukturen müssten erneuert werden und die gegenwärtige Welt widerspiegeln. „Kompromiss ist zu einem Schimpfwort geworden“, sagte der 74-Jährige. Es brauche jedoch Staatskunst statt Stillstand – und einen „globalen Kompromiss“.

Biden: „Brauchen mehr Perspektiven“

Biden warb in seiner Rede dafür, wirtschaftlich schwächeren Ländern mehr Mitsprache und Gewicht in internationalen Institutionen zu geben. Erneut sprach er sich für eine Reform des Sicherheitsrates und die Aufnahme von mehr ständigen und nicht ständigen Mitgliedern aus. „Wir müssen in der Lage sein, die Blockade zu durchbrechen, die allzu oft den Fortschritt behindert und den Konsens im Rat blockiert“, mahnte er. „Wir brauchen mehr Stimmen und mehr Perspektiven am Tisch.“

Die USA arbeiteten in allen Bereichen daran, internationale Organisationen reaktionsfähiger, effektiver und diverser zu machen. Das gelte auch für Reformen bei der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation. Die G-20-Staaten hätten außerdem gerade erst beschlossen, die Afrikanische Union (AU) in ihre Runde aufzunehmen.

Schallenberg unterstützt Reformforderung

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßten Bidens Vorstoß nach einer Reform des Sicherheitsrates. Der Außenminister ortete eine „gewisse Dynamik“ in dieser Frage.

„Der Sicherheitsrat in seiner jetzigen Struktur war eine Konsequenz nach 1945“, so Van der Bellen nach dem Treffen mit Guterres. „Das sieht man vor allem an den sogenannten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Ob das dem 21 Jahrhundert noch angemessen ist, darüber muss man diskutieren.“ Allerdings werde diese Frage „sicher nicht von heute auf morgen entschieden werden“, so Van der Bellen.

Treffen mit Brasiliens Präsident Lula

Schallenberg und Van der Bellen trafen am Dienstag auch mit Brasiliens Präsident Lula zusammen. Der Bundespräsident ließ im Vorfeld wissen, dass die Klimakrise „nur gemeinsam“ bewältigt werden könne. „Brasilien spielt eine Schlüsselrolle in unseren gemeinsamen Anstrengungen zur Bewältigung der globalen Krisen, einschließlich der Klimakrise“, sagte Van der Bellen. Die EU habe ihre Unterstützung für den Schutz des Amazonas-Gebietes vor Abholzung verstärkt, erinnerte der Bundespräsident.

Van der Bellen nimmt am Mittwoch auch am Climate Ambition Summit teil – mit durchaus ambitionierten Ankündigungen. „Österreich bleibt der Klimasolidarität verpflichtet und wird weiterhin die am meisten gefährdeten Länder und Gemeinschaften unterstützen“, so der Bundespräsident laut Redetext. Am Nachmittag ist zudem ein Treffen mit Klimawissenschaftlern an der Columbia Business School geplant.