Zerstörte Fenster eines Gebäudes in Stepanakert
APA/AFP/Nagorno-Karabakh Human Rights Ombudsman
Aserbaidschan

Militäreinsatz in Bergkarabach beendet

Einen Tag nach Beginn der Militäroperation in der Kaukasus-Region Bergkarabach hat Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew den Einsatz seiner Truppen Mittwochabend für beendet erklärt. Bei den aserbaidschanischen Angriffen starben laut Angaben lokaler Behörden mindestens 30 Menschen. Aserbaidschan will nun rasch über die „Eingliederung“ des Gebiets sprechen.

Aserbaidschan habe seine Souveränität über das Gebiet wiederhergestellt, sagte Alijew am Mittwoch in einer Fernsehansprache in Baku. Alijew sprach von „illegal“ in Bergkarabach stationierten armenischen Truppen, die vernichtet worden seien. „Militärische Ausrüstung wurde zerstört und unbrauchbar gemacht.“ Der armenischen Bevölkerung, die eine Vertreibung aus alten Siedlungsgebieten befürchtet, versprach der autoritär regierende Staatschef, sie würde bald eine Wende zum Besseren erleben.

Rund drei Jahre nach dem jüngsten Krieg zwischen den beiden verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken hatte Aserbaidschan am Dienstag eine Militäroperation zur Eroberung der Region gestartet.

Aserbaidschan: Ende von Militäreinsatz in Bergkarabach

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew hat den Einsatz seiner Truppen gegen das von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach nach einem Tag für beendet erklärt. Baku will Gespräche über eine „Wiedereingliederung“ der international nicht anerkannten Republik beginnen.

Mittwochnachmittag war zunächst eine von Russland vermittelte Feuerpause in Kraft getreten. Baku hatte für die Einstellung seiner Angriffe das Ende des Widerstandes der Streitkräfte von Bergkarabach, das sich 2017 in Arzach umbenannt hatte, gefordert. Am Nachmittag begannen die Soldaten der international nicht anerkannten „Republik“ mit der Räumung ihrer Posten.

Maßnahmen zu Evakuierungen laufen

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums brachten in Bergkarabach stationierte russische Soldaten bisher rund 5.000 Karabach-Armenier aus besonders gefährlichen Orten der belagerten Region. Zuvor hatte schon der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach, Gegam Stepanjan, von der Evakuierung mehrerer Ortschaften gesprochen.

Am Donnerstag trafen zudem Vertreter der Karabach-Armenier zu Verhandlungen in Aserbaidschan ein. Aus Sicht der autoritären Führung in Baku soll es bei dem Treffen in der Stadt Yevlax um die „Reintegration“ Bergkarabachs in Aserbaidschan gehen. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Azertac am Donnerstag. Als Vermittler anwesend sein sollen in der Region stationierte russische Soldaten.

Warnung vor Massenflucht

Die Behörden von Bergkarabach erklärten zudem, Verhandlungen mit Baku über die Integration der Region in das Nachbarland Aserbaidschan akzeptiert zu haben. Baku strebt nach eigenen Angaben eine „friedliche Wiedereingliederung“ des Gebietes an.

Müller (ORF) über den Konflikt in Bergkarabach

Markus Müller aus der ORF-Auslandsredaktion spricht unter anderem darüber, ob der Militäreinsatz das Ende der armenisch besiedelten Region Bergkarabach bedeutet, sowie über eine Lösung für den Konflikt.

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenierinnen und Armenier. Für Alijew stellt der militärische Sieg einen Erfolg dar. Das Schicksal der etwa 120.000 ethnischen Armenierinnen und Armenier in Bergkarabach ist ungewiss. Befürchtet wird eine Massenflucht. Auf dem Flughafen in der Hauptstadt Stepanakert sollen Tausende Menschen ausharren, berichteten die Nachrichtenagentur Reuters und armenische Medien.

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan sagte in einer Fernsehansprache, dass man „an der Ausarbeitung des Textes der Waffenstillstandserklärung in Bergkarabach“ nicht beteiligt gewesen sei. Armenien, das die Behörden in Bergkarabach unterstützte, habe seit August 2021 keine militärischen Einheiten mehr in der Region stationiert, fügte er hinzu.

Lebensmittel wurden knapp

Schon vor der jüngsten militärischen Eskalation war die Lage in Bergkarabach katastrophal, weil Aserbaidschan die einzige armenische Zugangsstraße seit Monaten blockierte und Lebensmittel und Medikamente knapp wurden. Für die Sicherheit auf der Route waren russische Friedenstruppen seit dem Waffenstillstand von 2020 zuständig. Diese gingen aber nicht gegen die Blockade des Korridors durch Bakus Truppen vor.

Karte von Bergkarabach
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Russland galt traditionell als Schutzmacht Armeniens und hat in der Konfliktregion eigene Soldaten stationiert. Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Rückendeckung für Aserbaidschan kam aus der Türkei.

Proteste in Eriwan

In der armenischen Hauptstadt Eriwan protestierten Tausende Menschen gegen den Umgang der Regierung mit der Krise in Bergkarabach. Die Demonstrierenden versammelten sich am Mittwoch vor dem Büro von Regierungschef Paschinjan und blockierten die umliegenden Straßen. Sie warfen der Regierung vor, die mehrheitlich armenische Bevölkerung Bergkarabachs im Stich gelassen zu haben.

UNO-Sicherheitsrat einberufen

Wegen der Eskalation in Bergkarabach wurde für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates einberufen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) schätzte die jüngsten Entwicklungen in der Region als „sehr explosiv und brandgefährlich“ ein.

„Es ist vielleicht etwas zynisch, wenn das genau zu dem Zeitpunkt stattfindet, während die Weltgemeinschaft in New York zusammenkommt und genau daran arbeitet, dass solche Situationen nicht entstehen“, so Schallenberg mit Verweis auf die derzeit laufende UNO-Vollversammlung.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte, im UNO-Hauptquartier habe sich „große Sorge für die dortige armenische Bevölkerung“, die aber auf aserbaidschanischem Staatsgebiet lebe, breitgemacht. Es sei momentan nur zu hoffen, dass zumindest ein „Fluchtkanal“ nach Armenien offen bleibe.