ÖAW: Diskussion über irreguläre Migration als „Tabuthema“

Seit Jahren ringen die EU-Staaten um einen gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik. Wie eine politische Antwort auf das Phänomen der irregulären Migration aussehen könnte, wurde gestern im Rahmen einer Podiumsdiskussion an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Asylkoordination und Journalismus diskutiert.

Irreguläre Migration sei zwar häufig unerwünscht, gleichzeitig sei sie aber eine soziale Realität, mit der umgegangen werden müsse. Und gerade in Hinblick auf „anstehende Wahlkämpfe“ sei es wichtig, darüber zu diskutieren, wie eine politische Antwort aussehen könnte, die auf soziale Inklusion abziele und die Rechte von irregulären Migrantinnen und Migranten respektiere, leitete die an der Wirtschaftsuniversität tätige Migrationsforscherin Judith Kohlenberger die Diskussion ein.

Podiumsdiskussion
ORF/Mona Harfmann

Diskussionen über „Problem, nicht Lösung“

„Irreguläre Migration ist kein Tabuthema – sie ist die ganze Zeit in den Medien“, sagte Lukas Gahleitner von der Asylkoordination. Er verwies in dem Zusammenhang aber darauf, wie wichtig es sei, zwischen jenen zu trennen, die in der Hoffnung auf Asyl nach Österreich kommen, und jenen, deren Asylbescheid negativ ausfalle und die dann bleiben würden.

Als irreguläre Migrantinnen und Migranten werden zwar Personen bezeichnet, die ohne Aufenthaltserlaubnis in einem Land leben. Laut Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention dürfe aber niemand dafür bestraft werden, dass er in einem Land um Asyl ansuche. „Das ist, als ob das Nachbarhaus brennt und man, um hineinzukommen, die Scheibe einschlagen muss“, so Gahleitner. „Und diese Sachbeschädigung ist zwar strafffrei, wir reden aber nur über die Sachbeschädigung.“

Laut Rainer Bauböck von der ÖAW handelt es sich insofern um ein „Tabuthema“, als zwar irreguläre Migration sehr wohl als Problem thematisiert werde, jedoch keine konstruktiven Lösungen besprochen würden. Die Gruppe jener, die in Österreich blieben, obwohl ihr Bescheid negativ ausfalle, sei relativ gering, da es im Vergleich zu anderen Ländern etwa schwierig sei, illegal beschäftigt zu werden, konkrete Zahlen sind laut Albert Kraler von der Donau-Universität Krems aber schwierig zu erheben.

Thema von Politik „radikalisiert“

Das Thema werde nicht von den Medien, sondern von der Politik zu einem Tabuthema gemacht und „radikalisiert“, vertrat Irene Brickner vom „Standard“ eine mediale Sichtweise auf dem Podium. Irreguläre Migration werde dadurch als „illegale Migration“ geframet. Medien würden jedoch durch die Verwendung bestimmter Begriffe die öffentliche Meinung in die eine oder andere Richtung prägen, etwa durch Ausdrücke wie „Flüchtlingswelle“ und den „Ansturm“ an Grenzen.

Es ergebe keinen Sinn, Solidarität mit seinen Mitmenschen an die Staatsbürgerschaft zu knüpfen, erklärte Monika Mokre von der ÖAW. Gerade aus Sicht der Städte ginge es darum, „pragmatische Antworten“ auf irreguläre Migration und „Wege des Zusammenlebens“ zu finden, denn die Menschen seien da und würden auch weiter kommen.

Angesprochen auf demokratiepolitische Fragen, die sich daraus ergeben, sprach Bauböck von der ÖAW gegenüber ORF.at von einem „echten Dilemma“. Das Wahlrecht vom Pass zu entkoppeln sei gefährlich, denn dann falle es leichter, „Wahlberechtigte abzuschieben“. Mokre sprach sich für kommunale Elemente aus, durch die Migrantinnen und Migranten partizipieren könnten, etwa Petitionsrechte.

Forscherin: Krieg in der Ukraine zeigt neue Wege auf

Grundsätzlich gebe es drei Arten, um auf irreguläre Migration zu reagieren, so Bauböck von der ÖAW. Einerseits „Abschottung und Rückführung“ sowie „Wegschauen“. Und dann gebe es die inklusive Migration, die „Sanctuaries“, also Schutzräume für Geflüchtete, sowie „Firewalls“ umfasse, also die Selbstverpflichtung von Institutionen wie Krankenhäusern, auch Menschen ohne Aufenthaltstitel zu behandeln.

Und zu guter Letzt gebe es die „Regularisierung“, also die Ausstellung eines gültigen Aufenthaltstitels. Ob man ein irregulärer Migrant sei oder nicht, hänge nicht zuletzt von der Handlung des Staates ab, so Julia Mourao Permoser, Migrationsforscherin an der Donau-Universität Krems. „Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass das nicht sein muss und wir eine Irregularisierung überwinden und reguläre Wege finden können.“